Ein Comic erzählt die Geschichte zweier junger Deutscher, die Kriegsfotografen im Spanischen Bürgerkrieg wurden

Hans Namuth und Georg Reisner hatten 1935 ein Studio auf Mallorca und porträtierten reiche Touristen. Dann nahmen ihr Leben und ihre Karriere eine dramatische Wendung

Ausschnitt vom Cover der Graphic Novel "Photographes de guerre".

Ausschnitt vom Cover der Graphic Novel "Photographes de guerre". / Verlag Albin Michel

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Barcelona, 19. Juli 1936, zwischen 4 und 5 Uhr morgens. Hans Namuth notiert: „Ich bin von einem Geräusch wach geworden, von dem ich dachte, es sei ein Feuerwerk. Ich glaubte, die Feier hätte begonnen.“ Doch der junge, 1915 in Essen geborene Fotograf irrte sich gewaltig. Am Tag der geplanten Eröffnung der Volksolympiade, einer Gegenveranstaltung zu den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin, erhoben sich spanische Generäle gegen die Republik – der Beginn des Spanischen Bürgerkriegs.

Gemeinsam mit seinem guten Freund Georg Reisner (Breslau, 1911) sollte Namuth für das französische Magazin „Vu“ ursprünglich die Athleten fotografieren. Stattdessen betrachteten es die jungen Antifaschisten, die Deutschland verlassen und sich 1933 in Paris kennengelernt hatten, nun als ihre Pflicht, die Geschehnisse in Spanien zu dokumentieren – und ahnten noch nicht, dass sie in den kommenden Monaten etliche dramatische Aufnahmen vom Kriegsgeschehen machen würden.

Bewaffnet mit der Kamera

„Sie wollten kämpfen. Aber nicht mit Waffen, sondern mit ihren Kameras“, sagt Raynal Pellicer im Gespräch mit der MZ. Der französische Autor, dessen Großvater aus Valencia stammte, hat sich schon häufig mit der Geschichte der Fotografie beschäftigt. „Immer, wenn vom Spanischen Bürgerkrieg die Rede ist, spricht man von Robert Capa“, so Pellicer. Ihm sei aber wichtig, auch die vielen anderen bedeutenden Fotografen, die sich Tag für Tag an die Front wagten, zu würdigen.

Zusammen mit dem Zeichner Titwane, mit dem er bereits mehrere dokumentarische Projekte umgesetzt hatte, erzählt er die Geschichte von Namuth und Reisner als eindrucksvolle Graphic Novel. Im Oktober 2023 erschien sie beim französischen Verlag Albin Michel, noch in diesem Jahr soll eine spanische Fassung des Comics auf den Markt kommen. Und Pellicer hofft, dass das Buch in Zukunft auch auf Deutsch erhältlich sein wird.

Seite aus dem Comic "Photographes de guerre"

Seite aus dem Comic "Photographes de guerre" / Verlag Albin Michel

Plötzlich mittem im Sturm

Der Autor selbst kam durch die Zeitung „Le Monde“ erstmals mit dem Thema in Berührung. Als er auf einen Beitrag mit einem Bild der beiden Freunde stieß, wurde er stutzig: „Ich sah zum ersten Mal, dass einer Kriegsfotografie zwei Namen zugeordnet wurden. Das schien mir sehr merkwürdig“, so Pellicer. Einer der beiden war ihm bereits bekannt: Nachdem Hans Namuth 1941 nach New York emigriert war, wurde er berühmt für Foto- und Filmaufnahmen von Jackson Pollock.

Pellicer vertiefte sich in die Recherche über Namuth und Reisner. Und war von der Geschichte der beiden Freunde, die ins Zentrum eines Sturms gerieten, tief bewegt: „Sie waren zu Beginn noch so jung, erst 21 und 24 Jahre alt!“, betont er. „Aber sie gehörten zu den Ersten, die sich den Nazis in Deutschland widersetzten. Und sie lebten danach ein Leben im Exil, voller Brüche und Kämpfe.

Fotostudio in Port de Pollença

Ohne den Ausbruch des Bürgerkrieges hätte nicht nur das Leben der beiden jungen Männer, sondern auch ihr fotografisches Werk eine völlig andere Richtung genommen. Denn im Sommer 1935 eröffnete Georg Reisner ein Fotostudio in Port de Pollença. Gemeinsam mit Hans Namuth fertigte er dort Touristenporträts an, vor allem von reichen US-Amerikanern und Briten, bis die Fotografen schließlich nach Barcelona entsandt wurden.

Im Comic ist dieser Episode eine Doppelseite gewidmet. Sie illustriert, wie sich die beiden Deutschen im Zuge des Militärputsches um ihre Landsleute sorgen, die nach Hitlers Machtergreifung auf die Insel geflüchtet waren. Und wie ihnen klar wird, dass sie selbst nicht nach Mallorca zurückkehren können – und somit ihr Studio, ihr Equipment und ihr Archiv aufgeben müssen. Ein harter Schlag. „Das ist ihnen sogar zweimal passiert“, sagt Pellicer. Als Frankreich 1940 von Deutschland besetzt wird, verlieren sie erneut ihr Studio, das sie zu dieser Zeit in Paris betreiben. Das ist auch der Grund, weshalb nur sehr wenige Fotografien erhalten sind, die nicht in Zeitungen gedruckt wurden.

Anfang des Comics: Hans Namuth 1941 bei der Überfahrt in die USA.

Anfang des Comics: Hans Namuth 1941 bei der Überfahrt in die USA. / Verlag Albin Michel

Historisch exakt und persönlich

Raynal Pellicer und Titwane nutzten als Quellen Fotografien aus dem Archiv, Artikel und Bücher. Vor allem aber suchte der Autor den Kontakt zu Nachkommen und Familienangehörigen. So sammelte er persönliche Erzählungen, Telegramme und Briefe, um den Werdegang von Namuth und Reisner zu rekonstruieren. Die Graphic Novel hat dokumentarischen Anspruch und erzählt die historischen Ereignisse zugleich anschaulich und detailreich. Die Hintergründe und Fakten halten aber stets die Balance mit dem Erleben der Protagonisten: Titwanes Zeichnungen, die mit wenig Farbe auskommen, sind besonders stark, wenn sie Emotionen – Kampfgeist, Mitgefühl, Angst oder Verzweiflung – in Blicken, Körperhaltungen und Gesten festhalten. An manchen Stellen ist dazu kaum Text nötig.

„Für Georg Reisner war die Situation besonders schwierig: Er war ein pazifistisch eingestellter Sozialist, homosexuell und Jude. Drei Dinge, die im Frankreich von 1940 lebensgefährlich waren“, sagt Pellicer. Reisner sah keinen Ausweg mehr und beging Suizid. Auf den letzten Seiten der Graphic Novel blickt er den Leser direkt an, sein Antlitz versinkt mehr und mehr in Dunkelheit. Namuth sind indes die ersten Seiten gewidmet. Bei der Überfahrt in die USA denkt er über die Geister nach, die er hinter sich ließ. Der Fotograf sollte noch weitere 50 Jahre leben. 1990 starb er an den Folgen eines Verkehrsunfalls.

Cover des Comics "Photographes de guerre".

Cover des Comics "Photographes de guerre". / Verlag Albin Michel

Graphic Novel „Photographes de guerre“, Raynal Pellicer und Titwane, auf Französisch, Verlag Albin Michel, 152 Seiten, 22,90 Euro, albin-michel.fr.

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