„Beim Stichwort Philosophie denken viele Menschen an alte Männer mit langen Bärten“, sagt Pere Verd. An antike Griechen, erzürnte Franzosen vergangener Jahrhunderte und vor allem an das endlose Wälzen von Büchern in stickigen Bibliotheken. Kurzum: an nichts, was mit dem Hier und Heute zu tun hat. Pere Verd muss es wissen – als Mitglied der Fachschaft Philosophie an der Gesamtschule Mossèn Alcover in Manacor bekommt der Lehrer regelmäßig die Reaktionen der Leute mit, wenn die Rede auf sein Berufsfeld kommt.

Dass Philosophie auch unseren Alltag beeinträchtigen kann, unser Selbstbewusstsein, unsere Routinen, unser Zusammensein mit anderen Menschen und unseren Erfolg im Job – all das sei den meisten gar nicht bewusst. „Und genau das wollen wir ändern“, sagt Verd. Unter dem Motto „Manacor pensa“ (Manacor denkt) haben er und seine Fachschaftskollegen eine Reihe von Vorträgen und Workshops organisiert – für Kinder und Erwachsene, für Schüler und Externe. Und auch für die, die eigentlich gar nichts mit Philosophie am Hut haben.

Sitzt der Kopf an der richtigen Stelle?

Unbequem wohltuend

„Eine philosophische Haltung anzunehmen, bedeutet für mich vor allem, die Dinge kritisch zu hinterfragen“, sagt Adrià Mayol, ebenfalls Philosophiedozent und im Organisationsteam der Vortragsreihe. Und zwar auch die scheinbar nebensächlichen Alltagsbegebenheiten. Er erinnert sich noch, wie er selbst schon als Kind damit begann. „Damals herrschte im Klassenraum die Regel, dass man keine Kopfbedeckung tragen darf. Alle nahmen es hin, aber ich fragte mich: warum?“ Nicht, um zu rebellieren, sondern zunächst einmal um der Frage selbst willen.

Viele Menschen leben ihren Alltag im Autopilot, ohne zu reflektieren, was sie tun und was um sie herum geschieht. Für mich hat das Leben so keinen Sinn, das ist für mich, als habe man nicht gelebt“, findet Pere Verd. Adrià Mayol stimmt ihm zu: „Wenn man vermeintlich viel weiß und alles als gegeben hinnimmt, dann kommt man nicht weiter. Um sich zu verbessern, muss man seine Glaubenssätze immer wieder überdenken. Das gilt im privaten Bereich genauso wie im Job“, findet er. Letztlich könne man so auch besser für sich selbst einstehen. Denn nur wer mitdenke, wer selbst denke, wer weiterdenke, der treibe nicht nur wahllos im Strom der Massen, sondern bestimme die Richtung mit.

„Aber es ist natürlich eine Herausforderung. Oft wäre es angenehmer, sich zurückzulehnen, nicht zu denken und Dinge einfach als in Stein gemeißelt hinzunehmen“, sagt Mayol. Vor allem im Alltag, wenn man zwischen Beruf, häuslichen Pflichten und eng gestricktem Freizeitprogramm kaum Zeit hat, um Luft zu holen. Doch Mayol und Verd sind überzeugt: Gerade für Menschen in diesen Hamsterrädern wäre es wichtig, einmal die Perspektive zu wechseln. Der aktuelle Boom an Lebenscoachings und Ratgeberbüchern zur Selbstoptimierung scheint den beiden recht zu geben.

Unter Umständen könnten in solchen Situationen tatsächlich die alten Philosophen helfen, findet Mayol. Denn je nach Fragestellung sei man oft überrascht, dass sich schon viele Menschen vor einem eben diese Frage auch schon gestellt haben. „Ich finde es beruhigend, dass man damit nicht allein ist. Auch wenn man natürlich zu ganz eigenen Antworten kommen kann“, so Mayol.

Grundsätzlich gehe es bei gelebter Philosophie im Alltag aber nicht ums Bücherlesen, sondern um das aktive Einnehmen der philosophisch-kritischen Denkweise im wahren Leben – egal, ob im Büro, im Fitnessstudio oder am Frühstückstisch.

Mit Querdenkerei habe die Philosophie allerdings rein gar nichts zu tun, finden Verd und Mayol. „Die Pandemie hat natürlich viele Fragen aufgeworfen, aber wenn man sich wirklich zur Prämisse macht, alles und jeden ständig und immer kritisch zu hinterfragen, dann darf man sich dabei nicht nur auf die Massenmedien fokussieren, sondern sollte erst recht auch andere, in sich schon fragwürdige Informationsquellen kritisch betrachten“, so Mayol. Und beim Abwägen kämen dann eben doch viele zu dem Urteil, dass unter bestimmten Umständen das Gemeinwohl über die persönliche Freiheit gestellt werden müsse.

Vorträge mit Pfiff

Nerea Blanco spricht am Montag (11.4.) in Manacor auf Mallorca. Foto: Berta Delgado / Yanmag

„Was wir auch mit unserer Aktion zeigen wollen: Philosophie ist keineswegs etwas rein Männliches, obwohl die Reihe der bekannten Philosophinnen viel kleiner ist als die ihrer männlichen Kollegen“, sagt Pere Verd.

Deshalb freut er sich besonders auf den Vortrag der jungen Youtuberin und Buchautorin Nerea Blanco, die mit Humor, spitzer Zunge und so gar nicht verstaubt die Philosophie unters Volk bringt. Sie wird am Montag (11.4.) um 18 Uhr auf Spanisch über Musik, Feminismus und die vielen kleinen Alltagsroutinen reden. Wer vorab Kostproben der unterhaltsamen Nachwuchs-Philosophin sucht, findet sie auf www. filosofers.com.

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Zuvor haben auch Kinder zwischen acht und zehn Jahren die Möglichkeit, ihr eigenständiges Denkvermögen zu trainieren. Am Sonntag (10.4.) um 18 Uhr werden sie auf spielerische Weise angeleitet, neue Perspektiven einzunehmen und die Dinge zu hinterfragen. Hauptsprache im Workshop ist Katalanisch.

Alle Programmpunkte sind kostenlos und finden in den Räumlichkeiten der Institució Alcover (Carrer del Pare Andreu Fernández, 12, Manacor) statt. Die Plätze sind begrenzt, die Karten müssen online reserviert werden (www. enviumanacor.cat).