Ganz klar: Mallorca ist ein sicheres Reiseziel. Und doch: Im Jahr 2021 gab es laut den Zahlen des spanischen Statistik-Instituts INE auf den Balearen 896 Raubüberfälle, bei denen die Opfer eingeschüchtert oder verletzt wurden, 1.921 Einbrüche und 16.433 Taschendiebstähle – wenig im Vergleich zu vor der Pandemie: Im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es 1.315 Raubüberfälle, 6.166 Einbrüche und 26.408 Taschendiebstähle. In den „touristischen Zentren und Ausflugszielen“ auf den Balearen sei „Vorsicht vor Taschendieben“ angebracht, rät auch das Auswärtige Amt, und: „Weiterhin sind Einbrüche in Ferienunterkünfte zu beobachten.“ Tatsächlich steigen die angezeigten Vorfälle gerade in den Sommermonaten sprunghaft an. Die Polizei scheint trotz saisonaler Verstärkung vom Festland ob der Kleinkriminalität oft überfordert. Zurück bleiben Opfer, die sich mit ihren teils traumatischen Erlebnissen häufig alleingelassen fühlen. Drei Erfahrungsberichte.

Dreister Einbrecher in Son Serra

Es sollte der Jahresurlaub werden. Drei Wochen Mallorca, in einem angemieteten Ferienhäuschen in Son Serra de Marina. Doch was Sonja und Iris (Namen von der Redaktion geändert) im Juni erlebten, beschreiben sie selbst als „kleinen Albtraum“. Schon bei der Schlüsselübergabe warnte die Vermieterin des Ferienhauses die beiden Berlinerinnen: Es seien Banden unterwegs, die klingelten, um angeblich neue Handtücher zu bringen, und dann Wertgegenstände entwendeten. „Einfach nicht einlassen“, riet die Spanierin.

"Ich war geschockt, konnte es gar nicht so schnell realisieren, rannte kurz hinterher, gab es aber schnell auf"

Der zweite Urlaubstag, 13 Uhr mittags: Iris sitzt vorne auf der Terrasse, direkt an der Hauseingangstür, ihre Freundin ist nicht weit entfernt am Pool. „Plötzlich hörte ich die Türklinke der Hintertür, die ich von meinem Platz aus sehen konnte“, erzählt Iris. Die Tür war aber abgeschlossen. „Ich dachte, ich habe mich verhört. Doch wenige Sekunden später sah ich, wie jemand durch das Fenster kletterte und in Sekundenschnelle meine Umhängetasche griff. Ein mir unbekannter Mann. Er sah mich an, ganz unmaskiert, mir mitten ins Gesicht. Dann sprang er wieder aus dem Fenster und flüchtete in Richtung hinterer Garten.“ Auch jetzt, anderthalb Monate später, schwingt Anspannung mit, wenn Iris und Sonja von dem Vorfall berichten. „Ich war geschockt, konnte es gar nicht so schnell realisieren, rannte kurz hinterher, gab es aber schnell auf.“

Bargeld weg, Ausweise weg, Kreditkarten weg. „Wir hatten alles zusammen in der Tasche. Nur die Handys nicht.“ Wohl aber den Zweitschlüssel des eigenen Autos. Die Vermieterin begleitete die beiden zur Ortspolizei nach Can Picafort und übersetzte. „Wir wurden ernstgenommen, und die Beamten gaben sich Mühe, aber sie wirkten etwas überfordert. Sie sagten uns, dass die Fälle überhandnähmen.“ Niemand auf der Wache habe Deutsch oder Englisch gesprochen, letztlich sei sogar die Anzeigeschrift sachlich falsch aufgesetzt worden.

Auch die Guardia Civil schaltete sich ein. Die Beamten versuchten, die Frauen zu beruhigen. „Die Täter kommen nicht wieder, sagten sie uns.“ Weit gefehlt. Mehrmals versuchten die Unbekannten in den darauffolgenden Nächten, mit dem erbeuteten Zweitschlüssel das Auto der Berlinerinnen zu entwenden. „Wir hatten Glück, dass wir sehr hilfsbereite Schweizer Nachbarn hatten, die uns zugeparkt haben und uns auch Bargeld liehen“, so Iris.

"Die Freude am Individualurlaub wurde uns verleidet"

Doch mit den Nerven waren die Frauen am Ende. „Wir schreckten bei jedem Geräusch hoch, schliefen kaum und wenn, dann nur mit der Bauchtasche im Bett, wir bewegten uns nicht mehr frei. Es war eine ganz starke psychische Belastung, zumal wir auch nicht wussten, ob Iris Angst haben musste, weil sie den Täter ja gesehen hatte“, sagt Sonja. Vier Tage nach dem Einbruch brachen die Frauen ihren Urlaub ab. „Es ist ein schlimmes Gefühl, sich der kriminellen Energie schutzlos ausgeliefert zu fühlen. Die Freude am Individualurlaub wurde uns verleidet.“

Gesunde Vorsicht

Fälle wie der von Iris und Sonja sind keine Einzelfälle, aber auch nicht die Regel. Oft beklauen die Täter ihre Opfer unbemerkt auf der Straße, am Strand oder in der Disco. „Die Kleinkriminalität auf Mallorca wird oft unterschätzt, weil sie nicht so offensichtlich ist. Dabei ist eine gesunde Vorsicht angebracht – ähnlich wie auch in Deutschland“, sagt der deutsche Konsul Wolfgang Engstler. Fast 3.000 Mal stellten seine Mitarbeiter im Jahr 2019 zeitlich limitierte Reiseausweise als Passersatz aus, um deutschen Urlaubern die Rückreise in die Heimat trotz gestohlener oder verlorener Papiere zu ermöglichen.

Auch an den Wochenenden versuchen die Konsulatsmitarbeiter, die Kriminalitätsopfer so gut es geht in diesem Punkt zu unterstützen. Nicht selten wirkten die Deutschen von den Ereignissen mitgenommen. „Viele sind dann aber schon sehr dankbar und erleichtert, wenn sie wissen, dass für ihre Rückkehr alles geregelt ist“, so Engstler. „Oft sind sie auch unheimlich froh, auf Deutsch über die Ereignisse sprechen zu können.“

Die Polizei übernimmt

Erster Ansprechpartner für alles, was über das Ausstellen deutscher Ausweispapiere hinausgehe, sei die Polizei. An welche Polizei-Institution muss man sich wenden? Welche Wache hat auch am Wochenende auf? Wo wird Deutsch gesprochen? All diese Infos kann das Konsulat den Kriminalitätsopfern mitgeben. „Ab dann übernimmt aber die Polizei. Am besten ist es, Anzeige zu erstatten.“

Vor allem mit der Flughafenpolizei stehe das Konsulat in engem Kontakt. „Wenn dort Ausweisdokumente auftauchen, kontaktieren sie uns sofort.“ Engstler rät Urlaubern dringlichst, sich immer Kopien ihrer Dokumente zu machen. „Dadurch werden alle weiteren Schritte erleichtert.“ Ein Tipp, den auch Sabine und Iris beherzigt hatten. Sie waren letztlich nicht auf die Hilfe des Konsulats angewiesen.

Vorsicht auch im Urlaub!

Wer überfallen und dabei vielleicht auch noch verletzt wird, trägt oft seelische Schäden davon. Kein Grund also für die Polizei auf Mallorca, einen Überfall auf die leichte Schulter zu nehmen. Und doch können die Beamten gerade im Sommer angesichts der Menge an kleineren Straftaten nicht jeden Fall so sensibel bearbeiten, wie ihnen selbst oft lieb wäre. Es fehle schlicht die Zeit und das Personal, sagen sie. Resultat: Die Opfer fühlen sich nicht ernst genommen. Aus dieser Zwickmühle gibt es kein einfaches Entkommen. Ein Anfang wäre, dass Polizei wie Bürger – und gerade auch Urlauber – wachsam und umsichtig sind.

Das sagt die Statistik

Die Polizei auf der Insel ist bemüht, ihre Arbeit ins rechte Licht zu rücken. Just am Dienstagnachmittag (2.8.) schickte die Nationalpolizei eine längere Pressemitteilung heraus, in der eine Zwischenbilanz des Sommers gezogen wird. 120 Taschendiebe und andere Kleinkriminelle habe man seit dem 15. Mai direkt auf frischer Tat ertappt und sofort festgenommen, heißt es da. Insgesamt seien in den vergangenen Monaten über 300 Festnahmen wegen Diebstahl, Körperverletzung und Sachbeschädigung erfolgt. Man habe wie immer im Sommer die Einheiten der Nationalpolizei an belebten Orten, wie etwa dem Zentrum von Palma, dem Flughafen oder an der Playa de Palma deutlich verstärkt.

Überfall im Parc de la Mar

Trotzdem lassen sich Überfälle nicht verhindern, wie der, von dem Anna Kubikova (Name geändert) der MZ berichtet. Nicht mehr ganz so unbeschwert wie in der Vergangenheit geht die Slowakin seit dem 1. April durch Palma. An diesem Tag wurde die 51-jährige im Parc de la Mar von einem Unbekannten überfallen. Ein etwa 30-jähriger Mann mit einer Atemschutzmaske näherte sich ihr und wollte ihr die Handtasche entreißen. Sie wurde im Kampf mit dem Dieb um die Tasche zu Boden gerissen. „Ich schlug mehrmals mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf. Ich verlor an Kraft und letztendlich konnte er meiner Tasche habhaft werden“, berichtet Anna Kubikova.

"Kurz nach dem Überfall war ich sehr schreckhaft, hatte oft das Gefühl, ich werde verfolgt"

Eine jüngere Frau, die in der Nähe war, rief einen Krankenwagen. Die Polizei wolle nicht kommen, sagte sie zu Kubikova, sie habe sie angerufen. „Auch mein Lebensgefährte versuchte, die Polizei zu holen. Doch die Beamten sagten, sie könnten ja ohnehin nichts mehr ausrichten, da der Täter längst weg sei.“ Sie solle Anzeige erstatten, was sie nach einem dreiwöchigen Krankenhausaufenthalt auch tat.

Bei der Polizei hatte Kubikova das Gefühl, man nehme sie nicht ernst. „Ich bekam ein paar Fotos von möglichen Tätern vorgelegt, aber derjenige, der mich überfallen hat, war nicht dabei“, sagt sie. Noch immer kämpft sie mit den Spätfolgen des Überfalls. Zum einen körperlich: „Ich habe immer Kopfschmerzen, zumindest leichtere. Die Ärzte sagten mir, das dauere bis zu sechs Monaten, bis die wieder verschwinden.“ Zum anderen psychisch: „Kurz nach dem Überfall war ich sehr schreckhaft, hatte oft das Gefühl, ich werde verfolgt.“ Das habe sich inzwischen gebessert. Dennoch: „Wer so einen Überfall mit Verletzungsfolgen erlebt – das macht etwas mit der Person, die das erfahren musste.“

Sie sei nie ein ängstlicher Mensch gewesen, erzählt Anna Kubikova. Doch die Vorfälle häuften sich bei ihr. Im Januar wurde ihr Auto am Aussichtspunkt Sa Foradada aufgebrochen und Geld sowie eine Jacke entwendet. Im April dann der Überfall, und im Juli wurde ihr Fahrrad geklaut.

Polizei weist Vorwürfe von sich

Bei der Nationalpolizei ist man beinahe ein wenig beleidigt ob der Vorwürfe, dass man zu wenig tue oder die Opfer nicht ernst genug nehme. „Wir sind Tag und Nacht im Einsatz, verstärken gerade im Sommer unsere Einheiten, haben mit Abstand die meisten Festnahmen aller Polizeikörper und trotzdem nehmen wir angeblich die Opfer nicht ernst?“, fragt ein Sprecher der Nationalpolizei. „Das ist für uns wie ein Schlag ins Gesicht und ziemlich frustrierend für die Beamten.“ Die Polizei bemühe sich grundsätzlich immer zu erscheinen, wenn sie gerufen werde. „Außer es sind gerade wirklich alle Beamten im Dienst an anderen Tatorten, dann wird es schwierig.“ Aber selbst wenn tatsächlich niemand von der Nationalpolizei kommen könne, verständige man die Ortspolizei, die in Vertretung den Einsatz wahrnehme.

Angriff auf der Flaniermeile

Viele Straftaten kommen ohnehin nie zur Anzeige. So wie im Fall von Familie Maier (Name geändert), die Anfang Juli mitten auf der Flaniermeile Passeig del Born in Palma hinterrücks angegriffen wurde. Es war gegen Mitternacht, der 52-jährige deutsche Familienvater Rainer wartete mit seiner Frau Marianne und der 13-jährigen Tochter auf ein Taxi. Ein junger Mann sprang Rainer Maier so unvermittelt in den Rücken, dass er auf die Straße stürzte. „Er hat mich in der Öffentlichkeit angegriffen, und das trotz meinen 1,90 Meter Körpergröße und der kräftigen Figur“, berichtet Maier.

„Man hat doch ein bisschen Respekt und dreht sich öfter mal um, wenn man abends unterwegs ist“

Als er auf der Straße lag, griff ein zweiter Täter die Frau an und versuchte, ihr die Handtasche zu entreißen. Die 39-Jährige schaffte es, die Tasche bei sich zu behalten, und trat dem Angreifer zwischen die Beine. „Trotzdem hat er mich danach auf die Straße geschubst“, erzählt sie. Auch ihre Tochter hätten die insgesamt drei Angreifer auf den Asphalt gestoßen.

Letztlich habe ein junger Mann, der auf das Geschehen aufmerksam geworden war, den Täter niedergestreckt und dabei einen Schlag auf den Kopf bekommen.

Die Täter flüchteten ohne Beute. „Deshalb haben wir es nicht zur Anzeige gebracht“, so Rainer Maier. Die Familie suchte Schutz im nahe gelegenen Hotel Can Alomar. „Dort berichtete uns der Portier, dass es an dieser Stelle nicht zum ersten Mal zu einem solchen Überfall gekommen ist“, so Marianne Maier. „Wir haben kein Trauma davongetragen, zumal ich als Ex-Boxer kampferprobt bin, aber meine Tochter und meine Frau hat es schon mitgenommen“, sagt Rainer Maier vier Wochen später.

Und das Gefühl der Sicherheit sei verschwunden. „Man hat doch ein bisschen Respekt und dreht sich öfter mal um, wenn man abends unterwegs ist.“ Auch teuren Schmuck trage das Paar nicht mehr auf der Straße. „So ein Ereignis verändert die Wahrnehmung.“