Der Wagen der Guardia Civil fährt von Cala Ratjada nach Palma de Mallorca. Der Blick der Beamten im Rückspiegel, eine Landkarte mit der Fahrtstrecke, eine Pistole in Nahaufnahme – es sind Impressionen wie im Comic, in Sepia gefärbte Illustrationen. Dazu eine Stimme, die aus der Autobiografie des Exilanten Heinz Kraschutzki liest. „Zwölf Tage nach Beginn des Spanischen Bürgerkrieges ereilte mich das Schicksal. Weit nach 2 Uhr erschien bei mir die Guardia Civil und forderte mich auf mitzukommen. Nur zu einer kurzen Vernehmung, sagten die Beamten. Das sagen sie immer.“

Dann eine Kreuzung. „Jetzt kam es darauf an. Fuhr das Auto nach links, dann ging es zum Hafen, auf ein deutsches Schiff, und ich war verloren. Ging es nach rechts, dann war das Ziel unbekannt. Es ging nach rechts. Man lieferte mich im Castillo Bellver ab. Ich war der Gefangene Nummer 175. Und der erste Ausländer.“

Mallorca wird zur Falle

Der Pazifist Heinz Kraschutzki gehörte zu den Deutschen, die Anfang der 30er-Jahre angesichts des Vormarsches der Nationalsozialisten auf Mallorca ihre Rettung suchten. Nach der Machtübernahme Hitlers Anfang 1933 fassten die Nazis dann auch auf der Insel Fuß. Als 1936 Militärs gegen die Zweite Republik in Spanien putschten und gleich zu Beginn des Bürgerkriegs die Macht auf der Insel übernahmen, wurde die Insel auch für die deutschsprachigen Emigranten zur mörderischen Falle.

„Mallorca – Tod im Paradies“ heißt denn auch die Dokumentation von Christian Buckard und Daniel Guthmann, die am Dienstag (8.8.) beim deutsch-französischen Kultursender Arte Premiere hat. Der Titel mag reißerisch klingen, der 52-minütige Film ist jedoch fundiert recherchiert und aufwendig inszeniert. Er kombiniert die deutsche und mallorquinische Perspektive auf die Opfer von Hitler und Franco – so etwas hat Seltenheitswert. Zu Wort kommen Nachkommen deutscher Exilanten genauso wie eine Reihe mallorquinischer Historiker und Autoren, jeweils interviewt an Originalschauplätzen.

Liberale Oase: Gäste in Käpt’n Bilbos Wikiki-Bar in Cala Ratjada. | FOTO: REGINE THÜMMLER/ARTE

Historiker im Interview

Da steht dann etwa Aina Ferrero im Castell Bellver und erklärt, warum die Zellen in den Türmen die berüchtigsten waren. Tomeu Gari zeigt am Friedhof von Porreres die Einschusslöcher der Exekutionen republikanischer Häftlinge. Lina Moner sitzt im Plenarsaal von Palmas Rathaus und fasst die progressive Politik des von den Putschisten ermordeten Bürgermeisters Emili Darder zusammen. Oder Antoni Tugores schildert am Strand von Sa Coma die Landung republikanischer Milizen im Sommer 1936 – der Rückeroberungsversuch sollte sehr schnell scheitern. Wie es dann weiterging, erklärt Tugores in einer Bar in Manacor, wo sich einst das Hauptquartier der faschistischen Falange befand. Das Interview hat Buckard nachhaltig beeindruckt, wie er im Gespräch mit der MZ erzählt. Auf die Frage, wo die republikanischen Häftlinge gefangen gehalten wurden, habe der Historiker einfach nach unten gedeutet, Richtung Keller. „Da ist es einem kalt den Rücken heruntergelaufen“, so der Regisseur.

Historiker Tugores im Interview. | FOTO: BUCKARD

Man merkt der Dokumentation an, dass sich die zwei Autoren und Filmemacher schon seit vielen Jahren mit der jüngeren Geschichte der Insel beschäftigen. Mit ihrem Film „Mallorca – eine deutsche Liebe“ von 2018, der von der generationenübergreifenden Leidenschaft für die Insel erzählt, gehörten sie zu den ersten Gewinnern des MZ-Journalistenpreises. Ein Feature über deutsche Exilanten auf Mallorca lief schon 2007 im Radio des SWR.

Schwierige Vergangenheitsbewältigung

Die neueste Dokumentation zeichnet nun nicht nur das Hoffen und Leiden der deutschen Exilanten mit bislang nicht erzählten Details nach, sie schildert auch die schwierige Vergangenheitsbewältigung auf Mallorca bis hin zur Exhumierung der sterblichen Überreste von Aurora Picornell im vergangenen Jahr, jener Kommunistin und Feministin, die zu einer Ikone des Antifaschismus werden sollte. „Jedes Mal, wenn wir nach Mallorca kommen, lernen wir etwas Neues“, sagt Buckard.

Die deutschen Exilanten – die Schriftsteller Franz Blei und Karl Otten etwa oder das jüdische Ehepaar Ernst und Irene Heinemann – waren anfangs hin- und hergerissen. Einerseits die Armut der Bevölkerung, die quasifeudalen Arbeitsbedingungen, die Allmacht der katholischen Kirche. Anderseits die „tausend und tausend Herrlichkeiten der Landschaft“, das mediterrane Lebensgefühl. „Man trägt die landesüblichen Leinenschuhe mit Bastsohlen, weder Strümpfe noch Hemd und Hut“, wird Blei zitiert. „Man sollte nicht glauben, was man alles entbehren, worauf man verzichten kann, ohne jedes Bedauern.“

Das Leben in Cala Ratjada

Die Doku findet Zeit für Details und Anekdoten. Luise Kraschutzki eröffnet in Cala Ratjada einen Laden für Sandalen und Gürtel, expandiert immer weiter, liefert nach Palma, nach Australien und Honolulu, stellt immer mehr Mallorquinerinnen aus dem Ort ein, die zum Teil mehr verdienen als ihre Männer beim Fischfang. War damals auf Mallorca der Besuch von Bars für Frauen ohne Begleitung verpönt, wird die legendäre Wikiki-Bar bei Jazz-Musik und freizügigen Festen zur liberalen Oase der Exilanten. „Und wenn man genug getrunken hat, springt man auch mal betrunken vom Trampolin nackt ins Meer.“

Und ausgerechnet dieses Paradies fällt in die Hände der Faschisten, der Schergen von Franco, von Hitler, von Mussolini. Festnahmen, Exekutionen, Flucht, Selbstmord – der Film erzählt auch das weitere Schicksal der Republikanhänger einerseits und der deutschen Exilanten andererseits. Da passt es gut, dass die vom balearischen Regionalsender IB3 koproduzierte Doku sich nicht nur an deutsches und französisches Publikum wendet, sondern auch im mallorquinischen TV zu sehen sein wird. Wann kommt es schon mal vor, dass Deutsche und Mallorquiner gemeinsam vor dem Fernseher sitzen könnten?

Mallorca – Tod im Paradies

  • auf arte
  • Dienstag (8.8.), 23.35 Uhr
  • Wiederholung am Donnerstag (17.8.) um 10.30 Uhr
  • 52 Minuten
  • online verfügbar vom 8. August bis 6. September auf arte.tv