An diesem Sonntag werden wieder Zehntausende Menschen zum Nationalfeiertag Kataloniens lautstark die Unabhängigkeit von Spanien fordern. Der 11. September, die Diada, erinnert an den Fall von Barcelona an die Truppen der Bourbonen im Spanischen Erbfolgekrieg, infolgedessen die Katalanen ihre historischen Rechte und ihre Autonomie verloren. Seit einiger Zeit wird der Feiertag fest von den Separatisten für ihre Sache eingenommen. Dabei ist laut Umfragen und Wahlergebnissen rund die Hälfte der Gesellschaft gegen eine Abspaltung von Spanien.

Fünf Jahre nach den dramatischen Wochen um ein nicht legales Referendum und den Versuch einer Unabhängigkeitserklärung steckt die Bewegung tief in der Krise. Die Diada am Sonntag bestätigt den Riss. So hat der katalanische Ministerpräsident Pere Aragonés, von der Republikanischen Linken ERC, seine Teilnahme an der Demonstration in Barcelona abgesagt, wie auch alle anderen Spitzenpolitiker der Partei, die für die Unabhängigkeit eintritt. Grund ist ein Aufruf der Organisatoren der Hauptveranstaltung der Diada, der mächtigen separatistischen Bürgerbewegung ANC. Sie gibt den Politikern die Schuld dafür, dass der Abspaltungsprozess nach dem gescheiterten Aufbegehren im Oktober 2017 derzeit in einer Sackgasse steckt. „Man kann von den Parteien nichts mehr erwarten, nur das Volk und die Zivilgesellschaft können die Unabhängigkeit erreichen“, heißt es in dem Manifest der ANC zum 11. September.

Separatisten gegen Separatisten

Die regierende ERC wirft der Bürgerbewegung vor, dass Lager der Unabhängigkeitsbefürworter zu spalten. Die ANC schieße sich in den eigenen Fuß, kritisierte Marta Viralta vom Vorstand der ERC. Sie hoffte darauf, dass die Organisatoren noch vor dem Sonntag ihren Fehler korrigieren werden.

Die Spaltung der Separatisten zeichnet sich schon seit Längerem ab und zieht sich auch durch die Parteienlandschaft. Auf der einen Seite stehen die Verfechter eines harten Konfrontationskurses gegen den spanischen Staat und der Forderung nach einer einseitigen Abspaltung. Auf der anderen Seite stehen Politiker wie Aragonés und seine ERC, die zur Erkenntnis gekommen sind, dass man nur durch Verhandlungen mit der Regierung in Madrid Fortschritte in Richtung eines erhofften legalen Referendums erzielen kann.

So war es im vergangenen Jahr

Die Spannungen waren bereits bei der letztjährigen Diada deutlich. Regierungschef Aragonés wurde von Teilen der Demonstranten ausgebuht, da er sich auf einen runden Tisch mit der spanischen Linksregierung von Pedro Sánchez eingelassen hatte, wo eine „politische Lösung“ des Konflikts um die Unabhängigkeitsbestrebungen gefunden werden soll. Die Polizei zählte 100.000 Teilnehmer der Demonstration, die Veranstalter sprachen von vier Mal so viel. In jedem Fall kamen deutlich weniger Unabhängigkeitsbefürworter nach Barcelona als vor der Pandemie. So wurden im vergangenen Jahr 219 Reisebusse für den Transfer der Demonstranten aus ganz Katalonien eingesetzt. 2019 waren es 1.200 Busse, und die Polizei zählte mehr als 600.000 Demonstranten. In den Jahren vor der Volksbefragung, die vom spanischen Verfassungsgericht verboten worden war, zog die Diada oft mehr als eine Million Menschen auf die Straßen der katalanischen Hauptstadt, und die Bilder von aufwendig gestalteten Mosaiken der Menschenmenge gingen um die Welt.

Die Vorgeschichte

Nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung im katalanischen Parlament im Oktober 2017 zog die spanische Regierung die Reißleine. Einige Separatisten flohen vor dem Zugriff der Justiz ins Ausland, darunter der damalige Regierungschef Carles Puigdemont. Andere landeten im Gefängnis, wie der damalige stellvertretende Ministerpräsident Kataloniens, Oriol Junqueras von der ERC. Eine Zeit lang waren die harten, jahrelangen Haftstrafen für die Politiker zusätzliche Antriebsquelle für die Proteste der Separatisten. Mittlerweile sind Junqueras und seine Mitstreiter von der Sánchez-Regierung begnadigt worden und wieder auf freiem Fuß.

Puigdemont und ein paar seiner früheren Minister kämpfen dagegen in ihrem selbst gewählten Exil in Belgien weiter gegen eine Auslieferung nach Spanien, wo ihnen der Prozess droht. Der Europäische Gerichtshof entscheidet in den kommenden Monaten darüber, ob die belgische Justiz dem Haftbefehl der spanischen Richter folgen muss und die Separatisten ausliefert. Puigdemont, der im belgischen Waterloo eine Art Exil-Regierung aufgebaut hat, ist daheim in Katalonien allerdings nicht mehr so einflussreich. In der Koalitionsregierung haben nach den letzten Wahlen Aragonés und die ERC die Führung. Die von Puigdemont ins Leben gerufene Partei Junts hat sich gespalten. Die Vorsitzende Laura Borrás musste die Präsidentschaft des katalanischen Parlaments abtreten, da die Justiz wegen Korruptionsvorwürfen gegen sie ermittelt. Junts will nun die Parteibasis darüber befragen, ob man die Koalition mit ERC beenden soll und Neuwahlen riskiert.

Alles in allem ist die Stimmung im Lager der Separatisten vor der diesjährigen Diada im Keller. Eine etwaige politische Lösung des Konflikts in Katalonien liegt jedoch in weiter Ferne, denn Madrid lehnt die Forderung nach einem legalen Referendum kategorisch ab.