Kein anderes Thema hat dem internationalen Ansehen Spaniens in der letzten Zeit so sehr geschadet wie der Konflikt um die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien. Das verbotene Referendum im Oktober 2017 lieferte unschöne Bilder vom harten Eingreifen der Sicherheitskräfte. Zahlreiche Firmen zogen vor der politischen Unruhe aus Katalonien ab. Schließlich stießen die drakonischen Haftstrafen für einige Politiker der Anführer der Unabhängigkeitsbewegung im Ausland auf Kritik.

Nun will die Linksregierung den wichtigsten Straftatbestand, für den mehrere Separatisten 2018 zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt worden waren, abschaffen. Denn die sogenannte „sedición“, die gewöhnlich als „Anstiftung zum Aufruhr“ übersetzt wird, ist ein überholtes Konzept, das in dieser Form in den Strafgesetzbüchern der europäischen Nachbarländer nicht auftaucht. Deswegen wurden die Auslieferungsanträge der spanischen Justiz für Separatisten, die nach den Vorfällen von 2017 ins Ausland flohen, bislang abgewiesen. Das Oberlandesgericht von Schleswig-Holstein etwa verweigerte Spanien die Ausweisung des auf der Durchreise festgenommenen früheren Ministerpräsidenten Kataloniens, Carles Puigdemont, weil im deutschen Recht der Tatbestand der „sedición“ nicht vorkommt.

Höchststrafe sinkt von 15 auf fünf Jahre

Der Oberste Gerichtshof (Tribunal Supremo) hatte die Separatisten wegen Anstiftung zum Aufruhr verurteilt und nicht wegen „rebelión“, welche die Anwendung von Gewalt voraussetzt und vergleichbar ist mit dem Hochverrat im deutschen Gesetzbuch. Die Koalitionspartner der Regierung, die sozialistische PSOE von Ministerpräsident Pedro Sánchez und das Linksbündnis Unidas Podemos, haben nun eine Reform des Strafgesetzes im Parlament eingereicht. Die „sedición“ weicht den „desórdenes públicos agravados“, also schweren öffentlichen Unruhen. Die Höchststrafe sinkt von 15 auf fünf Jahre.

„Ich habe immer gesagt, dass wir diesen Straftatbestand an das Recht der führenden Demokratien Europas anpassen müssen“, erklärte Sánchez. Tatsächlich führte die PSOE diesen Reformplan in ihrem Wahlprogramm vor drei Jahren. Doch die rechte Opposition warf dem Sozialisten vor, den Rechtsstaat zu verkaufen, um die separatistischen Parteien zufriedenzustellen. Die Reform sei der Preis für die Stimmen der Katalanen für den Haushalt, auf welche die Minderheitsregierung im spanischen Unterhaus angewiesen ist. Die Beteiligten weisen den Vorwurf zurück, doch die zeitliche Übereinstimmung der Reform der „sedición“ mit der Abstimmung über den Haushalt ist zumindest auffällig.

Missbrauch von Staatsgeldern

Die Republikanische Linke Kataloniens (ERC), der wichtigste Partner der Sánchez- Regierung im Parlament, will es bei der Gesetzesänderung nicht belassen. Die Separatisten fordern zudem eine Änderung des Straftatbestandes der Veruntreuung öffentlicher Gelder. Denn Politiker, wie der Vorsitzende von ERC Oriol Junqueras, wurden nicht nur wegen Anstiftung zum Aufruhr verurteilt, sondern auch wegen des Missbrauchs von Staatsgeldern, etwa für das Referendum 2017. Junqueras und die anderen Separatisten, die nicht ins Ausland geflohen waren, wurden 2021 von der Regierung begnadigt und kamen auf freien Fuß. Nicht betroffen davon ist das Verbot zur Ausübung öffentlicher Ämter. ERC würde ihren Chef Junqueras gern wieder zum Kandidaten machen, daher die Forderung nach einer Reform der Veruntreuung.

Nach Vorstellung der Republikaner sollte das Gesetz unterscheiden zwischen Amtsträgern, die sich öffentliche Gelder in die eigene Tasche stecken oder für einen anderen politischen Zweck entfremden, eben wie die Separatisten für den Unabhängigkeitsprozess. Das käme einer ganzen Reihe von Politikern zugute, die wegen diverser Korruptionsfälle verurteilt wurden. So etwa Spitzen der Sozialisten in Andalusien, wie José Antonio Griñán. Der frühere regionale Ministerpräsident bekam sechs Jahre Haft wegen seines Mitwissens bei der Veruntreuung von Hunderten von Millionen Euro an Steuergeldern, obwohl er sich persönlich nicht bereichert haben soll. Griñán könnte also von einer Änderung des Straftatbestandes profitieren.

Die Konservativen der PP beklagen eine Art Selbstamnestie der PSOE, und auch unter den üblichen Partnern der Regierung im Parlament ist man bezüglich dieses Themas skeptisch. Noch hat die PSOE der Forderung von ERC nach einer Änderung der Veruntreuung nicht zugestimmt.

Sánchez will den historischen Katalonien-Konflikt entschärfen

Fraglich ist, inwieweit die Reform der „sedición“ die Separatisten in ihrem selbst erwählten Exil bevorteilen könnte. Puigdemont hegt keine Überlegungen für eine Rückkehr nach Spanien, wo ihm der Prozess droht.

Der konservative Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo schießt sich derweil auf die Zugeständnisse von Sánchez an die Separatisten ein und versucht, den Unmut in Teilen der Sozialisten über diese Lage anzufeuern. Zwei der Regionalbarone, wie Emilio García Page von Kastilien La Mancha und Javier Lambán von Aragón, haben sich gegen die Reform der „sedición“ ausgesprochen. Francina Armengol von den Balearen dagegen dafür.

Sánchez will auf die Separatisten zugehen, um den historischen Konflikt zu entschärfen. In der Tat ist der Zuspruch für die Unabhängigkeit in den Umfragen gesunken und die jüngsten Proteste fielen verhaltener aus als in der Vergangenheit. „Die Situation in Katalonien ist heute viel besser als 2017“, sagte er.

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