Ihre Kette trägt Margalida Planas jeden Tag. „Angeblich hält sie böse Blick ab“, sagt die Kindergärtnerin aus Llucmajor auf Mallorca schulterzuckend, „aber ich finde den Anhänger einfach schön.“ Der Anhänger ist ein gefasster Pedra de Santa Llúcia. Die Natursteine, die eigentlich gar keine Steine sind, erfreuen sich auf der Insel besonderer Beliebtheit, zudem können sie an den Stränden gesammelt werden. „Meinen hat meine Mutter gefunden“, erzählt Margalida Planas.

Urko und Miguel Salvadó kennen sich mit den Pedres de Santa Llucia bestens aus. Denn Vater und Sohn sind Goldschmiede, ihr Ladengeschäft Ámbar befindet sich im Zentrum von Palma (Carrer Costa d’en Bossa, 4B). „Meistens fertigen wir damit Schmuck auf Bestellung an“, erzählt Urko Salvadó. Vater Miguel Salvadó ergänzt: „Gefragt sind Anhänger, Armbänder, Ohrringe, die verschiedensten Schmuckstücke.“ Meist wird eine Silberfassung gewählt. Die Designs sind klassisch-schlicht. Oftmals kommen die Kunden mit ihren Fundstücken, die sie entweder selbst oder die Familienmitglieder am Strand gesammelt haben, und wollen diese verarbeiten lassen. So erhält der Schmuck vor allem einen großen emotionalen Wert.

Im Schmuckgeschäft Ambar gibt es etwa Ketten aus dem beliebten "Stein der Heiligen Lucia". Bendgens

Der Verschluss der Schnecke

Denn die pedres sind keine echten Edelsteine. Sie sind noch nicht mal richtige Steine. Sie stammen von den sogenannten Kreisel- oder Turbanschnecken, die im Mittelmeerraum verbreitet sind. „Es ist der Verschluss der Meeresmuschel, das sogenannte Operculum“, erklärt der junge Goldschmied. Der Deckel besteht aus Kalk und verschließt die Mündung des Schneckenhauses. Will die Schnecke Nahrung aufnehmen, öffnet sie die Tür, ansonsten bleibt die Klappe zu. Stirbt das Tier, löst sich das Operculum, treibt dann im Meer umher und landet an den mallorquinischen Stränden.

Im deutschen Sprachgebrauch heißen diese tierischen Hinterlassenschaften Shiva-Muscheln, Meeresaugen oder Venusnabeln. Die Mallorquiner nennen sie „Steine der Heiligen Lucia“ (Pedres de Santa Llúcia) oder „Augen der Heiligen Lucia“ (Ull de Santa Llúcia), auch als Meerjungfrauen- oder Hexenaugen können die Schneckendeckel bezeichnet werden.

Namensgeberin des Strandgutes ist Lucia von Syrakus (283–304), Patronin der Blinden. Der Legende nach soll sich die Jungfrau ihre Augen herausgerissen und diese ihrem Verlobten geschickt haben, als die Hochzeit platzte. Die Heilige Mutter Gottes habe ihr daraufhin ein Paar wunderschöne neue Augen verliehen. Die Heilige Lucia wird unter anderem bei Augenleiden angerufen. So sollen ihre Steine bei Augenentzündungen und Sehproblemen helfen, zur Unterstützung muss allerdings ein Zauberspruch aufgesagt werden. Zudem sollen sie von Kopfschmerz befreien und Unheil abhalten, sagt der Volksmund.

Die "pedres" sind keine echten Steine, sie stammen von den Kreisel- oder Turbanschnecken. Bendgens

„Im Internet finden sich viele heilende Eigenschaften, welche die Steine angeblich haben“, sagt Urko Salvadó, der auch Gemmologe, also ein Fachmann für Edelsteine ist. Sein 66-jähriger Vater fügt mit einem Schmunzeln an: „Da ist sicherlich auch viel Kraft der Gedanken dabei.“

Die Steine greifen die Form der Schnecke auf. Die weiße Seite mit dem dunklen Spiralmotiv wird bei den Schmuckstücken sichtbar getragen. Bei der Meeresschnecke ist die Schmuckseite allerdings nach innen gewandt. Die äußere Wand der Schutztür ist bräunlich gefärbt und uneben, auch sie weißt eine spiralförmige Struktur auf. Diese Seite muss laut Volksglauben auf der Haut aufliegen, um ihre Schutz- und Heilungskräfte wirken zu lassen. Die Goldschmiede passen die „Augen der Lucia“ allerdings oft auch so ein, dass die dunkle Seite vom Edelmetall verdeckt wird – je nachdem, was der Kunde wünscht.

Uferbereich abschnorcheln

Wer möchte, kann die natürlichen Schmucksteine selbst sammeln. Am ehesten wird man an den Stränden im Norden der Insel fündig. Ein Besuch der Cala Sant Vicenç (Pollença) und der Playa des Coll de Baix (Alcúdia) lohnt sich. Ein bisschen muss sich der Badegast allerdings schon anstrengen, um das Strandgut zu finden, Geduld und Glück gehören zu einem guten Fund dazu. Urko Salvadó rät: „Am besten schnorchelt man den Uferbereich ab, sucht und gräbt dort im Sand.“ Denn einfach am Strand liegen nur die wenigsten der Schneckenreste herum.

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Wer kein Glück mit seiner Suche hat, kann sich im Ámbar auch einen Lucia-Stein aussuchen. Der Juwelier hat eine Auswahl in verschiedenen Größen vorrätig. Einige davon sammelte Urko Salvadó persönlich. Auch in diversen Online-Verkaufsbörsen werden die Schneckenreste für kleines Geld angeboten.

Damit das Strandgut als Schmuckstück verarbeitet werden kann, ist der Zustand von zentraler Bedeutung. „Wenn die pedres zu lange im Meer treiben, sind sie natürlich der Kraft der Wellen ausgesetzt.“ Shiva-Muscheln, deren Oberfläche nicht angegriffen oder porös ist, lagen oft nur wenige Tage lang im Wasser, bevor sie am Strand entdeckt wurden. Das Strandgut muss dann im Gegensatz zu Edelsteinen nicht besonders aufwendig geschliffen werden, um es in die Fassung zu bringen. Denn oft wird die natürliche Form beibehalten. Darüber hinaus wird die Oberfläche in der Regel leicht poliert, bevor die Ware in den Verkauf geht. Ob abergläubisch oder nicht: „Es ist ein wirklich schöner Schmuck, der an Sommer und Strand erinnert.“