Der Glanz vergangener Jahrhunderte mag etwas verblasst sein. Doch im Herrenhaus Can Vivot braucht es nicht viel Fantasie, um ihn vor dem inneren Auge wieder heraufzubeschwören. Nur einen Katzensprung von der Església de Santa Eulàlia entfernt befindet sich der seit 1995 als Kulturgut (Bien de Interés Cultural) deklarierte, prächtige Stadtpalast.

Seine heutigen Besitzer, Pedro de Montaner y Alonso, Graf von Zarvellà, und seine Frau, die Gräfin Magdalena de Quiroga y Conrado, öffnen ihn seit Juli einige Tage im Monat für kleine Besuchergruppen. Die Einnahmen fließen in den Erhalt des Hauses und in Restaurierungsprojekte.

Von den sage und schreibe 5.000 Quadratmetern des Anwesens ist derzeit ein Viertel in vorzeigbarem Zustand und zugänglich, weitere Bereiche des Hauses sollen folgen. Für deutsche Residenten ist die wohl beste Art, den Palast und seine Schätze zu entdecken, eine von Ingrid Flohr organisierte Besichtigung: Maria M. Sureda führt dabei auf Deutsch durch die Räume, begleitet von Maria Piera Garbelli, einer Führerin vom Haus und Freundin der Eigentümer – die beiden sind ein Dream-Team, das vor Anekdoten nur so übersprudelt.

Im barocken Innenhof beginnt die Führung durch den Stadtpalast Can Vivot. Manu Mielniezuk

Die Geschichte des Herrenhauses geht bis in das 14. Jahrhundert zurück, bis heute ist es im Familienbesitz. Ab dem 16. Jahrhundert kauften die Besitzer umliegende Gebäude auf, heute gibt es fünf Innenhöfe. „Ein solches Haus musste autark sein wie ein Landgut: Es gab einen Gemüse- und Obstgarten sowie ein Salzlager“, erklärt Sureda zu Beginn der Führung.

Eine Schlüsselfigur in der Familienchronik war Juan Sureda y Villalonga, der erste Marqués de Vivot. Er bekam seinen Ehrentitel 1717, nahm aktiv am Spanischen Erbfolgekrieg teil und war – wie ein großer Teil des Adels – ein glühender Verteidiger der Bourbonen. Die Königstreue des Marqués ist beim Rundgang wahrlich nicht zu übersehen: Der Adelige widmete Philipp V. etwa die Bibliothek und erwies ihm mit einem Thronsaal – in dem der Monarch allerdings nie selbst verweilte – eine besondere Ehrerbietung.

Winterkleidung fürs Jesuskind

Im barocken Innenhof, unter dem noch ein Wasserreservoir aus arabischer Zeit verborgen liegt, beginnt der Rundgang. Die Besucher steigen eine monumentale Treppe empor, wie sie selten ist in Palma. Bevor es in den Trakt geht, den der Marqués Anfang des 18. Jahrhunderts restaurieren ließ, betritt man einen älteren Gebäudeteil, zu dem auch die Kapelle gehört.

Dort wurden täglich Gottesdienste sowie große Feierlichkeiten wie Hochzeiten und Taufen begangen. Prominent im Raum platziert ist eine Figur des Jesuskindes, die etwas mitgenommen aussieht. „Sie wird immer noch permanent von der Familie berührt und geküsst“, sagt Sureda. „Jetzt bekommt das Kind Winterkleidung, damit es in den kalten Monaten nicht friert.“

Besonders eindrucksvoll ist die Bibliothek von Can Vivot, die immer noch benutzt wird. Manu Mielniezuk

Dass Can Vivot nicht als Museum gedacht ist, sondern seine Essenz als Herrenhaus bewahren soll, erfährt man auch in seinem wohl größten Juwel, der Bibliothek: Hier werden die antiken Bücher und wertvollen Manuskripte nicht mit (Samt-)Handschuhen angefasst und noch ganz selbstverständlich zur Lektüre genutzt.

Dennoch betont Sureda: „Diese Bibliothek ist etwas ganz Besonderes. Denn normalerweise verfügt ein Herrenhaus nicht über einen Raum, der von Anfang an für diesen Zweck konzipiert war.“ Zu den Highlights im Saal zählt eine Karte des Mittelmeerraums aus der Zeit vor der Entdeckung Amerikas sowie Erstausgaben der Bücher des Erzherzogs Ludwig Salvator. Das Deckenfresko führt einen Zyklus von Giuseppe Dardanone fort, der schon im Vorraum beginnt: Dort ist Aurora zu sehen, die Göttin der Morgenröte, die die Sonne erweckt – eine Allegorie auf die Ankunft der Bourbonen.

Räume voller Symbolik

Da Kunst und Kultur zusammengehören, wurde neben der Bibliothek das Musikzimmer eingerichtet, in dem oft Besucher empfangen wurden. Dementsprechend opulent ist der Raum mit flämischen Gobelins und mallorquinischer Kunststickerei geschmückt. Auf dem Buffettisch aus dem 18. Jahrhundert zeugt eine Menükarte vom Festessen, das 1929 für König Alfons XIII. und seine Gemahlin Victoria Eugénie ausgerichtet wurde: Es gab unter anderem Consommé und Spargel mit Sauce Hollandaise.

Maria Sureda lenkt den Blick auf Darstellungen von Körben am Kamin, mit denen es eine kuriose Bewandtnis hat. „Im Jahr 1444 stand für den damaligen Ritter Sureda ein Duell auf Leben und Tod an“, erzählt die Führerin. Der Ritter wählte als Emblem einen Korb, in dem Frettchen für die Kaninchenjagd transportiert wurden. So bezeichnete er seinen Gegner implizit als Kaninchen – und sich selbst als Jäger. Zum Duell kam es am Ende nicht, weil der König keinen der beiden Ritter verlieren wollte. Doch das Symbol des Korbs blieb in der Familie.

Blick in eine Truhe: Darin werden Textilien wie diese gut erhaltene Uniform der Dienerschaft aufbewahrt. Manu Mielniezuk

Weitere Symbolik findet sich in der Sala de Armas, die nicht eine Waffenkammer bezeichnet, sondern einen Wappensaal. Dennoch sind hier auch einige Waffen sowie ein prachtvoller Sattel mit arabischen Inschriften präsentiert. Ebenso beeindruckend sind die daran anschließenden drei estrados: Nur die wichtigsten Familien hatten drei dieser Räume.

„Der erste stand für Respekt, der zweite für Vertrauen, der dritte für Liebe – für den engsten Familien- und Freundeskreis“, sagt Sureda. Der Begriff estrado stammt von der Estrade, einem niedrigen Podium mit speziellen kleinen Möbeln, auf denen die Damen des Hauses verweilten. Im ersten estrado befinden sich heute die bedeutendsten Gemälde der Familie, von Hendrick ter Brugghen und Jusepe de Ribera sowie eines, das Artemisia Gentileschi zugeschrieben wird.

Der derzeit letzte zugängliche Raum ist das Schlafzimmer von Philipp V. „Hier schlief der König aber nie, es ist nur eine weitere Ehrung an den Bourbonenkönig“, erklärt Sureda. Die goldbestickten Vorhänge des Himmelbetts sind aus einem Stück des ehemaligen Zeltes des Königs geschneidert – der Monarch machte es dem Marqués de Vivot nach dem Krieg zum Geschenk.

Der Himmelbett-Stoff, einst ein Zelt des Königs. Manu Mielniezuk

Das Deckenfresko zeigt die Hochzeit des Peleus und der Thetis, bei der die Göttin der Zwietracht einen goldenen Apfel unter die Gäste warf. „Das ist eine mythologische Szene, die man bei der Hochzeit von Ludwig XIV. als Theaterstück aufführte“, sagt Sureda. Ein passendes Motiv für das Gemach, das die Präsenz der Monarchie im Haus unterstrich. In Zukunft soll auch ein Blick in die Schlafzimmer von Graf und Gräfin möglich sein – spätestens dann lohnt sich ein weiterer Besuch in Can Vivot.

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Führung in Can Vivot Auf Deutsch via Ingrid Flohr mit Maria M. Sureda, 30 Euro (inkl. Eintritt), Termine: MZ-Kalender, Tel.: 690-21 87 09.

Auf Spanisch, Englisch und in anderen Sprachen für max. 12 und mind. 4 Personen (oder mit Eintrittsgeld für 4 Personen), 12–15 Euro, über info.canvivot@gmail.com.