Als sich um 10.30 Uhr in einer Seitenstraße neben dem Kaufhaus El Corte Inglés an Palmas Innenstadtring die Türen öffnen, schauen schon erste Passanten neugierig herein. Ein Mann auf der Türschwelle mustert die historischen Druckmaschinen im Inneren. „Sie können gern hereinkommen“, bekommt er zu hören. Ein anderer Mann erzählt von einem Fund: Er habe zu Hause Lehrmaterial einer Fahrschule aus den 1960ern, das hier gedruckt worden sei, das würde er gern vorbeibringen. Kurz darauf ein Lieferant, der Pakete auf einer Sackkarre hereinbringt, dann aber stehen bleibt und sich staunend umschaut.

Die Druckerei La Nueva Balear ist alles andere als neu: Sie besteht seit dem Jahr 1913, inzwischen in vierter Generation. Aber jetzt hat der Betrieb seine Werkhalle nach einer größeren Umräumaktion und Umgestaltung für Besucher geöffnet. Bestaunen lassen sich nun jahrzehntealte Druckmaschinen made in Germany, die noch immer in Betrieb sind. Zudem werden historische Plakate aus jener Zeit ausgestellt und Nachdrucke zum Kauf angeboten – eine visuelle Geschichte der Insel. „Das hatte ich bereits seit acht Jahren vor“, sagt Belén Aguiló, die zusammen mit ihrem Bruder den Betrieb in vierter Generation führt und in den vergangenen sechs Monaten das neue Kapitel des Familienbetriebs vorbereitet hat. Sie hebt ihren Arm. „Schauen Sie, ich habe richtig Gänsehaut, wenn ich davon erzähle.“

Neuer Eingang

Es ist eine Art Museum, in dem der Betrieb weiterläuft. Die Maschinen bekamen bislang nur die Mitarbeiter zu sehen, die Plakate lagen versteckt im Lager. War die Werkhalle bisher nur über den Laden vorne an den Avenidas zu erreichen, führt jetzt ein Eingang vom verkehrsberuhigten Carrer Costa i Llobera direkt herein. Die Plakate sind ringsum an hohen Wänden aufgehängt, die größten vor einem roten Vorhang, Besucher können sie von Sofas aus betrachten, untermalt von Jazzstandards wie „Fly Me to the Moon“.

Älteste Maschine im Raum ist ein Zwölf-Tonnen-Koloss der Schnellpressenfabrik Frankenthal Albert & Cie aus dem Jahr 1913. Sie sei als einzige nicht mehr in Betrieb, so Aguiló – nicht, weil sie nicht mehr laufe, sondern weil man die Zylinder erst justieren müsse. Die anderen Maschinen dagegen, alle von der Heidelberger Druckmaschinen AG, tun weiter ihren Dienst.

Historisch und modern

Beléns Vater Roberto hatte eben den richtigen Riecher, als er zwar mit der Zeit auch auf den Digitaldruck setzte, die alten Maschinen aber nicht abschaffte. Auch sonst zeigte die Familie Durchhaltevermögen und lehnte Kaufangebote ab, auch als vor 27 Jahren das Kaufhaus direkt nebenan hochgezogen wurde und die Grundstücke im Umkreis den Besitzer wechselten. Gab es in Krisenzeiten mal weniger Aufträge, konnte das die Familie mit den Einnahmen des Kiosks und des Lotterieverkaufs im selben Gebäude kompensieren. Und während Corona wurde die Produktion mangels Druckaufträgen kurzerhand auf Schutzvisiere und Atemmasken umgestellt.

Jetzt läuft es wieder rund, die Aufträge kommen zahlreich von gehobenen Restaurants, von Boutique-Hotels oder von Bodegas. Reliefdruck, Stanzen, Goldfolie – in La Nueva Balear wird Edles produziert, und dafür stehen verschiedene Generationen von Druckmaschinen bereit, von Heidelberg über Canon bis Xerox. Die Arbeit geht weiter wie bisher, nur dass nun Besucher den sechs Mitarbeitern über die Schulter schauen können.

Neue Zusammenarbeit

Für die neue Phase arbeitet die Familie mit dem Geschäft „Stick No Bills“ zusammen, das Tourismusplakate im Retro-Look vertreibt. Zum einen gibt es nun diese Poster auch bei La Nueva Balear zu kaufen, zum anderen haben die neuen Partner Erfahrung damit, die Copyrights von historischen Motiven zu besorgen, erklärt Aguiló. In Vorbereitung sind inzwischen Nachdrucke von Plakaten, die einst Konzerte, Fiestas oder Sportwettbewerbe auf der Insel ankündigten, etwa einen Schwimmwettkampf im Juli 1936, der wegen des Bürgerkriegs gar nicht mehr stattfand. Zur Zielgruppe gehören Touristen und Einheimische – für die einen gibt es Urlaubernostalgie zum Mitnehmen, für die anderen Erinnerungen an legendäre Konzerte in der Gemeinde Felanitx, beispielsweise mit Julio Iglesias.

Die Plakate und die Druckerei, beide sind im kollektiven Gedächtnis Mallorcas verankert. Dass diese Schatzkammer des Familienbetriebs nun für alle zugänglich ist, sei für sie schon Erfolg genug, sagt Aguiló. Aber die Pläne reichen weiter. In Zukunft sollen hier etwa Künstler ihre Werke vor Publikum drucken können. Oder es soll Führungen für Schulklassen geben. „Die Kinder sollen wissen, wie früher gedruckt wurde und dass dafür mehr als ein Mausklick notwendig war.“