Spanien wählt: Das sind die Kandidaten und ihre Strategien

An diesem Sonntag (23.7.) wird ein neues Parlament gewählt. Welche Optionen die Wähler haben

Yolanda Díaz, Alberto Núñez Feijóo, Pedro Sánchez und Santiago Abascal.

Yolanda Díaz, Alberto Núñez Feijóo, Pedro Sánchez und Santiago Abascal. / ALBERTO LÓPEZ. MADRID

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

An diesem Sonntag (23.7.) wählt Spanien ein neues Parlament. Wird Spanien-Premier Pedro Sánchez, dessen Sozialisten in einem Linksbündnis regieren, seine Macht verteidigen? Oder kommt es zum Machtwechsel, und eine konservative Regierung womöglich unter Beteiligung der Rechtspartei Vox übernimmt, so wie es die Wahlumfragen vorhersagen? Hier stellen wir die die Spitzenkandidaten und ihre Strategien vor.

Wer siegt im Löwenkäfig?

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Pedro Sánchez: das Stehaufmännchen

An Selbstbewusstsein, Entschlossenheit und Mut mangelt es Pedro Sánchez in keiner Weise, wie auch politische Gegner eingestehen. Der spanische Ministerpräsident gab 2017 ein unerwartetes Comeback an der Spitze seiner Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE), nachdem ihn das Partei-Establishment im Jahr zuvor vom Vorsitz verdrängt hatte. Monatelang fuhr er im Auto durch ganz Spanien, um die Stimmen der PSOE-Mitglieder für sich zu gewinnen. Ebenso überraschend löste Sánchez dann 2018 den Konservativen Mariano Rajoy durch ein konstruktives Misstrauensvotum an der Macht ab.

Vor den Parlamentswahlen am Sonntag (23.7.), die Sánchez aus politischem Kalkül unerwartet vorgezogen hat, steht der Sozialist den Umfragen nach vor einer Niederlage. Daher hält er die eigene Biografie hoch. „In der PSOE hatten wir es nie leicht. Das ist meine Geschichte in dieser Partei. Wir gewannen zweimal gegen alle Vorhersagen die Urwahlen. Gegen alle Vorhersagen gewannen wir auch ein Misstrauensvotum, um die Korruption in der Regierung abzusetzen. Was wird also am 23. Juli passieren? Wir werden die Wahlen gewinnen“, so Sánchez am Samstag (15.7.) vor gut 2.000 Zuhörern in Valencia.

Doch in allen Umfragen liegt die PSOE klar hinter der PP von Alberto Núñez Feijóo. Sánchez und seine Berater hatten sich lange auf die recht positive wirtschaftliche Bilanz der Regierung verlassen – mehr Wachstum und weniger Inflation als die meisten europäischen Nachbarn, eine positive Entwicklung am Arbeitsmarkt sowie steigende Renten und Gehälter. Doch die PP und konservative Medien schlachten die gegenwärtige Missstimmung und Verunsicherung in der Gesellschaft aus und haben den Unmut auf Sánchez fokussiert. Der Schlachtruf lautet „derogar el sanchismo“, also „den Sanchismus abschaffen“.

Die Sozialisten hatten dieses negative Stimmungsbild lange unterschätzt, bis zur Pleite bei den kommunalen und regionalen Wahlen am 28. Mai. Der Ministerpräsident ging zur Gegenoffensive über. Er gab eine Reihe von Interviews in ihm nicht gut gesinnten Medien, die er die Jahre zuvor gemieden hatte. Wieder einmal schlug sich der 51-jährige Madrilene überraschend gut und trat dem negativen Image des sanchismo entgegen. Doch dann floppte Sánchez ausgerechnet im einzigen TV-Duell mit Herausforderer Núñez Feijóo, der den Sozialisten mit einigen Halbwahrheiten aus der Fasson brachte.

Im Endspurt des Wahlkampfes setzt Sánchez nun vor allem auf die Stimmen der Frauen. Dabei macht er sich die anti-feministische Politik der rechtsextremen Vox, die vielerorts nach dem 28. Mai mit der PP regiert, zunutze. Er kann aber auch auf seine eigene Politik zur Gleichberechtigung verweisen. So wurden unter ihm erstmals mehr Frauen als Männer ins Kabinett berufen, darunter die drei Stellvertreterinnen des Ministerpräsidenten.

Im Ausland genießt der Premier derweil ein besseres Ansehen als zu Hause. Sánchez arbeitete im Europaparlament sowie für die UNO auf dem Balkan und spricht im Gegensatz zu Feijóo fließend Englisch. Als Gastgeber des Nato-Gipfels vor einem Jahr in Madrid erntete der Sozialist viel Lob. Nun muss er ausgerechnet den turnusgemäßen Vorsitz Spaniens im EU-Rat in diesem Halbjahr, der vermeintliche Höhepunkt seiner internationalen Karriere, mit dem Wahlkampf in Einklang bringen.

Vom EU-Treffen mit der lateinamerikanischen Staatengemeinschaft Celac Anfang der Woche in Brüssel verabschiedete sich Sánchez kurz, um zu einem Wahlkampfauftritt in Huesca zu fliegen, bevor er nach Brüssel zurückkehrte. Seit einiger Zeit wird darüber spekuliert, dass Sánchez sich für einen internationalen Top-Posten ins Spiel bringen will, sollte seine Regierungszeit am Sonntag beendet werden.

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Alberto Núñez Feijóo: der stoische Stratege

Alberto Núñez Feijóo scheint kaum etwas aus der Ruhe zu bringen. In TV-Interviews behält der Spitzenkandidat der Volkspartei (PP) eine stoische Ruhe und verzieht kaum das Gesicht, was sehr irritierend auf seine Gesprächspartner wirken kann. Während des TV-Duells mit Premier Sánchez machte der Herausforderer eher den Eindruck eines Staatschefs – ganz das Bild, das die PP von ihrem Vorsitzenden vermitteln will.

Núñez Feijóo wirft seine vier Amtszeiten von 2009 bis 2022 als Ministerpräsident von Galicien in die Waagschale. Dabei holte der 61-Jährige in der konservativen Hochburg im Nordwesten Spaniens vier Mal eine absolute Mehrheit.

Schon zu Zeiten seines galicischen Landsmanns Mariano Rajoy galt Núñez Feijóo als möglicher Nachfolger an der Spitze der PP. Nachdem Pablo Casado in einem heftigen Streit mit der mächtigen Ministerpräsidentin von Madrid, Isabel Díaz Ayuso, Anfang vergangenen Jahres als Vorsitzender geschasst wurde, verließ er Galicien und übernahm das Kommando der Spanien-PP und damit die Rolle des Oppositionsführers im Lande.

Anfangs galt der Jurist vielen am rechten Flügel seiner Partei als zu lasch gegenüber dem Sozialisten Sánchez. Doch Núñez Feijóo werkelte langsam, aber stetig an seiner Strategie. Mit dem schwer definierbaren Konzept des sanchismo spricht der Konservative die Ressentiments vieler Menschen gegen Ministerpräsident Sánchez an. Das bescherte der PP bei den Wahlen am 28. Mai ein Ergebnis, wie sie es selbst nicht erwartet hatte. Dazu gehört die Machtübernahme in wichtigen Regionen wie Valencia oder den Balearen sowie auch in Hunderten Rathäusern. Núñez Feijóo sitzt seitdem fest im Sattel. Und der Sieg der Volkspartei bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 23. Juli gilt vielen politischen Beobachtern als ausgemacht.

Doch auf den letzten Metern des Wahlkampfs kommt ein wenig Sand ins Getriebe. Seine politischen Gegner haben ein hinlänglich bekanntes, 30 Jahre altes Foto wieder ausgegraben, das Núñez Feijóo auf einer Yacht neben einem galicischen Drogenhändler zeigt. Schließlich schüren die Linken Zweifel an der Ehrlichkeit des Kandidaten. Dieser hat in vielen Auftritten Halbwahrheiten oder glatte Falschaussagen bemüht, etwa in der Debatte mit Sánchez, als es um die Rentenerhöhung ging.

Am Montag wiederholte Núñez Feijóo in einem Interview mit dem Staatssender TVE die Aussage, dass frühere PP-Regierungen die Renten immer gemäß der Inflation erhöht hätten. Als die Journalistin darauf bestand, dass dies für drei Jahre unter der PP-Regierung effektiv nicht zutrifft, geriet der sonst stoische Galicier leicht aus der Fassung. Später gestand er auf Twitter ein, in dem Interview „nicht exakte“ Angaben gemacht zu haben.

Der leichtfertige Umgang mit Fakten könnte Konsequenzen haben, denn ein wesentliches Merkmal des sanchismo, mit dem die Konservativen gegen den Regierungschef Stimmung machen, ist der Vorwurf, dass Sánchez ständig lüge. „Mir ist es wichtig, dass man mich nicht der Lügen bezichtigt“, erklärte Núñez Feijóo. „Denn sollte ich lügen, wäre ich ja nur ein weiterer sanchista.“

Der Kandidat der Volkspartei kämpft für eine große Mehrheit, mit der er eine Koalition mit Vox vermeiden könnte. Núñez Feijóo ignoriert die Rechtsextremen im Wahlkampf so gut es geht, und appelliert an rechte Wähler für eine Politik „ohne Blöcke und Blockaden“. Eine absolute Mehrheit wie in seiner Heimat Galicien ist in Spanien jedoch weitaus schwieriger zu stemmen.

Wer siegt im Löwenkäfig?

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Yolanda Dìaz: die diplomatische Kämpferin

Lange bevor die Parlamentswahlen um ein halbes Jahr vorgezogen wurden, arbeitete Yolanda Díaz an einer neuen Formation, die alle Gruppierungen links der Sozialisten vereinigt. Am Ende schlossen sich 15 linke Parteien dem Bündnis Sumar an, etwas widerwillig auch Podemos, weshalb es anfangs knirschte im Gebälk. „Politische Parteien sind kein Selbstzweck, sondern bloße Instrumente, um das Leben der Menschen zu verbessern“, erläuterte die 52-jährige Galicierin kürzlich vor Auslandskorrespondenten.

Sie selbst stammt aus einer sehr politischen Familie. Ihr Vater Suso war ein prominenter Widerstandskämpfer gegen die Franco-Diktatur und Gewerkschaftsführer in Galicien. Wegen ihm trat Díaz selbst in die Kommunistische Partei ein, doch ideologische Etiketten lehnt sie ab. „Ich hasse Fetischismen. Ich bin eine progressistische Frau und Tochter eines Anti-Franco-Kämpfers“, beschreibt sie sich.

Die Juristin arbeitete in ihrer Heimat Galicien als Anwältin für Arbeitsrecht und ging früh in die lokale Politik. In der Koalitionsregierung von Sozialisten und Linksbündnis Unidas Podemos wurde Díaz Anfang 2020 Arbeitsministerin und konnte einige Erfolge verbuchen. Mit diplomatischem Geschick und Dialog vereinbarte die Regierung mit den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden zahlreiche Maßnahmen, darunter die Reform des Arbeitsmarktes, deren gute Ergebnisse auch die politischen Gegner nicht mehr leugnen. Auch wenn sie stets auf Einvernehmlichkeit drängt, kann die Ministerin auch anders. Die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes setzte sie gegen den Widerstand der Arbeitgeber durch.

Harte Attacken und schmutzige Rhetorik sind Díaz eigentlich fremd. Doch sie kann auch kämpferisch sein. So hielt sie dem PP-Kandidaten Núñez Feijóo, den sie aus der gemeinsamen Heimat Galicien gut kennt, dessen frühere Kontakte zu einem Drogenboss vor. Ansonsten setzt die Kandidatin von Sumar mehr als andere auf konkrete, radikale Vorschläge wie die Einführung eines „universellen Erbes“ von 20.000 Euro für junge Menschen oder die Verkürzung der Arbeitswoche auf 32 Stunden. Einst wollte sie die erste spanische Ministerpräsidentin werden. Angesichts der Umfragen würde sich Díaz heute wohl mit der Rolle der stellvertretenden Ministerpräsidenten zufriedengeben.

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Santiago Abascal: der Rechtspopulist

Als stellvertretenden Ministerpräsidenten sähe er sich nicht, eher als Ministerpräsidenten, „wenn die Spanier es so wollen“, verriet Santiago Abascal. Das ist natürlich wahltaktisches Kokettieren. Aber in Spanien steht außer Frage, dass Vox in die nächste Regierung eintreten wird, sollte die konservative Volkspartei (PP) auf die Stimmen der Rechtspopulisten angewiesen sein, so wie es bereits in den Regionen Valencia, Kastilien-León und Extremadura sowie in zahlreichen Rathäusern der Fall ist. Mit Abascal wäre dann erstmals seit 40 Jahren wieder jemand in der Regierung, der der Franco-Zeit Gutes abgewinnen kann. Im Parlament erklärte der 47-jährige Baske, dass die Koalition aus Sozialisten und Linken die „schlechteste Regierung seit 80 Jahren“ sei, was die Diktatur bewusst mit einschließt.

Wie der Großteil der Wähler von Vox war Abascal früher bei der PP ideologisch zu Hause. Er folgte seinem Vater und war schon mit 23 Jahren bei den Konservativen aktiv, als Stadtrat und Abgeordneter im Baskenland. Abascal, der in seiner Geburtsstadt Bilbao Soziologie studierte, wurde politisch mit dem Terror der ETA und der Gewalt im Baskenland groß, die sich gegen Leute wie ihn richtete.

Die Separatismusbewegungen in seiner Heimat und in Katalonien sind bis heute der Schwerpunkt seines politischen Anliegens. „Ich habe keine Zweifel daran, dass es in Katalonien wieder zu Spannungen kommt, sollten wir regieren“, prophezeite der Kandidat am Dienstag (18.7.). Der Staat müsse zur Not länger in Katalonien intervenieren und die Autonomie aussetzen, um die Bevölkerung zu „überzeugen“, so der Kandidat.

Wegen Differenzen mit der konservativen Regierung von Mariano Rajoy im Umgang mit den Nationalisten trat er aus der PP aus und gründete 2013 Vox, deren Vorsitzender er bis heute ist. Im April 2019 zog die Partei mit zehn Prozent der Stimmen erstmals ins spanische Unterhaus ein und erhöhte den Anteil bei der Wahlwiederholung kurz darauf auf 15 Prozent.

Wie Rechtspopulisten anderswo auf der Welt setzt Vox auf identitäre Themen, die Ablehnung von Einwanderung und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels. In vielen Rathäusern, wo Vox nach den Wahlen von Ende Mai mit der PP regiert, sorgte die Partei dafür, dass die LGTBQ-Fahne abgehängt wurde. „Viele Homosexuelle identifizieren sich nicht mit der Message der Lobbys, so Abascal. Als Heterosexueller sehe er keinen Anlass, am spanischen Gay Pride (Orgullo Gay) teilzunehmen, „aber jeder ist frei zu tun, was er möchte“.

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