Mallorca Zeitung

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MZ-Serie „Die anderen Auswanderer“: Wie ein Chinese Mallorquinern die chinesische Kultur näherbringen will

Fang Ji wuchs in Qingtian auf, seine Eltern arbeiteten in Europa. Der Unternehmer steht für eine neue Generation von Chinesen

Fang Ji kämpft mit seinem Verein ACHINIB gegen Vorurteile. Nele Bendgens

Wenn Spanier etwas nicht verstehen, sagen sie natürlich nicht, dass es ihnen spanisch vorkommt. Stattdessen gibt es den Spruch Me suena a chino. Wörtlich übersetzt: „Das klingt mir chinesisch“. Doch der 34-jährige Fang Ji will dafür sorgen, dass Mallorquiner die chinesische Gemeinde auf der Insel entgegen dem Sprichwort kennenlernen und verstehen.

Wenn Fang Ji Spanisch spricht, übernimmt er aus seiner Muttersprache die Angewohnheit, Weisheiten und Sprüche zu zitieren. Beispielsweise: Wer eine glückliche Kindheit hat, kann ein Leben lang davon zehren. Wer eine unglückliche Kindheit hat, braucht ein Leben lang, um zu heilen. Und Jis Kindheit in China war vielleicht nicht einfach, aber glücklich.

Er wuchs in einem ländlich geprägten Dorf der Provinz Qingtian auf, in dem Schweine und Hähne durch die Straßen spazierten. Ji erinnert sich an grüne Felder, Sonnenuntergänge und einen Fluss, in dem er im Sommer schwimmen ging. „Ich habe damals mit meinen Freunden Berge bestiegen und verlassene Fabrikgelände erkundet“, erzählt Ji. Er wohnte mit seinen drei Geschwistern und seinen Cousins bei den Großeltern.

Mit 12 die Mutter kennengelernt

Seine Eltern arbeiteten unterdessen in Europa. Mit dem, was sie verdienten, ernährten sie die Großfamilie in China. Weil sie keine Aufenthaltsgenehmigung hatten, konnten sie die Kinder nicht nachholen. Ji war drei Monate alt, als seine Mutter das Land verließ. Sein Vater folgte ihr wenige Monate später. Ji kannte seine Eltern nur als Stimme in kurzen Telefonaten. „Meine Eltern riefen aus Telefonzellen an, die Gespräche waren teuer, und wir waren vier Kinder und die Großeltern, jeder konnte nur eine halbe Minute lang sprechen“, erzählt Ji.

Meist machte das dem Jungen nichts aus, er war von Familie umgeben, seine Großeltern übernahmen die Elternrolle. Trotzdem denkt er, dass vor allem das Aufwachsen ohne Mutter ihn geprägt hat. Ji war zwölf  Jahre alt, als er sie schließlich kennenlernte. Sie verbrachte damals einen Sommer in China. Sein Großvater forderte Ji auf, sie Mama zu nennen. „Doch es kam mir komisch vor, sie war ja eine Fremde für mich“, sagt Ji. Nach dem Sommer reiste seine Mutter zurück nach Europa, und Jis Leben ging weiter wie zuvor.

Umzug nach Mallorca

Jis Eltern hatten bereits in Deutschland, den Niederlanden und Italien gewohnt, als sie nach Barcelona und von dort nach Mallorca zogen. Hier bekamen sie endlich gültige Papiere und beantragten Familiennachzug. Mit 16 Jahren zog Ji mit seinen Geschwistern nach Mallorca. „Ich war mein Leben lang darauf vorbereitet worden, dass ich ins Ausland gehen würde, sobald es geht“, erzählt Ji. Daher sei es kein großer Schock gewesen, seine Heimat und seine gewohnte Umgebung zu verlieren.

Trotzdem war erst einmal alles neu. Ji erinnert sich, dass es ihn wunderte, wie viele Autos auf Mallorca fuhren. Auch das Zusammenleben mit den Eltern war nicht immer einfach. Ji war ein Teenager und wollte nicht, dass die beiden fast unbekannten Menschen sich in sein Leben einmischten. Doch er fügte sich trotzdem schnell ein. Ji lernte Spanisch, machte eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, ein Praktikum im Kaufhaus Corte Inglés. Nebenbei half Ji im Laden seiner Eltern, bevor er 2010 ein eigenes Geschäft eröffnete.

Der Bekleidungsladen, der seinen Namen trägt und bis heute im Carrer Nuredduna, 21, steht, sollte kein klassischer chino werden. Darunter verstehen Spanier Läden mit allerlei Krimskrams und Billigware. „Die Geschäfte von Chinesen waren oft dunkel, und die Ware lag teils noch auf dem Boden“, sagt Ji selbst. Sein Laden hat dagegen eine breite Fensterfront, eine aufgeräumte Auslage. Es sollte nichts Besonderes werden, sagt Ji. Einfach ein „normales“ Geschäft. „Ich dachte mir, wenn Spanier so etwas aufbauen können, warum nicht auch ein Chinese.“

Chinesisches Neujahr für alle in Palma de Mallorca

Inzwischen hat Ji weitere Unternehmen gegründet. „Ich habe keine Angst zu scheitern, sondern davor, Zeit zu verlieren“, sagt er. Viele seiner Projekte seien gescheitert. Andere hätten funktioniert, so zum Beispiel eine Immobilienagentur und eine Unternehmensberatung.

Am stolzesten ist Ji auf den Verein ACHINIB, den er mit zwei weiteren Unternehmern gegründet hat und dessen Vorsitzender er ist. Dieser Zusammenschluss will der mallorquinischen Gesellschaft die chinesische Kultur näherbringen. ACHINIB organisiert beispielsweise jährlich eine große Feier zum chinesischen Neujahr, bei der alle Menschen unabhängig ihrer Herkunft eingeladen sind. „Es kann für unsere Kinder nur von Vorteil sein, wenn sie in einer multikulturellen Stadt wie Palma aufwachsen“, sagt Ji. Zu diesem Mix aus Kulturen gehöre auch die chinesische.

Ji musste sich vor allem in seinen ersten Jahren auf der Insel viele Klischees anhören: Chinesen essen Hunde, schlafen in ihren Läden, zahlen keine Steuern. „Aber diese Vorurteile kamen nur daher, dass niemand uns kannte. Wir waren eine sehr stille Gemeinde“, sagt Ji. Grund dafür sei neben der sprachlichen Barriere, dass das Leben der chinesischen Einwanderer hart und voller Arbeit gewesen sei. Viele mussten wie seine Eltern eine Großfamilie in China ernähren. „Die erste Generation wollte einfach nur überleben“, sagt Ji. „Wir haben inzwischen ein besseres Leben und wollen unseren Beitrag zur Gesellschaft leisten.“

Erinnerung an die Zukunft

Ji konnte sich hier ein bequemes Leben erarbeiten. Seine Frau, die bereits mit sechs Jahren aus China auf die Insel zog, hat studiert und leitet eine Anwaltskanzlei. Wenn er davon spricht, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, geht es nicht nur darum, die chinesische Kultur bekannter zu machen. ACHINIB unterstützt auch soziale Vereine, beispielsweise die Hilfsorganisation Monti-sion Solidària.

Ji will außerdem den lokalen Kunstmarkt fördern. In seinem Büro hängen Gemälde des Mallorquiners Jeroni Bosch und des Katalanen Martín Garrido, der in Palma wohnt. Der 34-Jährige sucht sich Bilder aus, die ihn an Menschen und Situationen erinnern. Die Bauern auf einem der Gemälde lassen ihn an seine Großeltern denken, die Kinder auf einem anderen an Freunde aus seiner Jugend.

Ein Bild lehnt noch eingepackt an der Wand. In bunten Farben zeigt es ein kleines Mädchen. „Sie erinnert mich an meine Tochter“, sagt Ji, der noch keine Kinder hat. Eine Erinnerung an die Zukunft ist wieder etwas, das er aus seiner Kultur übersetzt. Bei uns würde man eher von einer Vorahnung sprechen. Jis Kinder jedenfalls sollen in einem Palma aufwachsen, in dem die chinesische Kultur mit der mallorquinischen im Einklang ist.

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