Kompromisse und Pragmatismus: Wie es um die Beziehungen zwischen Spanien und Marokko steht

Sánchez nimmt für ein gutes Verhältnis so einiges in Kauf. Dennoch ist das Miteinander kompliziert. Jetzt steht das erste Regierungstreffen seit acht Jahren an

Kehrtwende in den Beziehungen: Pedro Sánchez (li.) und Mohamed VI. bei einem Treffen in Rabat. | FOTO: EFE

Kehrtwende in den Beziehungen: Pedro Sánchez (li.) und Mohamed VI. bei einem Treffen in Rabat. | FOTO: EFE / Aus Madrid berichtet Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Spanien und Frankreich haben ihr bilaterales Verhältnis mit einem Freundschaftsvertrag auf eine neue Stufe gehoben, den die beiden Regierungschefs, Pedro Sánchez und Emmanuel Macron, am 19. Januar feierlich in Barcelona unterzeichneten. Auch zwischen Sánchez und seinem sozialistischen Parteifreund und Portugal-Premier António Costa sind die diplomatischen Beziehung so gut wie lange nicht mehr. Bleibt Marokko, das unbequemste Nachbarland Spaniens. Kommende Woche reist Premier Sánchez mit mehreren Ministern zu einem Gipfel in Rabat.

Es ist das erste offizielle Regierungstreffen seit 2015. Einen für Dezember 2020 vorgesehenen Gipfel sagten die Marokkaner unter Anführung etwas fadenscheiniger Gründe ab. Die Begegnung in Rabat wird nun ein Test für die Stimmung nach der radikalen Wende der spanischen Außenpolitik von Sánchez vor einem Jahr in einem der zentralen Konfliktpunkte zwischen Marokko und der früheren Kolonialmacht – der Zukunft der Westsahara.

Überraschende Kehrtwende

Im März 2022 verkündete Sánchez völlig überraschend, dass Madrid fortan die marokkanische Lösung für die ehemalige Kolonie an der Atlantikküste unterstützen werde, nämlich einen Autonomiestatus für die Region. Bis dahin hatte sich Spanien, wie die meisten westlichen Staaten und die Vereinten Nationen, bei der Frage einer Autonomie oder einem Referendum über den Status der Westsahara nicht festgelegt. Der Richtungswechsel in einer zentralen, jahrzehntelangen diplomatischen Position war nicht mit der Opposition, noch nicht einmal mit dem Koalitionspartner der Sozialisten, dem Linksbündnis Unidas Podemos, abgesprochen. Die Saharauis, deren Anspruch auf Unabhängigkeit in weiten Teilen der spanischen Gesellschaft Sympathie erntet, fühlen sich betrogen.

Sánchez begründete seine Entscheidung mit der Notwendigkeit, die extrem angespannte Beziehung zu Marokko zu verbessern. Die Regierung in Rabat war aufgebracht darüber, dass der Führer der Befreiungsbewegung der Westsahara, Brahim Galli, in einem spanischen Krankenhaus zur Behandlung aufgenommen worden war. Im Mai 2021 stürmten Tausende Migranten die spanische Enklave Ceuta, offenbar angetrieben von marokkanischen Agenten. Sánchez ersetzte seine Außenministerin Arancha González Laya durch José Manuel Albares, um die Wogen zu glätten, eine Strategie, die in der Annäherung an Marokko im Westsahara-Konflikt gipfelte.

Doch seitdem hat das Land Sánchez immer wieder großes Kopfzerbrechen bereitet, sei es durch einen Spionageskandal, das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Migranten in Melilla, der anderen spanischen Enklave, oder zuletzt bei den Bestechungsvorwürfen gegen EU-Parlamentarier, dem sogenannten „Katargate“. Der marokkanischen Regierung wird vorgeworfen, wie Katar Abgeordnete des EU-Parlaments bestochen zu haben, um das Image des Landes aufzupolieren.

Kröten schlucken

Am 19. Januar verurteilte das Parlament Marokko wegen Verletzung der Menschenrechte im Zusammenhang mit der Festnahme von drei Journalisten. Die Abgeordneten der spanischen Sozialisten stimmten dagegen, im Gegensatz zum Rest der Fraktion. Das marokkanische Parlament beschloss einen formellen Protest. In Spanien wurden die Sozialisten stark für ihre Haltung kritisiert. „Niemand, nicht einmal die PSOE selbst, vertuschen, warum man Marokko so viel durchgehen lässt“, kommentierte Ignacio Escolar, Chefredakteur von „eldiario.es“. „Es ist ein Nachbar, den die Regierung fürchtet und braucht. Migration, Terrorismus und die schwierige Situation von Ceuta und Melilla geben den Marokkanern einen Freibrief.“ Der sozialistische EU-Abgeordnete Fernando López-Aguilar verteidigte sich gegen die Angriffe. „Unsere Beziehung zu Marokko muss auf gegenseitigem Respekt beruhen, dafür muss man zur Not auch mal Kröten schlucken.“

Es war nicht das erste Mal, dass sich die spanische Regierung Kritik an Rabat verbat. Vergangenes Jahr wurde ein großer Spionageskandal bekannt. Den marokkanischen Sicherheitsbehörden wurde vorgeworfen, Sánchez, seine Verteidigungsministerin Margarita Robles, Innenminister Fernando Grande- Marlaska sowie auch einige Journalisten mit der israelischen Abhörsoftware Pegasus überwacht zu haben. Marokko stritt die Vorwürfe ab und klagte gegen einen der Journalisten, Ignacio Cembrero, vor einem Gericht in Madrid. Sánchez hielt sich aus der Sache heraus.

Dramen am Grenzzaun

Im Juni dann griffen die marokkanischen Sicherheitskräfte bei einem Ansturm von Migranten auf den Grenzzaun von Melilla mit brutaler Härte durch. Menschenrechtsorganisationen wie Caminando Fronteras haben bislang 40 Todesopfer gezählt. Sie werfen Madrid vor, den Schutz der Außengrenzen den Marokkanern überlassen zu haben. Im vergangenen Jahr sank die Zahl der illegalen Grenzübertritte aus Marokko gegenüber dem Vorjahr um 26 Prozent. Die EU hat Rabat für das Vorgehen gegen die Einwanderung bis 2027 500 Millionen Euro zugebilligt.

Schließlich hat die Wende im Westsahara-Konflikt auch den Nachbarn Algerien, den in den vergangenen Jahren wichtigsten Gaslieferanten, gegen Spanien aufgebracht.

Außenminister Albares kündigte an, dass noch vor dem Gipfel in Rabat am 1. und 2. Februar die Zollübergänge in Melilla und Ceuta eröffnet werden. Der in Melilla wurde von Marokko 2018 aus Protest geschlossen. In Ceuta gab es bisher nur einen Grenzposten für Personenverkehr, aber nicht für Waren. Es sind kleine Fortschritte, die Sánchez als Erfolg seiner umstrittenen Annäherung an Marokko verbuchen kann, auch gegenüber dem Koalitionspartner. Die Minister von Unidas Podemos haben auf ihre Teilnahme am Gipfel kommende Woche verzichtet.