Der Schneefall setzte am 26. Dezember ein und dauerte ganze vier Tage. Besonders in der Inselmitte gingen die Flocken nieder, aber auch auf der restlichen Insel schneite es anhaltend. Die Höhe der Schneedecke wurde mit zwei bis sieben Handbreit angegeben. In den Gemeinden Muro und Pollença sollten unter der Last der weißen Massen 31 Hausdächer einbrechen. Zahlreiche Obstbäume gingen ein, allein in der Gemeinde Manacor beklagten Bauern den Tod von 4.000 Nutztieren. Der Schneefall von 1788 war die intensivste überlieferte nevada in der Geschichte Mallorcas und fiel mit der Kleinen Eiszeit zusammen, einer Periode relativ kühlen Klimas vom 15. bis 19. Jahrhundert. Damals fielen Schneemassen, die heute undenkbar sind.

Heute haben die weißen Flocken auf Mallorca Seltenheitswert, der Schnee aber prägt die Insel dennoch. Seine historischen, meteorologischen, landschaftlichen, kulturgeschichtlichen und wirtschaftlichen Aspekte können sogar ein ganzes Buch füllen – knapp 300 großformatige Seiten mit Fotos voller weißer Pracht, deren Kontrast zu Strand und Sonne kaum größer sein könnte. „El llibre de la neu“, heißt die Neuerscheinung, „Das Buch vom Schnee“.

Schneefall auf dem Gipfel des Tomir im Februar 2005. | F.: SEBASTIÁN TERRASSA

Verfasst haben es der Geograf Miquel Salamanca, der Physik- und Chemielehrer und ehemalige Vorsitzende des balearischen Bergsportverbands Lluís Vallcaneras sowie der Chemielehrer und Pflanzenexperte Bartomeu Bonet. Die Autoren liefern auch eine aktualisierte Dokumentation der 52 bekannten Schneehäuser Mallorcas – in den cases de neu wurde früher Schnee zu Eis verdichtet, das dann ins Tal transportiert wurde. Die Entdeckung eines bislang nicht katalogisierten Schneehauses war denn auch Auslöser für das Projekt. Und was anfangs nur eine kurze Mitteilung sein sollte, wurde schließlich zu einem Universalwerk zum Thema Schnee auf Mallorca. „Wir schließen nicht aus, dass in Zukunft weitere Schneehäuser entdeckt werden“, sagt Vallcaneras zur MZ.

Wann und warum es schneit

Wenn Schnee auf Mallorca heute immer eine Schlagzeile wert ist und für viele Menschen einen speziellen Zauber besitzt, liegt das auch daran, dass mehrere Faktoren zusammenkommen müssen, damit die weißen Flocken auf der Insel niedergehen. Da wäre zum einen natürlich die Kälte. Nicht die im Winter auf Mallorca allgegenwärtige unangenehme Feuchtigkeit, sondern arktische oder polare Luftmassen, die bis zu den Balearen gelangen müssen.

Wenn es in der Tramuntana schneit, strömt halb Mallorca in die Berge. | FOTO: VERLAG

Dann gibt es den sogenannten Lake-Effekt, er hat seinen Namen von den Großen Seen in Nordamerika. Er tritt auf, wenn im Winter kalte Winde über große Flächen mit warmem Wasser strömen. Sie nehmen über dem Meer Wasserdampf auf, der jedoch schnell gefriert und über der Insel als Schnee niedergeht. Je kälter die Luft und je wärmer das Meer, umso stärker ist der Effekt – im Fall von Mallorca auch noch spät im Winter, da sich das Mittelmeer nur langsam und vergleichsweise wenig abkühlt. Eine weitere Zutat sind Fallwinde, die die feuchte und kalte Luft Richtung Balearen transportieren. „Das Buch vom Schnee“ verweist vor allem auf die Tramontane an der französischen Mittelmeerküste sowie weitere verstärkende Faktoren wie Konvergenzzonen.

Neben diesen meteorologischen Phänomenen spielt aber auch die Insellandschaft eine wichtige Rolle – das Tramuntana-Gebirge. Es bildet ein natürliches Hindernis, der „Stau“ der Luft hat einen Aufstiegsprozess zur Folge, und in den sich abkühlenden Luftmassen kondensiert der enthaltene Wasserdampf. Vereinfacht gesagt: Je höher und je ausgeprägter das Relief, umso mehr Schnee gibt es, auf Mallorca vor allem in rund tausend Meter Höhe und in rund einem Kilometer Entfernung von der Küste. Soll es dagegen auch in der Ebene schneien, muss das Tiefdruckgebiet besonders ausgeprägt sein. Wichtigster Faktor ist und bleibt aber die Höhe, weswegen es jedes Jahr auf Mallorca zumindest auf den Gipfeln schneit, meist Ende Februar und in der ersten Märzwoche, wenn es die meisten Kontinentalkaltfronten gibt.

Oberes Schneehaus n’Arbona, im Hintergrund Sóller und der Puig des Teix. | FOTO: VERLAG

Das Geschäft mit dem Schnee

Was heute vor allem Erlebnischarakter hat – bei jedem Schneefall strömt die halbe Insel in die Serra de Tramuntana – war früher ein Wirtschaftsfaktor. Dass sich heute mindestens 52 Schneehäuser auf Mallorca nachweisen lassen, unterstreiche, dass das Geschäft mit dem Eis rund drei Jahrhunderte lang bedeutend und lukrativ gewesen sei, schreiben die Autoren. Zum einen wurde es für medizinische Anwendungen benötigt – in Kombination mit Öl zur Behandlung von Entzündungen und Verbrennungen –, zum anderen für die Zubereitung kühler Getränke und Speiseeis. Da zwei der Autoren Chemiker sind, bleiben auch keine Fragen zum Herstellungsprozess offen. Der zentrale Fachbegriff für das Verfahren lautet Schmelzpunktdepression.

Auch die Schneehäuser selbst sind eine Wissenschaft für sich. Unterschieden werden pous – größtenteils aus Steinen aufgeschichtet – und clots – natürliche Gruben, die angepasst wurden. Größe, Form, Bauweise – die Dokumentation umfasst alle Aspekte, inklusive Foto, Umrissskizze und Standort mit QR-Code.

So funktioniert das Schneehaus

Die cases de sa neu hatten hoch angelegte Öffnungen, durch die der Schnee hineingeschaufelt wurde, und einen ebenerdigen Zugang zum Herausnehmen der Eisblöcke. Angefüllt wurde Schicht für Schicht. Die nevaters trampelten sie jeweils platt, deckten sie ab und dichteten das Schneehaus ab. Nach dem Herausholen der Eisblöcke begann dann der mühselige Transport per Eselskarren nach Palma.

Erstmals urkundlich erwähnt ist der Handel mit dem Eis der cases de neu im Jahr 1564, als dem Vizekönig bei einem Besuch in Sóller als besonderes Präsent Eis dargeboten wird. 1582 fordert ein gewisser Jeroni de Jossa erfolgreich ein Monopol für das Geschäft mit dem Eis ein. Ab dem 17. Jahrhundert erfassen die Behörden den Bestand der Schneehäuser – was nicht nur auf die wirtschaftliche Bedeutung schließen lasse, sondern auch auf eine bereits bestehende Schattenwirtschaft mit der weißen Pracht. Dass es sie gegeben hat, schließen die Autoren aus diversen Hinweisen, beweisen können sie es nicht. Die Indizien sprechen jedoch für sich: Da wäre eine ganze Reihe von „verdächtigen“ Schneehäusern, die in den damaligen Registern noch nicht auftauchten. Sie lagen in der Nähe anderer, größerer cases de neu – Wege waren also vorhanden –, konnten aber von dort nicht eingesehen werden. Der Schnee wurde wohl auch nicht immer bis Palma transportiert, sondern konnte unterwegs unter der Hand an große Gutshäuser verkauft werden. Und wenn generell der Schmuggel eine so große Bedeutung auf Mallorca hatte, warum hätte dann das Schneegeschäft außen vor bleiben sollen?

Schnee per Schiff

Die Autoren wissen auch von einer Schneesteuer zu berichten, die 1717 eingeführt wurde, bereits unter der zentralistischen Herrschaft der Bourbonen. Die Einnahmen dienten militärischen Zwecken. Sogar importiert wurde das Eis, erstmals dokumentiert für eine Schifffahrt im Jahr 1715. „Es ist schwer verständlich, wie der Transport von Barcelona rentabel sein konnte, wenn man bedenkt, dass sie Schiffe keine Kühlkammern hatten und die Überfahrt mindestens zwei Tage dauerte“, schreiben die Autoren. Laut einem Bericht schmolz bei einem Transport im Jahr 1719 eine Fracht von ursprünglich 144 Zentnern auf 67 zusammen, beim anschließenden Verkauf ging noch einmal die Hälfte verloren. Doch der Bedarf in der Medizin wog offenbar schwerer.

Fiel in einem Jahr wenig Schnee, etwa 1745, wurde die Herstellung von Speiseeis zugunsten medizinischer Anwendungen verboten. Die frühen Vorgänger heutiger Eisdielen waren die botilleries, in denen kaltes Wasser zu haben war. 1786 boten es auch fliegende Händler feil. Ende des 18. Jahrhunderts wurde dann auch Eis aus Valencia importiert und der Verkauf an drei Orten in Palma genehmigt.

Auch wenn das Geschäft mit den Schneehäusern bis Anfang des 20. Jahrhunderts fortbestand, war es alles andere als stabil. Das lag nicht nur am Wetter, sondern auch an den Steuern, die nach Bedarf immer wieder eingeführt und ausgesetzt wurden. Und als dann im Jahr 1909 das erste Tiefkühlgerät in Sóller in Betrieb genommen wurde, war die Zeit des traditionellen Eishandels gezählt. Die letzten cases de neu wurden Ende der 1920er-Jahre am Puig de Massanella aufgegeben.

Seitdem bringt der Schnee kein Geld mehr, sondern sorgt für Arbeit, beim Straßenverkehrsdienst oder bei den Wetterfröschen, die die weiße Pracht dokumentieren. Die größten nevades seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts waren im Februar 1956, im Januar 1985 und im Februar 2012. Insgesamt aber haben die Schneefälle zuletzt an Intensität verloren – nicht umsonst geht es im letzten Kapitel des Buchs um den Klimawandel. Dass die Feldstudien für die Erfassung der Schneehäuser in einen der heißesten Sommer überhaupt fielen, ist dann auch mehr als eine Fußnote des „Buchs vom Schnee“.

El llibre de la neu

Bartomeu Bonet, Miquel Salamanca, Lluís Vallcaneras

Verlag Gorg Blau Aventura SL

220 Seiten, 28x22 cm, katalanisch