Mallorca Zeitung

Mallorca Zeitung

Ballermann-Saison 2023 auf Mallorca: Ein Generationenwechsel und sehr viel Gewalt

Die Partysaison 2023 ist vorbei. Am Ballermann wird sie als Jahr der Jugend in die Geschichte eingehen. Und vielleicht als Beginn einer neuen Ära

Finch beim Closing im Megapark 2023 Ingo Wohlfeil

Das waren Bilder, die so selbst der erfahrenste Ballermann-Gänger noch nicht erlebt hat. Freitagabend (27.10.) gegen 21 Uhr stehen rund 1.500 meist junge Menschen vor dem Megapark. Drinnen gibt es schon seit Stunden keinen Platz mehr. 35 Euro Eintritt ruft der Partykomplex auf, an der Fast Lane sogar 50 Euro. VIP-Plätze sind ab 100 Euro zu haben. Aber es ist den Finch-Fans egal. Sie zahlen!

Eintritt, Jugend und Idole

Drei Erkenntnisse können aus dieser spätabendlichen Beobachtung eines Closing-Tages gezogen werden. Die Zeiten der Empörung über Eintritts- und hohe Getränkepreise am Ballermann sind endgültig vorbei. Es ist ein finaler Abschied von der Umsonst- und Billig-Kultur, und zweitens: Es gibt da einen Generationenwechsel an der Playa de Palma. Zehntausende junge Menschen sind am vergangenen Wochenende angereist, um Abschied von der Saison zu nehmen.

Wohl zum letzten Mal im Megapark zu sehen: Finch. Alexander Prautzsch

Drittens: Die Playa hat einen neuen, absoluten Superstar. Er heißt Finch, kommt aus Brandenburg und begeistert mit seinem Hardstyle-Rap die Massen. Selbst den Megapark-Machern ist die Überraschung über den Andrang anzumerken. Es wird eine Nacht, in der ein Umsatz an der Playa generiert wird, den es so noch nie gegeben hat. Womit wir wieder beim ersten Punkt wären.

Howard Carpendale oder Sido?

Mit der Möglichkeit, fortan unwidersprochen mit Eintritt Umsatz generieren zu können, hat der Megapark ein Tor für Künstler aufgestoßen, die bisher zu hochpreisig für die Playa waren. Lag die Gagen-Grenze vor einigen Jahren noch bei 12.000 Euro (für Jürgen Drews und Mickie Krause), so hat die neue Generation, vertreten durch die Influencer Knossi oder Marc Eggers, längst die Gehaltsschallmauer gesprengt. Plötzlich werden Gagen gezahlt, die durchaus auch für gestandene Künstler interessant sein könnten, für Howard Carpendale, Roland Kaiser, Andrea Berg oder in anderen Genres Sido, Cro oder Mark Forster. Wobei eines ganz eindeutig an dem Closing-Wochenende zu erleben war: Der Megapark wird in Zukunft verstärkt auf Influencer setzen. Der Partykomplex lud die reichweitenstärksten Tiktoker und Youtuber Deutschlands auf eine exklusive Party inklusive Livestream ein – auf die Finca des ermordeten Bierkönig-Besitzers Manfred Meisel.

Die Palette wird breiter

Dass der Ballermann mitten im Zeitgeist angekommen ist, war bereits in der letzten Saison zu bemerken. Die post-coroneske Partysehnsucht katapultierte Songs wie „Layla“ oder „Lea“ hoch in die deutschen Charts.

Mallorca-Partys gab es in Deutschland jede Woche Dutzende, und all diese Umstände führten 2023 zu einem Tsunami an Ballermann-Songs, der selbst den tolerantesten DJ überforderte. Dennoch werden Lieder aus dem unerschöpflichen Fundus dieser Saison in Erinnerung bleiben; „Inselfieber“ (Peter Wackel), „Delfin“ (Isi Glück), „Bumsbar“ (Schürze, DJ Robin, Ikke Hüftgold), „Peter Pan“ (Julian Sommer & Mia Julia), „Nie mehr alkoholfreie Getränke“ (Mickie Krause) waren die Hits der „Malle-Saison“. Hinzu kam der frische Wind, den neue Künstler wie Rumbombe, Inki Nici und David Dichter oder Malle Kalle brachten.

Kölsche Woche meets Tabana

Überhaupt wurde einiges ausprobiert. Der Bierkönig schuf erstmalig zu Beginn des Septembers seine eigene „Kölsche Woche“ und holte Kölsche Kultbands wie „De Höhner“ oder „Funky Maries“ auf die Bühne. Mit der MK Arena entstand ein Club, der sich weitgehend dem Ballermann-Nachwuchs widmet. Da blieben Namen wie „Tobi Torpedo“ oder„ Koma Oma“ in Erinnerung. Und mit dem Tabana öffnete nahe der Partyzone ein Showrestaurant seine Pforten, dass auf gehobenes Entertainment während des Abendessens setzt, aber auch seit diesem Jahr die Motorradmesse Mallorce Custom Days beherbergt.

Auftakt der "Kölschen Woche": So war der Auftritt der Höhner im Bierkönig Nele Bendgens

Insel-Sehnsucht und Alk-Wahn

Und so bedienten die Unternehmer die ganze Klaviatur aus Dur wie Inselsehnsucht und Moll wie Alk-Wahn mit der Konsequenz, dass die Playa in diesem Jahr durchgängig gut gefüllt war. Gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Löcher mit niedrigem Besucheraufkommen, so stopfte man sie dieses Jahr mit Party People, die ihre Stars sehen wollten.

Sowieso: So lang war die Saison noch nie. Das Ziel der Insel-Vorgängerregierung, die Saison möglichst lang zu strecken, um die Massen ausgewogener zu verteilen, ist erreicht. Ein anderes Ziel wurde allerdings verfehlt, aber das war auch erwartbar.

Der Mob im Mai

Den Sauftourismus hat die Regierung erneut nicht eindämmen können. Gefühlt war es – mal wieder – „schlimmer als je zuvor“. Der Mob übernahm zeitweise ganz die vermüllten Strände und Straßen. Besonders in den „Fußball“-Monaten Mai und Juni herrschte gefühlte Anarchie zwischen den Balnearios fünf und sieben.

Fußballer an der Playa Bendgens

Suff & Sicherheit

Folgt man den Klagen der Residenten, gab es nie so viele Schnapsleichen über den Tag verteilt wie in dieser Saison. Überall lagen die Suffköppe, um ihren Rausch auszuschlafen und um sich dabei – egal zu welcher Uhrzeit – beklauen zu lassen. Auch da gab es eine neue Qualität, denn selten zuvor gingen die Diebe so brutal vor. Raubüberfälle mit Körperverletzungen gab es zuhauf. Als zusätzliches Sorgenkind erwies sich an der Playa ausgerechnet eine Personengruppe, die eigentlich für den Schutz der Gäste verantwortlich sein sollte: die Security.

Wie Vieh durch die Straßen getrieben: Playa-Sicherheitsleute prügeln auf deutsche Mallorca-Urlauber ein

Wie Vieh durch die Straßen getrieben: Playa-Sicherheitsleute prügeln auf deutsche Mallorca-Urlauber ein

Besonders heftig setzte sich das Sicherheitsteam des Bamboleo in Szene, das vor Dutzenden Zeugen auf offener Straße eine ganze Fußballmannschaft zusammendrosch, inklusive jeder Menge Kollateralschäden bei Unbeteiligten. Im Megapark wurden nach verschiedenen Vorfällen drei Sicherheitsbedienstete vorläufig festgenommen, und auch das Bierkönig-Team lieferte sich handfeste Scharmützel mit Rockern oder anderen Besuchern, die sich allesamt für unschuldig hielten und nach eigener Aussage vollkommen willkürlich und unverhältnismäßig hart verprügelt wurden. Als Konsequenz daraus tragen einige Ordner nun Bodycams, um zukünftig strittige Situationen schneller bewerten zu können.

Zwei unfassbare Morde

Aber auch der Fall von sechs mutmaßlichen Gruppenvergewaltigern machte internationale Schlagzeilen und ließ Eltern an dem jugendlichen Wunsch nach Ballermann-Urlaub zweifeln. Vier Deutsche sitzen immer noch in Untersuchungshaft und zu ihnen gesellten sich weitere Landsmänner, die im Suff oder Drogenrausch übergriffig wurden. Zuletzt schockierte ein brutaler Messermord unter deutschen Residenten die Öffentlichkeit. Schließlich dann noch ein Mord unter gruseligsten Umständen aus dem vergangenen Jahr, dessen Rätsel jetzt erst gelöst werden konnte.

Einer Gruppenvergewaltigung beschuldigt: Die deutschen Urlauber bei der Haftvorführung am 15. Juli Enrique Calvo

Cooler Wirtschaftsmotor

So bleibt trotz der erneuten Rekordsaison ein übler Beigeschmack. Doch auch wenn das Sicherheitsgefühl an der Playa in diesem Jahr erheblich gelitten zu haben scheint, hat der Ballermann in der Außenwahrnehmung das Gewand des Schmuddelkindes abgestreift. Mit seinem Partytourismus hat er sich als einer der Wirtschaftsmotoren der Insel erwiesen, und das wird sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern. Die Jugend findet den Ballermann keineswegs mehr asozial. Sondern cool und trendy.

Artikel teilen

stats