Mallorca Zeitung

Mallorca Zeitung

Li Edelkoort im Interview: Die berühmte Trendforscherin über die Emanzipation des Südens und unsere Zukunft

Beim Textilkunstfestival XTant in Palma de Mallorca im Mai ist Lidewij Edelkoort zu Gast und präsentiert ihr Buch "Proud South"

Die niederländische Trendforscherin Lidewij Edelkoort. Thirza Schaap

Die Niederländerin Lidewij (genannt Li) Edelkoort gilt als die Grande Dame der Trendforschung: In ihren zweimal jährlich erscheinenden „Trend Books“ prophezeit sie, in welche Richtung sich die Gesellschaft entwickeln wird; ihre Firma Trend Union berät große Unternehmen. Beim Textilkunstfestival XTant in Palma präsentiert die 72-Jährige am 12. Mai um 17.30 Uhr in Can Vivot ihr bildgewaltiges Buch „Proud South“ (85 Euro, Infos: edelkoort.com).

Vor einigen Jahren haben Sie mit Ihrem „Anti-Fashion Manifesto“ die Mode, wie wir sie kennen, für tot erklärt. Welche Bedeutung kommt in diesem Kontext dem Event XTant zu?

Es ist bald zehn Jahre her, dass ich dieses Manifest veröffentlicht habe. Und leider hat sich in dieser Zeit in Sachen Überproduktion und Umweltverschmutzung nicht viel verändert, auch den Mythos des Star-Designers gibt es nach wie vor. Events wie XTant, die versuchen, die Art, wie die Dinge getan werden, zu überarbeiten und uns die Handwerker näherbringen, die eine ganz andere Vision haben und langlebige Produkte kreieren, sind einer der Schlüssel zu einer neuen Zukunft.

Hochwertige Textilien, wie sie bei XTant angeboten werden, sind aber auch hochpreisig. Wie schaffen wir es, dass die Veränderung in allen Gesellschaftsschichten ankommt?

Die Sache ist: Etwas sollte nicht billig sein, nur weil es aus weit entfernten Ländern kommt. Handgefertigtes, das verantwortungsvoll hergestellt wurde, ist teurer. Wir müssen erklären, dass ein schöner Stoff eine Investition ist, die man für mehrere Jahrzehnte tätigt. Man kann Handwerk nicht wirklich in großem Stil betreiben, denn dann ist es kein Handwerk mehr und wird Industrie. Es wird immer in einer Nische bleiben. Aber wir können auch selbst Handwerker werden und dann unser Wissen teilen. Das ist eine tolle Art, mehr Menschen damit zu erreichen und wird auch immer mehr passieren. Die Organisatorinnen von XTant, Kavita Parmar und Marcella Echavarria, gehören zu den ersten Abenteurerinnen, die eine Veränderung bringen wollen.

Am 12. Mai präsentieren Sie bei XTant Ihr Buch „Proud South“. Was hat Sie dazu inspiriert?

Es ist das Resultat eines meiner Trendbücher, in dem es um Emanzipation und Ermächtigung in allen Bereichen ging. Eine Geschichte davon war die Emanzipation des Südens. Ich fühlte bei meinen Reisen ein wachsendes Selbstbewusstsein bei jungen Menschen, die ihre eigenen Visionen von Stil, Mode, Farben und Motiven zeigen wollen, welche nicht mehr nach den Regeln des Nordens und Westens spielen. Sie haben ihren eigenen unbändigen, aufregenden Charakter. Im Buch sieht man, wie dynamisch und lebendig diese Bilder sind – sie springen einen von den Seiten an! Diese neue Generation von Designern und Fotografen hat die Stärke und Bereitschaft, das post-post-post-koloniale Trauma, das in diesen Ländern immer noch sehr präsent ist, zu überwinden. Die Schwerkraft der Kultur könnte sich nach Süden verlagern – und der Süden für Jahrzehnte oder Jahrhunderte zum Zentrum der Aufmerksamkeit werden. Das ist erst der frühe Anfang einer wahren Emanzipation.

Ihre Prognose für den Beginn der 2020er hat auf fast unheimliche Weise zur Corona-Pandemie gepasst: Es ging unter anderem um Entschleunigung, das Einlegen von Pausen. Jetzt haben wir es mit Krieg und Inflation zu tun. Was wird in den nächsten Jahren wichtig?

Es ist ein sehr seltsamer Moment, um Prognosen anzustellen – vor allem wegen der Düsterheit und Schwermut, mit der wir gerade leben. Heute erstelle ich eine Trendprognose für Amerika, in der es ums Überwintern geht: Wie kommt man durch den Winter und verschwendet dabei weniger Energie? Aber mein nächster Schritt wird sein, nach dem Naiven und dem Kind in uns zu suchen – einem unbeschwerten Beginn von etwas Neuem. Ich sehe, dass die Dinge sehr verspielt und farbenfroh werden. Das Gegenteil von dem, was man erwarten würde – eine Flucht ins temporäre Paradies, wenn man so will. Ich denke, der Krieg wird noch eine Weile andauern, er wird zu einer Lebensrealität. Rechtsextreme Kräfte werden nicht einfach verschwinden. Die Menschen sind unglücklich, und die Regierungen tun zu wenig dagegen und schaffen es nicht, die Gesellschaft zu stabilisieren. Uns stehen unruhige Zeiten bevor – mindestens bis 2035.

Das klingt nicht sehr verheißungsvoll ...

Selbst wenn wir beginnen, die Dinge zu reparieren und neue Strukturen zu schaffen, bleibt das Problem mit unserem Planeten, das noch viel größer ist. Wir haben uns selbst in eine sehr schlechte Lage manövriert. Und wir sind nicht einmal geschlossen davon überzeugt, das Problem lösen zu wollen, denn wir sind massenhaft süchtig nach Besitz und Konsum. Neue Generationen werden uns beibringen, dass dieses Verhalten nichts Erhellendes hat und dass es interessanter ist, weniger bessere Dinge zu haben und auch selbst herzustellen.

Wie sieht es mit der ferneren Zukunft aus?

Als Haupttendenz sehe ich das, was ich „The Age of the Amateur“ nenne, darüber schreibe ich gerade ein Buch. Ich prognostiziere, dass Arbeit nicht länger eine lebensfüllende Option sein wird – nur noch für wenige, aber nicht für die Mehrheit, weil künstliche Intelligenz so viele Jobs übernehmen wird. Das wird ein Wagnis werden – gefährlicher als alle anderen in der Menschheitsgeschichte, einschließlich der Atomkraft. Denn es bedeutet, dass wir die Gesellschaft völlig neu erfinden müssen.

Wir werden also zu Amateuren, die nur noch aus Liebhaberei etwas tun?

Ich sehe, dass es eine Art neue, menschliche Wirtschaft innerhalb dieses großen Wirtschaftssystems geben wird. Darin werden wir alle Schauspieler, Schriftsteller, Filmemacher, Köche, Modedesigner, Künstler, was immer wir gut können. Ein Problem wird sein, dass nicht jeder dabei glänzen kann. Sicherlich brauchen wir ein universelles Grundeinkommen. Das Geld, das die künstliche Intelligenz erwirtschaftet, sollte mit allen geteilt werden. Es ist eine neue Art der Sklaverei – wir versklaven die künstliche Intelligenz. Das ist interessant, aber auch sehr unheimlich. Nicht alles an diesem Leben ist negativ, aber so grundverschieden von unserem jetzigen, dass es uns schwerfällt, uns das überhaupt vorzustellen.

Sie haben die Plattform „World Hope Forum“ ins Leben gerufen, um einen globalen Austausch von Lösungsansätzen zu ermöglichen.

Wir sehen immer nur das Schlechte, aber wenn man die Welt als Ganzes betrachtet, geschehen sehr viele gute Dinge und es gibt Hoffnung – wenn wir uns verändern. Der große Zukunftstrend ist also Hoffnung.

Das Programm beim Textilkunstfestival XTant

Vom 9.–13. Mai feiern in Palma Designer, Handwerker und Experten aus aller Welt traditionelle Textilkunst. Diesmal gibt es in vier Höfen – Can Balaguer, Can Vivot, Can Marqués und Can Oms – kostenlose und teils interaktive Aktivitäten: Besucher können etwa das Material Wolle erkunden, Kunstinstallationen betrachten, an Workshops teilnehmen, handgefertigte Produkte kaufen und Vorträge besuchen. Das ganze Programm finden Sie auf der Website xtant.io.

Artikel teilen

stats