Im Juni 2018, nachdem der konservative Ministerpräsident Spaniens Mariano Rajoy wegen der Korruptionsfälle in seiner Volkspartei (PP) über ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt war, richteten sich alle Blicke auf Alberto Núñez Feijóo. Der langjährige Regierungschef von Galicien galt in konservativen Kreisen als der am besten geeignete Kandidat für die Nachfolge Rajoys an der Parteispitze.

Beim Auftritt zur Verkündung seiner Entscheidung soll Núñez Feijóo damals zwei Redemanuskripte in der Tasche gehabt haben, eine mit der Begründung seiner Kandidatur und eine andere, um zu erklären, warum er lieber in Galicien bleibe. Am Ende entschied er sich gegen einen Umzug nach Madrid, wohl auch, weil er einer Kampfabstimmung gegen Soraya Sáenz de Santamaría, die unter Rajoy stellvertretende Ministerpräsidentin gewesen war, aus dem Weg zu gehen. Am Ende wählte die Partei überraschend den jungen Pablo Casado zum neuen Vorsitzenden.

Nun aber ist der Zeitpunkt für den Wechsel von Galicien in die spanienweite Politik gekommen. Núñez Feijóo wird auf einem Sonderparteitag der PP Anfang April zum neuen Vorsitzenden gewählt. Casado wurde in einem bizarren Machtkampf mit der Regierungschefin der Region Madrid, Isabel Díaz Ayuso, von seinen Parteifreunden abgesägt. Daher hat sich der Galicier als erste Aufgabe vorgenommen, die „Blutungen“ der Partei durch den in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Zwist zu überwinden, oder wie er es in einem Interview formulierte, „den Patienten zu stabilisieren“.

Der 60-jährige Galicier wird mit seiner Wahl zum PP-Vorsitzenden auch Oppositionsführer in Spanien. Allerdings hat er das Manko, dass er im Unterhaus kein Rederecht besitzt, da er kein Abgeordneter ist. Im Senat kann er dagegen als Ministerpräsident Galiciens den spanischen Regierungschef Pedro Sánchez herausfordern. Vielleicht auch deswegen hat es Núñez Feijóo nicht eilig, seinen Posten in Galicien aufzugeben.

Strategie statt Attacke

In Spanien erwartet man einen Stilwechsel der wichtigsten Oppositionskraft, auch wenn der Kurs unter dem neuen Chef nicht klar ist. „Ich bin nicht gekommen, um Pedro Sánchez, zu beschimpfen, sondern um Pedro Sánchez zu besiegen“, sagte der Konservative. In seinen mehr als drei Jahren als Oppositionsführer hatte Casado oft einen extrem aggressiven Ton gegenüber der Koalitionsregierung aus Sozialisten und Linken angeschlagen, auch mit irrwitzigen Argumenten wie etwa dem Vorwurf, die Regierung unterschlage die wahre Zahl der Corona-Toten absichtlich.

In ersten Äußerungen nach Bekanntgabe seiner Kandidatur ließ Núñez Feijóo durchblicken, dass er sich mit dem Sozialisten Sánchez auf staatstragende Abkommen einigen kann. Das wurde als Zeichen dafür gedeutet, dass er die Blockade bei der Erneuerung des Selbstverwaltungsorgans der spanischen Justiz, dem CGPJ, aufheben könnte. Im Ukraine-Krieg steht Núñez Feijóo hinter der Regierung. Allerdings nutzte er die Diskrepanzen innerhalb der Koalition über spanische Waffenlieferungen, um den Rücktritt der Ministerin des Koalitionspartners Podemos, Ione Belarra zu fordern.

Damals noch gute Freunde: Pablo Casado und die Madrider Ministerpräsidentin Isabel Díaz Ayuso DM

Analysten zerbrechen sich dieser Tage den Kopf darüber, wofür Núñez Feijóo eigentlich steht. Dabei wird das Klischee der Unentschlossenheit und Zweideutigkeit der Galicier bemüht. Rajoy, ebenfalls aus der Region am Atlantik, war berüchtigt dafür, dass er Aussagen oft mit der Floskel „oder auch nicht“ beendete. Núñez Feijóo ist ebenso schwierig zu fassen. In den vergangenen Jahren hat er den Oppositionsstil Casados vorsichtig kritisiert, den jungen Parteichef gleichzeitig aber als Hoffnungsträger der Partei gepriesen.

Alberto Núñez Feijóo wurde in der galicischen Provinz Ourense geboren und wuchs in dem Dorf Peares auf. Er studierte Jura in Santiago de Compostela und trat 1985 in den Staatsdienst ein. Erfahrungen in der Privatwirtschaft hat er nicht, denn 1991 begann seine politische Karriere als hoher Leiter im galicischen Landwirtschaftsministerium, dann wechselte er ins Gesundheitsministerium. Der konservative Spanien-Premier José María Aznar holte den jungen Galicier 1996 nach Madrid, zunächst als Chef der Gesundheitsbehörde Insalud, danach der Post (Correos).

Núñez Feijóo kehrte 2003 nach Galicien zurück und wurde Bauminister unter dem Regierungschef Manuel Fraga, dem ehemaligen Franco-Minister und Gründer der heutigen PP. Als Nachfolger des Patriarchen gewann er 2009 in Galicien eine absolute Mehrheit, die er bei den drei folgenden Wahlen verteidigen konnte. Diese Erfolge in der konservativen Hochburg machten Núñez Feijóo zu einem Schwergewicht in der PP.

Wie mit Vox umgehen?

Mit 60 Jahren wagt der Familienvater nun den Sprung auf die große Bühne nach Madrid. Núñez Feijóo erbt von seinem Vorgänger zwei Probleme: den Umgang mit der rechtsextremen Vox sowie mit der unberechenbaren Díaz Ayuso. Bezüglich Vox hat der designierte Oppositionsführer schon ein Zeichen gesetzt: Die PP beteiligt sich nicht an einer von den Rechten organisierten Demonstration gegen die hohen Energiepreise am 19. März. Casado war häufig zusammen mit Vox gegen die Linksregierung auf die Straße gegangen. „Ich teile den Diskurs von Vox nicht“, so Núñez Feijóo. Allerdings scheut er sich davor, die Partei als extrema derecha (Rechtsextreme) zu bezeichnen.

Casado hatte versucht, Vox kleinzuhalten, indem er deren Positionen zum Teil übernahm. Das ging schief. Im Galicien von Núñez Feijóo sitzen die Rechten dagegen nicht einmal im Parlament. Der erste echte Test für den angehenden PP-Chef ist Kastilien-León, wo die PP nach den vorgezogenen Wahlen vom 13. Februar entscheiden muss, ob sie mit Vox regiert. Núñez Feijóo hat die Entscheidung ganz auf den regionalen PP-Chef Alfonso Fernández Mañueco geschoben. Doch mittelfristig kommt der Galicier nicht um die Festlegung herum, wie er es mit Vox hält.

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Die Madrider Regionalchefin Díaz Ayuso hat jedenfalls keine Berührungsängste. Nach dem Machtkampf versicherte die 43-Jährige, dass sie keine Ambition über die Hauptstadt hinaus habe. Ihre Achillesferse ist ein Vertrag ihrer Regierung zur Beschaffung von Corona-Schutzmasken, an dem ihr Bruder mitverdiente. Dies war der Auslöser des Konflikts mit Casado. Der Fall liegt nun bei der Staatsanwaltschaft und könnte noch Wellen schlagen.

Seinen Kurs will Núñez Feijóo auf dem Parteitag im April erläutern. Derweil wirbt er mit seiner Expertise in Galicien: „Ich glaube, dass Politiker Führungserfahrung mitbringen müssen. Man kann nicht als Lehrling an die Regierung kommen.“ Viele verstanden dies als Seitenhieb auf den unerfahrenen Casado.