Es gibt die unterschiedlichsten Gründe, die Sportler dazu antreiben, sich täglich beim Training zu quälen. Viele wollen einfach nur die Besten in ihrer Sportart sein, andere möchten es den Eltern oder sich selbst beweisen, wieder andere machen es des Geldes wegen. Bei Joselyn Brea war es der natürliche Überlebenstrieb. Mit den Siegprämien der Leichtathletikwettkämpfe sorgte die Venezolanerin mit Wohnsitz in Calvià für ihren Lebensunterhalt. Was übrig blieb, ging zur Unterstützung an die Familie in die Heimat.

Gemeinsam mit ihrer Schwester Edymar gehört die 27-Jährige zu den besten Läuferinnen Südamerikas. In ihrer Jugend probierte sich Joselyn Brea im Triathlon aus. Doch im Wasser schwächelte sie schon immer. „Ich musste der Wahrheit ins Auge blicken. Im Schwimmen war ich nicht gut genug, um auf Weltklasseniveau im Triathlon antreten zu können. Im Dezember 2020 bin ich daher gänzlich zur Leichtathletik gewechselt.“

Zehn Jahre zuvor hatte sich die Venezolanerin bereits im Duathlon – in dieser Disziplin wird das Schwimmen weggelassen und nur geradelt und gelaufen – zur Juniorenweltmeisterin gekrönt: auf spanischem Boden in Avilés.

Die Erfahrungen in Spanien behielt sie stets im Hinterkopf. Nach der WM 2014 in Pontevedra fasste Brea den Entschluss, hierher auszuwandern und alles für die Sportkarriere zu investieren. „Ich musste mir alles allein erarbeiten. Ich komme aus einer einfachen Familie, meinen Geschwistern und mir wurde nie etwas geschenkt.“

„Von Spanien aus habe ich dann meiner Mutter regelmäßig Geld geschickt. Aber dennoch reichte es nicht aus, um die Familie zu ernähren.“

Bei der Juniorenweltmeisterschaft erbettelte sie sich Geld, um ein Abendessen vor dem Rennen einnehmen zu können. „Als ich mit 19 Jahren nach Galicien zog, musste ich mich selbst mit den Siegen bei den Volksläufen versorgen. Ich hatte Angst vor dem Schritt, da ich niemanden kannte. Meine Mutter sagte mir: Das ist deine Chance, die musst du nutzen.“

Die Entscheidung, ihre Heimat zu verlassen, hatte nicht nur sportliche Hintergründe. „Unter dem Präsidenten Hugo Chávez war die Situation im Land schon sehr schlecht. Als er aber 2013 starb, wurde mit der Übernahme von Nicolás Maduro alles noch schlimmer. In Venezuela wäre ich mit meiner Karriere nicht vorangekommen. Ich habe gekämpft, um ausreisen zu können. Unterstützung habe ich dabei nicht bekommen“, sagt Brea. „Von Spanien aus habe ich dann meiner Mutter regelmäßig Geld geschickt. Aber dennoch reichte es nicht aus, um die Familie zu ernähren.

Sie selbst litt unter der Distanz zu ihren Angehörigen. „Die erste Zeit in Galicien war hart. Während in Venezuela dauernd die Sonne vom Himmel knallt, regnet es dort ständig. Das Essen ist toll, aber es ist so verdammt kalt.“ Das Heimweh wurde von Tag zu Tag stärker. „Ich habe meine Mama so sehr vermisst, dass ich sie eines Tages weinend angerufen und ihr gesagt habe, dass ich nach Venezuela zurückkehren möchte.“

„Viele Sportler haben eine komplizierte Hintergrundgeschichte. Meine ist eine davon. Ich versuche, den Kindern zu zeigen, dass man hartnäckig im Leben sein muss"

Die Athletin hielt aber durch, stattdessen folgte ihr die Familie nach Pontevedra. 2016 kamen die Geschwister, 2018 die Mutter. Doch die Tochter suchte erneut das Weite. „Im Januar 2020 kam ich nach Mallorca für einen Wettkampf. Ich hatte so ein Gefühl, dass meine Zeit in Galicien vorbei war. Ich habe mich nicht mehr wohlgefühlt.“ Die Karriere stockte, Brea brauchte eine Luftveränderung. In Galicien wohnte sie bei ihrem Trainer, der sie bei sich aufgenommen hatte. „Er hat es nicht verstanden, dass ich weggehen wollte. Der Kontakt zu ihm ist leider abgebrochen.“

Bei ihren vielen Wettkämpfen lernte die Venezolanerin den Trainer Johny Ouriaghli vom Leichtathletikclub ADA Calvià kennen. Er war ihr erster Ansprechpartner, als sie auf die Insel ziehen wollte. „Da musste ich nicht zweimal überlegen. Ich habe ihn angerufen und gefragt, ob er mich trainieren will. Er war mein Retter.“ Auf Mallorca nahm ihre Karriere so richtig Fahrt auf. Bei den Südamerika-Meisterschaften im vergangenen Mai holte sie Gold über die 1.500 Meter und Bronze hinter ihrer drei Jahre jüngeren Schwester Edymar über die 5.000 Meter. Vor vier Wochen wiederholte sie ihren WM-Titel in Avilés im Duathlon. Diesmal aber bei den Erwachsenen.

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Nun hat sie die Olympischen Spiele im Jahr 2024 in Paris im Blick, wo sich die Venezolanerin für die 1.500 und 5.000 Meter qualifizieren möchte. Die Preisgelder sind dabei nicht länger ihre Lebensgrundlage. Joselyn Brea passt in Calvià auf kleine Kinder auf. „Viele Sportler haben eine komplizierte Hintergrundgeschichte. Meine ist eine davon. Ich versuche, den Kindern zu zeigen, dass man hartnäckig im Leben sein muss. Wenn man hinfällt, muss man wieder aufstehen. Sonst erreicht man sein Ziel nicht.“