Mallorca Zeitung

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Der Giftexperte von Menorca, der zum Star in Mordprozessen wurde

Der Name Mateu Orfila sagt kaum jemandem auf den Balearen etwas. Dabei gilt er als Vater der modernen Toxikologie und inspirierte sogar Romane. Eine mehrteilige Doku auf IB3 setzt ihn nun aufwendig in Szene

Wegweisende Erkenntnisse im Labor: Koryphäe Mateu Orfila, gespielt von Antoni Cantamisa, galt als Autodidakt. | FOTO: IB3

Monsieur Lafarge freut sich über ein Sahnetörtchen, das ihm seine Frau Marie hat schicken lassen. Angezogen sitzt der ältere Franzose auf dem Bett des Schlafgemachs, packt das Gebäck aus und schneidet ein Tortenstück heraus. Nach dem ersten Bissen spiegelt seine Miene kurz Genuss, dann verzieht sich sein Gesicht, und Monsieur Lafarge sinkt zurück aufs Bett. Die Filmmusik wird dramatisch, die Kamera nimmt das restliche Sahnetörtchen in den Fokus.

Die Szene um den am 14. Januar 1840 verstorbenen Charles Lafarge bildet den Abschluss des ersten Kapitels einer Doku-Serie, mit der der Regionalsender IB3 eine bislang wenig beleuchtete historische Persönlichkeit der Balearen würdigtMateu Orfila. Wer seinen Namen googelt, erhält als ersten Treffer nicht seinen Wikipedia-Eintrag, sondern die Website des nach ihm benannten öffentlichen Krankenhauses auf Menorca. Auch sonst gibt das Leben und Wirken des Mateu Orfila noch sehr viel mehr her.

Es ist die Geschichte eines der wichtigsten Mediziner des 19. Jahrhunderts, des Vaters der modernen Toxikologie und der forensischen Analytik. Die Geschichte eines hochgebildeten, kosmopolitischen Menschen, aber auch die der Auswirkungen der rund hundertjährigen britischen Besetzung Menorcas, der Nachbarinsel von Mallorca. Und es ist die Geschichte von Mordfällen sowie deren Aufklärung. Orfila war berühmt dafür und sollte neben Alexandre Dumas und Gustave Flaubert („Madame Bovary“) auch Umberto Eco inspirieren – in dessen Erfolgsroman „Der Name der Rose“ spielt Gift bekanntlich ebenfalls eine zentrale Rolle.

Auch die in Frankreich spielenden Szenen … |

Weltoffene Nachbarinsel

Eigentlich hätte der 1787 geborene Orfila zur See fahren und Handel treiben sollen wie sein Vater. Doch nachdem er den Vater im Alter von 15 Jahren auf einer Reise im Mittelmeer begleitet hatte und dabei mit Stürmen und Piraten konfrontiert worden war, wollte er doch lieber Medizin und Chemie studieren. Die wohlhabende Familie hatte ihm ohnehin eine privilegierte Bildung zukommen lassen. Schon mit sieben lernte er Latein und Philosophie, seine englischen oder französischen Lehrer öffneten ihm den Blick auf die Welt jenseits der kleinen Insel. „Er hatte fünf Sprachen im Kopf und so einen fünffachen Zugang zum Wissen seiner Zeit“, beschreibt der Schriftsteller Miquel Àngel Limón die Bildung von Mateu Orfila. Gerade der deutschstämmige Lehrer Carl E. Cook sollte bei ihm das Interesse an der modernen Wissenschaft wecken.

Während anderswo im Land die Bourbonen herrschten und den Regionen kaum Freiheiten ließen, war Menorca 1708 infolge des Spanischen Erbfolgekriegs in die Hände der Briten gefallen. Unter der fast hundertjährigen, wenn auch nicht durchgängigen Besetzung war Maó Freihafen und strategischer, bestens vernetzter Handelsplatz. Kultur und Wissenschaft profitierten von der Offenheit.

Dreharbeiten im Plenarsaal

Die Biografie ist eine von zwei Ebenen der Doku, erzählt über die Memoiren, die Orfila 1850, zwei Jahre vor seinem Tod, seinem Sohn diktiert. Auf einer zweiten Ebene nähert sich die Serie dem Mediziner über den Kriminalfall Lafarge. Das verdeutlicht zum einen die gesellschaftliche und juristische Relevanz der Leistungen von Orfila – Arsen-Morde waren damals in Mode, die Vergiftung bis dato quasi nicht nachzuweisen. Zum anderen lässt sich das Leben des Menorquiners aus der Perspektive eines Kriminalfalls auch viel spannender in Szene setzen.

Die Produktionsfirma Empàtic Films erweckt neben dem Menorca Ende des 18. Jahrhunderts auch das Paris des 19. Jahrhunderts zum Leben, wobei der französische Gerichtssaal im näher gelegenen Plenarsaal des Rathauses von Maó nachgestellt wurde. Knapp drei Dutzend Schauspieler verkörpern die historischen Figuren, der Menorquiner Antoni Cantamisa den Protagonisten. Bei der Einordnung helfen Interviews mit Historikern, Naturwissenschaftlern oder Schriftstellern.

… wurden auf Menorca gedreht. | FOTO: IB3

Nichts wie weg aus Spanien

Mit 17 Jahren zog Orfila zum Medizinstudium nach Valencia. In Briefen an die Eltern lästerte der Menorquiner über die Professoren. Er machte eigene chemische Experimente, las französische Autoren, bekam kurz Ärger mit der noch immer existierenden Inquisition. Bald zog es ihn nach Paris, wo er seine Abschlussarbeit über die chemische Analyse des Urins schrieb. „Es war damals völlig normal, dass die Vertreter des Bürgertums ihre Söhne zum Studium ins Ausland schickten“, erklärt Christina Rita vom menorquinischen Forschungsinstitut IME. Orfila wurde in Paris Universitätsprofessor und dank seiner Veröffentlichungen über Toxikologie zum ersten Giftexperten Europas.

Nebenbei fand er Zeit, in Pariser Salons als geschätzter Opernsänger aufzutreten. Endgültig zum Star wurde Orfila als Gutachter in Gerichtsprozessen. Im Fall Lafarge lagen bereits vier widersprüchliche Gutachten vor, als der Menorquiner im exhumierten Körper von Charles Lafarge Arsen nachwies und gleichzeitig die Friedhofserde als mögliche Quelle der Giftspuren im Leichnam ausschloss. Die Witwe wurde wegen Mordes verurteilt.

Wenn das alles heute auf den Balearen wenig bekannt ist, liegt das womöglich auch daran, dass Orfila Spanien den Rücken kehrte. Er lehnte einen Ruf nach Madrid ab, nahm die französische Staatsbürgerschaft an und wurde so nebenbei auch noch zum Vorreiter aller heutigen Wissenschaftler, die mangels Förderung in Spanien ihr Glück im Ausland suchen.

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