Dieser Artikel erschien erstmals im September 2022 in der MZ.

Es ist zehn Uhr morgens, und Willi Kröhnert läuft bereits mit einem geöffneten Bier durch das Hotel Dunas Blancas auf Höhe des Balneario 3 an der Playa de Palma. „Wir trinken nur am Wochenende“, sagt der Kölner. Es ist Freitag. „Das hat für uns schon mit der Ankunft auf Mallorca begonnen“, fügt Kröhnert hinzu und lacht. Der 65-Jährige gehört zum „FC Merowinger“, einer der ersten Trinkergruppen an der Playa de Palma. Die Merowinger beanspruchen für sich, den Begriff „Ballermann“ und die sogenannte „Kölsche Woche“ gewissermaßen erfunden zu haben. Das war 1972. Seitdem kamen die Kölner jedes Jahr. 2022 feiern sie ihr 50. Jubiläum. Ob noch viele Jahre hinzukommen, ist ungewiss.

Alles andere als Hobbykicker

Der FC Merowinger bezeichnet sich selbst als „Thekentruppe“. Gegründet wurde sie 1962 in der gleichnamigen Bar in der gleichnamigen Straße in Köln. Von Anfang an dabei war der heute 77-jährige Werner Dive. „Damals hatte jede Kneipe eine eigene Fußballmannschaft, die aus den Kumpels bestand, die sich in der Bar trafen“, erzählt er. Als Hobbykicker wollen die Kölner aber nicht bezeichnet werden. „Wir waren zehn Jahre lang unbesiegt und zwei Mal Stadtmeister“, sagt Dive stolz.

Wie bei den Kreisklasseclubs heutzutage war die dritte Halbzeit wichtig. „Nach den Spielen haben wir mit den Gegner gemeinsam getrunken“, sagt Kröhnert. Die alljährlichen Mannschaftsfahrten führten anfangs an die Mosel. Bis Dive 1972 die Idee hatte, doch mal Mallorca für die Abschlussfahrt zu testen.

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Die "Kölsche Woche" an der Playa de Palma hat begonnen Nele Bendgens

Karnevalskostüme und Gulasch

„Damals waren nur Engländer und Schweden an der Playa“, erinnert sich der 77-Jährige. „Es war alles spottbillig. Für wenige Peseten konnten wir essen und trinken, was wir wollten.“ Um sich auf der Insel heimisch zu fühlen, brachte die damals 15-köpfige Truppe Karnevalskostüme und Gulasch mit. „Aus der Puszta-Hütte. Der ist schön scharf. Später haben wir nur noch eine Gewürzmischung mitgenommen und selbst gekocht“, sagt Kröhnert, „die Taschen waren durch den vielen Gulasch ziemlich schwer geworden.“

Außerdem musste Platz für das Kölsch geschaffen werden. Damals gab es bei den Flügen noch nicht die strengen Regeln mit den Flüssigkeiten. „Wir haben 20-Liter-Fässer mitgebracht“, sagt Dive. „An unserem ersten Abend 1972 hatten die Kneipen zwei, drei kühle Bier pro Person, danach gab es nur noch lauwarme Flaschen. Als wir am nächsten Tag wiederkamen, hatten sie kurzerhand eine Badewanne mit Eis gefühlt, um die Getränke kaltzustellen“, erinnert sich Kröhnert.

Die Sause stieg in der Diskothek Carrusel

Jahr für Jahr nisteten sich die Merowinger wieder im Hotel Dunas Blancas ein. Dass nun ausgerechnet am Balneario 6 gefeiert wurde, obwohl das Hotel gut zehn Minuten Fußmarsch entfernt lag, sei der Diskothek Carrusel geschuldet, die in der Nähe lag. Dort stieg die tägliche Sause. Da „Balneario“ nach ein paar Bier schwierig auszusprechen war - so zumindest geht die Geschichte - wurde daraus kurzerhand „Ballermann“.

Bei den anderen Thekenmannschaften in der Heimat sprach sich die lustige Sause rum, sie schlossen sich in den folgenden Jahren an,. So entstand die Kölsche Woche, die regelmäßig in der zweiten Septemberwoche die Rheinländer auf die Insel treibt. „Früher habe ich die Koffer im Hotel geparkt und drei Nächte durchgemacht. Das geht heute nicht mehr“, sagt Dive. Vier Tage dauert die erste Mallorca-Party. Heute kommt die Truppe gut eine Woche. Feste Termine sind eine Strandparty am Dienstag und ein Frühschoppen am Mittwoch zu . „Musik und Saufen. Mehr brauchen wir nicht“, beschreiben es die älteren Herren.

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Die 90er-Jahre am Ballermann: So wurde wirklich an der Playa de Palma auf Mallorca gefeiert

Striktes Frauenverbot

Dabei sei es aber eine Party mit Niveau. „Wir hinterlassen keine Kippen oder sonstigen Müll am Strand, und sorgen nicht für Ärger“, sagt Reiner Köbel, der erst vor wenigen Jahren von einem anderen Club zu den Merowingern hinzugestoßen ist. Er ist laut eigener Aussage der einzige Mann, der seine Frau mitnehmen darf. „Weil ich sie früher hier kennengelernt habe. Sie hatte damals den Bierausschank gemacht“, sagt er. In den Anfangsjahren herrschte ein striktes Frauenverbot. „Mittlerweile sehen wir das lockerer“, sagt Dive.

Die Kölsche Woche lebt vom Wiedersehen. Eine organisierte Anreise gibt es nicht. Jeder kommt, wann es ihm passt. Man treffe sich schon irgendwie an der Playa. Auch während des MZ-Interviews kommen immer wieder Passanten vorbei, die die Herren umarmen, küssen und begrüßen.

Künstler standen Schlange, um bei den Partys auftreten zu dürfen

„Jedes Jahr war wunderschön“, resümiert Dive. Dabei werden die trinkfesten Kölner nicht mehr überall mit offenen Armen empfangen. „Früher haben wir das Frühschoppen im Hotel veranstaltet. Die Künstler haben Schlange gestanden, um bei unserer Party spielen zu dürfen. Kostenlos versteht sich. Wir mussten sie nach zwei, drei Liedern unterbrechen, damit auch die anderen Musiker singen können“, sagt Kröhnert. Bis zu 400 Leute seien bei den Feiern im Dunas Blancas aufgeschlagen. Auch Micky Brühl, der für sich in Anspruch nimmt, den ersten Ballermann-Hit geliefert zu haben, hat für die Herren gespielt. „Vor ein paar Jahren hat der Besitzer des Hotels jedoch gewechselt. Heute will man uns hier nicht mehr feiern sehen“, sagt Kröhnert. Für den Frühschoppen haben sich die Merowinger dieses Jahr im Münchner Kindl eingemietet. 

Vor allem aber hat die Thekentruppe Nachwuchsprobleme. „Nach und nach sterben uns die Mitglieder weg. Die Jugend von heute ist nicht mehr so trinkfest oder hat andere Interessen“, klagt Kröhnert, der davon schwärmt, wie seine Gruppe vor ein paar Jahren mal alles Bier in einem Supermarkt aufgekauft hat. „Wir haben 2.800 Flaschen versoffen. Den Schnaps gab’s kostenlos dazu.“

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Bildergalerie: Eine Partynacht an der Playa de Palma Clara Margais, dpa

Abgrenzung von den Partyurlaubern

Trotz des beachtlichen Alkoholkonsums grenzen sich die Merowinger vom üblichen Playa-Publikum ab. In den Bierkönig oder den Megapark schaut man schon mal rein, aber die echte Party sei das eben nicht. „Mit Eimersaufen haben wir nichts am Hut. Wir waren früher sicher auch etwas wild. Aber was da heutzutage abgeht, geht gar nicht. Die Leute versauen uns den Ballermann“, sagt Köbel.

Wobei sicherlich auch die Kölner ihren Teil dazu beitragen, dass der Aufschrei nach mehr Qualität an der Playa de Palma jedes Jahr lauter wird. „Es wird immer mehr zur Kostenfrage. Eines Tages werden wir uns Mallorca nicht mehr leisten können“, sagt Kröhnert, der jetzt schon von Bulgarien schwärmt. „Die Gastfreundlichkeit der Leute ist unglaublich. Zudem ist es noch günstig.“ Die Verbundenheit zu Mallorca ist zwar immer gegeben, doch wer weiß, ob die Kölsche Woche bald am Goldstrand den dritten Frühling feiert.