Mallorca Zeitung

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Palmas geheimnisvolle Untergrund-"Kathedralen"

Unter der Stadt Palma sind ein Dutzend riesige Wasserspeicher erhalten. Nach Es Baluard und Misericòrdia könnte nun ein weiterer „aljub“ für Besucher erschlossen werden

Den Wasserspeicher unter der Misericòrdia hat der Inselrat nicht nur restauriert, sondern auch in Szene gesetzt. | FOTO: MIGUEL VICENS

Ein Lichtstrahl fällt senkrecht nach unten und zerschneidet das dämmrige Licht im Untergrund. Eine schmale Strickleiter führt von der Öffnung im Straßenpflaster mehr als zehn Meter hinunter in den aljub, an dessen Grund knöcheltief das Wasser steht. Massive Säulen tragen ein steinernes Gewölbe, das an einen Sakralbau erinnert. Die Verkrustungen auf den Säulen zeugen vom einstigen Pegelstand und davon, dass der Bau einst eine ganz andere Funktion hatte: Er speicherte bis zu 3.000 Kubikmeter Wasser, mit dem die Bevölkerung Palmas versorgt wurde.

Mit eigenen Augen bestaunen lässt sich der Wasserspeicher nahe dem königlichen Palau Reial nicht, er ist nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Aber Videoaufnahmen im Internet zeigen die beeindruckenden Ausmaße von Säulen, Rundbögen und Gewölben. Und auch Ricard Terrades weiß von ihnen im Detail zu berichten. Der inzwischen pensionierte Mitarbeiter von Palmas Stadtwerken Emaya schaute zusammen mit Einsatzkräften der Polizei im Laufe seiner Dienstjahre immer wieder nach dem Rechten, in diesem und weiteren Wasserspeichern, die es in Palmas Altstadt gab. „Aus Sicherheitsgründen“, erklärt der Mallorquiner. Die Suche nach Sprengstoff im Untergrund gehöre in Innenstädten zum Standard der Sicherheitsvorkehrungen, nicht nur, wenn die spanische Königsfamilie wieder mal zu Ostern in der nahe gelegenen Kathedrale von Palma weilt.

Wo bislang Ratten, Kakerlaken und der ein oder andere Skorpion die meiste Zeit im feuchten Untergrund unter sich sind, können in Zukunft möglicherweise alle Interessierten den beeindruckenden Bau besichtigen, der sich unterhalb der Gärten am Sitz des Balearen-Parlaments befindet, zwischen der Costa de la Seu und dem Carrer Palau Reial. Zur einfachen Orientierung kann auch die dortige Statue des Historikers und Schriftstellers Josep Maria Quadrado dienen. Der Besuch des Aljub de Palau Reial wäre nach Einschätzung von Terrades noch beeindruckender als der im vergangenen Jahr restauriert eröffnete aljub in der Misericòrdia, dem 1565 erbauten früheren Armen- und Krankenhaus in Palma, in dem heute unter anderem ein Kulturzentrum und Abteilungen von Mallorcas Inselrat untergebracht sind.

Wasser aus Palmas Norden

Rund ein Dutzend der Wasserspeicher gibt es im Stadtgebiet. Die meisten entstanden im 19. Jahrhundert, einige auch schon früher, zuweilen unter Verwendung von Strukturen aus der Zeit der arabischen Besiedlung Mallorcas zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert. Nicht umsonst gelten ausgeklügelte Bewässerungs- und Leitungsysteme mit als wichtigstes kulturelles Erbe jener Epoche.

Fast alle aljubs in Palmas Stadtgebiet speiste die Font de la Vila, eine Quelle, die zwischen dem Gelände der heutigen Balearen-Universität (UIB) und dem Dorf Esporles rund sechs Kilometer nördlich von Palma entspringt und noch heute eine der wichtigsten Ressourcen bei der Wasserversorgung Palmas ist. Auch ihre Erschließung geht auf arabische Zeiten zurück, damals trug sie denn auch den Namen Ayn al Amir, Quelle des Emirs. Von dort floss das Wasser über einen Aquädukt in die Speicher und dann in der Regel weiter zu öffentlichen Brunnen, wo sich die Bewohner per Eimer versorgen konnten.

Ihren Dienst taten die Speicher bis in die 1960er-Jahre. Dann löste sie das moderne Leitungssystem ab, und das Wasser gelangt seitdem dank sogenanntem Versorgungsdruck zu jedem Haushalt und fließt dort direkt aus dem Hahn. Die nicht mehr benötigten aljubs gerieten in Vergessenheit, einige dienten auch dem früheren Energieversorger Gesa zum Aufstellen von Transformatoren. Dass die Speicher auch nach Jahrzehnten weitgehend gut erhalten sind, spricht für die gute Bausubstanz.

Der Wasserspeicher unter dem Es Baluard dient heute als Veranstaltungssaal. | FOTO: DM Frank Feldmeier

Der erste Wasserspeicher Palmas, der wieder in altem Glanz erstrahlte, ist der unter dem Es Baluard, dem seit 2004 geöffneten Museum für zeitgenössische Kunst. Der Speicher geht zurück auf Mitte des 17. Jahrhunderts und umfasst eine Fläche von gut 350 Quadratmetern. Dass der rechteckige Raum im Untergeschoss vor Eröffnung des Museums als Müllhalde diente, ist nur noch schwer vorstellbar: Heute gibt es hier wechselnde Ausstellungen, oder es stehen zeitgenössische Künstler auf der Bühne, die nicht zuletzt die Akustik zwischen den restaurierten Marès-Wänden zu schätzen wissen.

Raffiniert ausgeleuchtet

Ebenfalls eng verknüpft mit der Kunstwelt ist der aljub in der Misericòrdia. Der vor rund 20 Jahren wiederentdeckte Bau wurde nach seiner Restaurierung erstmals im September vergangenen Jahres der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – anlässlich der Kunstnacht Nit de l’Art. Seitdem erwies sich der 250 Quadratmeter große und sechs Meter hohe Raum als Publikumsmagnet, wohl auch deswegen, weil die historischen Rundbögen und Säulen als atmosphärisches, mit Klang- und Lichteffekten untermaltes Erlebnis präsentiert wurden. Auch beim Architekturfestival Open House im November weckte der aljub großes Interesse.

Besucher betreten ihn durch einen 14 Meter langen unterirdischen Gang, der den Speicher mit dem Rest des Komplexes verbindet, und stehen dann in einem 250 Quadratmeter großen Raum mit fast sieben Meter hohen Decken, vier zentralen Pfeilern und neun Kreuzrippengewölben aus Marès-Stein. Der Speicher, der unter dem weitläufigen Innenhof Pati de les Dones liegt, versorgte einst das Gebiet der Via Roma mit Trinkwasser. Auch wenn der aljub nur noch ästhetische Funktion hat, bedeckt wieder eine flache Schicht Wasser den Boden, um an die einstige Aufgabe des Baus zu erinnern. Ein Steg mit im Boden eingelassenen Lichtstrahlern führt durch das in Blau- und Gelbtönen ausgeleuchtete Gewölbe.

Die Herrichtung des Wasserspeichers ist Teil eines mehrstufigen Restaurierungsprojekts des gesamten Komplexes – Phase zwei ist abgeschlossen, die dritte Phase steht noch aus. Derzeit ist der aljub nicht öffentlich zugänglich. Wie eine Sprecherin des Inselrats gegenüber der MZ mitteilt, soll der Besuch nach dem Ende von Wartungsarbeiten voraussichtlich in rund fünf Wochen wieder möglich sein.

Brandschutz und Bewässerung

Die meisten Speicher befinden sich im Gebiet der Altstadt, so beispielsweise unter der Plaça del Banc de s’Oli, der Plaça de Sant Jeroni, der Plaça Es Pes de sa Palla, der Plaça d’en Coll oder auch unterhalb der Costa del Teatre, der von inzwischen geschlossenen Ladenlokalen gesäumten Treppe zwischen Rambla und Plaça Major. Das hier gespeicherte Wasser war nicht zuletzt für den Fall von Bränden gedacht, befanden sich hier doch einst Getreidespeicher.

Eine ganz andere Funktion hatte derweil der aljub von Son Vida. Er diente der Bewässerung in der Landwirtschaft, die auf dem außerhalb von Palmas Stadtmauern gelegenen Landgut gleichen Namens betrieben wurde. Ein weiterer Unterschied: Das Wasser stammte nicht von der Font de la Vila, sondern von einer Quelle in den umliegenden Hügeln von Na Burguesa. Mit knapp 5.900 Kubikmeter Fassungsvermögen war es auch einer der größten Speicher im Gemeindegebiet von Palma.

Mit dem Wasser des „aljub“ de Son Vida wurden einst Felder bewässert. | FOTO: EMAYA/TERRADES Frank Feldmeier

Darüber hinaus ist auch seine Bauweise besonders, wie Terrades erklärt: Errichtet wurde er nicht unter Verwendung von Steinquadern oder Eisenkonstruktionen, sondern in Ziegelbauweise. Längst hat sich Palma auch bis dorthin ausgedehnt, und der aljub aus dem Jahr 1907 versteckt sich heute zwischen den Villen des Nobelviertels Son Vida. Betrachten lassen sich von außen zumindest die Gewölbestrukturen der Decke. Die kuppelförmigen Ausbuchtungen sind deutlich zu erkennen.

Wasser für die Schiffe

Der Aljub de Palau Reial unterdessen befindet sich an einem Ort, an dem früher ein Konvent der Dominikaner stand. In dessen Gartenanlagen gab es bereits einen Wasserspeicher kleineren Umfangs. Infolge der Desamortisation in den 1830er-Jahren – so nennen Historiker die Überführung von Gütern der spanischen Kirche in öffentliches oder privates Eigentum – wurde er abgerissen, und die Stadt errichtete den bis heute erhaltenen aljub. Er versorgte nicht nur die Bevölkerung am Borne oder an der Plaça de la Drassana mit Trinkwasser, sondern auch die Schiffsbesatzungen im nahe gelegenen Hafen. Schon damals habe es immer wieder Probleme mit der Trockenheit gegeben, erklärt Terrades – die Speicheranlagen sind damit nicht nur von historischem Interesse, sondern auch Mahnmal, sparsam mit der kostbaren Ressource umzugehen.

Wie nun lässt sich die unterirdische Kathedrale im Herzen von Palmas Touristen-Hotspot für Besucher erschließen? Dass diese über eine Leiter nach unten klettern, ist ausgeschlossen – zu gefährlich. Auch die Anlage einer Treppe wurde verworfen. Terrades schlägt stattdessen vor, einen Gang mit einer leicht abfallenden Rampe anzulegen, der von der Costa de la Seu bis zum Wasserspeicher führt, nicht hinunter bis zum Boden von diesem, aber zu einer Art Balkon, von dem aus sich der aljub bewundern ließe. Mit der richtigen Beleuchtung wäre er dann noch beeindruckender als der Speicher der Misericòrdia, ist sich Terrades sicher. Das Projekt müsse freilich noch ausgearbeitet werden, aber ein konkreter Vorschlag liege inzwischen bei den Verantwortlichen von Emaya auf dem Tisch. Bei den Stadtwerken Palmas sei man am Projekt interessiert, müsse aber noch die Kosten dafür durchrechnen.

Versteckte Schätze

Nach Einschätzung der Denkmalschutzvereinigung Arca ist der aljub nur eines von mehreren Beispielen für das Kulturerbe im Stadtgebiet – sei es an der Oberfläche, oder im Untergrund –, das die Institutionen bewahren und endlich zugänglich machen sollten. Weitere Baustellen auf dieser Liste seien El Temple – das Templerkastell befindet sich seit 2007 im Besitz der Stadt –, das gotische Herrenhaus Can Serra, der einstige Eisenbahntunnel zwischen Plaça Major und Parc de la Mar oder Luftschutzbunker aus dem Bürgerkrieg, die ebenfalls fester Bestandteil der Unterwelt Palmas sind.

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