Mallorca Zeitung

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Nüchtern am Ballermann: Geht Party an der Playa de Palma auch ohne Alkohol?

Beobachtungen von der Promille-Front an der deutschen Urlaubermeile auf Mallorca

Ungewöhnlich, aber möglich: Mit der Wasserflasche im Bierkönig anstoßen. Nele Bendgens

Kaum ein Event verleitet die Deutschen mehr zum Trinken als der Vatertag, der an diesem Donnerstag (18.5.) wieder anstand. „Es ist eine Beleidigung, uns zu fragen, ob wir dann am Ballermann sind“, sagt Marcus Aurelius von der Trinkbruderschaft Suffgeschwader. „Wir bauen direkt am Balneario 6 einen Pool auf und werden kaum zu übersehen sein.“ An die 200 Euro gibt ein Saufbruder an normalen Tagen an der Playa für Alkohol aus, zu besonderen Anlässen wie diesem sind es auch schnell mal 400 Euro. „Beliebt ist die Playa-Schorle – Wodka Lemon“, sagt der Partyurlauber. „Bei unserer Gruppe ist zudem Black Magic der Hit – schwarzer Wodka mit pürierten Erdbeeren.“ Bier sei gar nicht so angesagt. Zu groß ist die Angst, dass einem K.o.-Tropfen ins Glas geschüttet werden. „Das passiert heutzutage immer öfter. Wir verzichten auf offene Getränke und bestellen nur Flaschen“, sagt Aurelius.

Endlich wieder da und schon einen im Tee/ und am nächsten Morgen tut die Birne weh/ Sangría, Wodka, Wein/ wir knallen uns alles rein/ denn wir woll’n nur eins: besoffen sein.

Partyhit „Dicht im Flieger“, Julian Sommer

Die deutsche Partymeile ist eng mit dem Alkohol verknüpft. Das geht bereits beim Namen los. Der Legende nach hat die Kölner Thekentruppe „Merowinger“ den Begriff Ballermann erfunden, weil im Rausch das Wort „Balneario“ zu schwierig wurde. Zudem ist „ballern“ ein passender Ausdruck für das, was Tausende Urlauber alljährlich an der Playa de Palma tun: bis zur Besinnungslosigkeit saufen. Die Suche nach Leuten, die allein wegen der Stimmung Megapark, Bierkönig und Co. aufsuchen und dabei auf Alkohol verzichten, gestaltet sich schwierig. „Nichts trinken am Ballermann? Ich kenne nur das Gegenteil“, lautet mehr als einmal die Antwort. „Es heißt schließlich nicht Wasserkönig“, sagt Aurelius, der laut eigener Aussage aber auch mal zwei, drei Tage nüchtern Party machen könnte. „In geselliger Runde macht es mit Alkohol aber mehr Spaß. Zudem schmeckt es mir auch einfach gut.“

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Vatertag an der Playa de Palma 2023 - die besten Bilder

„Meist sind es Frauen, die auf den Alkohol verzichten“, sagt Gerlinde Weininger, Wirtin des Münchner Kindls. Männer blieben höchstens trocken, wenn sie dazu gezwungen werden. „Manche müssen noch Auto fahren, dürfen aus gesundheitlichen Gründen nicht trinken, waren früher Alkoholiker oder sind noch so verkatert, dass sie keine Lust haben.“

Beinahe täglich sieht die Wirtin schon mittags Betrunkene, die verirrt mit dem Handy in der Hand das Hotel suchen. „Nicht wenige steuern die Autobahn und Gebiete an, wo überhaupt kein Hotel oder eine Ferienwohnung ist. Das stimmt mich schon nachdenklich“, sagt Weininger, die selbst immer wieder Gäste mit hohen Rechnungen hat. „Zuletzt waren 40 Kölner da, die zusammen 3.500 Euro zahlen mussten – das meiste davon Getränke.“

Wir sind hier, und wir sind die Macht am Glas/ wir trinken so lange, bis der Sanitäter sagt: „Das war’s.“

Partyhit „Vorglühn, Nachglühn“, Marry

Allein der Anblick des MZ-Reporters mit der Wasserflasche in der Hand verleitet einen Playa-Urlauber dazu, ihn als „erbärmlich“ zu bezeichnen. Selbst die Leute, die im Alltag wenig trinken, lassen an der Playa die Sau raus, vermutet die Bierkönig-Sängerin Marion „Marry“ Möhlich. „Sie wollen sich im Urlaub gehen lassen. Der Gruppenzwang spielt eine Rolle. Betrunkene lachen über andere Sachen als Nüchterne. Da will man nicht außen vor bleiben.“

Ich muss mir den Ballermann nicht schöntrinken.

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Die Künstlerin aus dem Rheinland trinkt selbst so gut wie keinen Alkohol. „Das war schon immer so. Ich war bei meinen Freunden eine beliebte Partybegleitung, da ich die Fahrerin sein konnte“, sagt Möhlich. Dabei sei es einfach der Geschmack des Rauschmittels, der ihr nicht gefällt. „Ein Hugo geht vielleicht noch. Aber ich muss mir den Ballermann nicht schöntrinken. Zudem habe ich die strikte Regel, dass ich auf der Bühne nichts trinke. Es ist mein Job. Andere trinken auch nicht auf Arbeit.

Sängerin Marion "Marry" Möhlich. Privat

Sie habe auch ohne Alkohol keine Probleme, bis 6 Uhr morgens zu feiern. Zumal die nüchterne Party ihre Vorteile hat. „Mir wird nicht schlecht, ich kotze nicht rum und habe am nächsten Tag keinen Kater.“ Gleichzeitig zeigt sie sich diplomatisch gegenüber ihrem Publikum, dass oftmals nur zum Saufen anreist. Gewissermaßen fördert sie es auch mit ihrer Musik, wie in der obigen Textzeile aus ihrem Song zu entnehmen ist. „Die Partyurlauber wollen von den Liedern getragen werden. Es kommt auf den Mix an. Nicht alle Songs handeln vom Trinken“, sagt Möhlich.

Beeinflussen die Sauflieder das Trinkverhalten?

Zumal die Lieder meist vor Ironie strotzen. „Ich überlege mit dem Saufen aufzuhören, aber ich schwanke noch“, sang Ikke Hüftgold in der vergangenen Saison. Dieses Jahr versucht es Mickie Krause mit seinem neuen Hit „Ich will nie mehr alkoholfreie Getränke“ mit einer langen Pause zwischen dem „Alkohol“ und dem „freie“. „Es ist schon erschreckend, wie sehr der Alkohol in Songs verharmlost wird“, meint Matthias Distel alias Ikke Hüftgold und fügt zweideutig hinzu. „Ich persönlich schwanke noch und sage, dass die Gefahr einer Suchtkrankheit an jedem Ort dieser Welt gleich hoch ist. Man sollte sich allerdings über Altersgrenzen Gedanken machen. Viele Süchte beginnen bereits vor der Volljährigkeit.“

Nici Oehrlein kann gar nicht genug von den Ballermann-Liedern bekommen. „Ich flieg’ einfach auf die Musik und höre sie gerne im Alltag.“ Die junge Frau macht eine Ausbildung zur Erzieherin und wohnt in Can Pastilla. „Nach Feierabend gehe ich oft in den Bierkönig.“ Manchmal mit Freunden, manchmal auf gut Glück allein. „Für ein oder zwei Stunden, manchmal länger. Ich treffe dort eigentlich immer Leute, die ich kenne. Und zur Not plauder’ ich mit dem DJ.“ Aus gesundheitlichen Gründen darf Oehrlein seit zweieinhalb Jahren keinen Alkohol trinken. „Am Ballermann fühle ich die Party auch so. Ich stehe wie alle anderen auf den Stühlen und feiere mit.“

Ballermann-Fan Nici Oehrlein Privat

Saufen, morgens, mittags, abends, ich will saufen/ der Hahn muss laufen/ morgens, mittags abends, er muss laufen/ Hauptsache Alkohol!

„Saufen, morgens, mittags, abends“, Ingo ohne Flamingo

„Sie macht härter Party als jeder Betrunkene“, sagt Aaron Müller über die angehende Erzieherin. Der Bierkönig-DJ hat sein Limit deutlich überschritten und sich beinahe zu Tode gesoffen (MZ berichtete). „Ich bin ein Dorfkind. Auf dem Land muss man sich quasi entschuldigen, wenn man nicht trinkt“, sagt der 38-Jährige aus Idar-Oberstein. Schon vor der Schicht hatte er meist zwölf Dosenbier intus. „Ich bin am DJ-Pult eingepennt, habe Gäste bepöbelt und konnte mich später an nichts erinnern.“

Als er während der Pandemie zu betrunken war, um sich die Atemmaske korrekt aufzusetzen, stellt ihn sein damaliger Arbeitgeber, der Bierbrunnen in Cala Ratjada, frei. „Ich war pleite, und meine Freundin schickte mich zu meiner Familie nach Deutschland.“ Dort begab er sich in eine Entzugsklinik. „Am 19. Juni 2021 habe ich mein letztes Bier getrunken.“ Nach 18 Tagen wurde er entlassen und in die Hände eines Sozialarbeiters übergeben. „Ich hatte mich mit den Folgen des Alkoholismus beschäftigt. Besonders die Drehtürpatienten, die alle paar Wochen wieder in die Entzugsklinik kamen, waren für mich eine Schock-Erlebnis.“

Es hat keiner geglaubt, dass ich nüchtern bleibe. Es kannten mich alle als Trunkenbold, der vehement gegen die Nicht-Trinker ist.

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Ende März des vergangenen Jahres kehrte er an die Playa de Palma zurück. „Es hat keiner geglaubt, dass ich nüchtern bleibe. Es kannten mich alle als Trunkenbold, der vehement gegen die Nicht-Trinker ist“, sagt Müller.

Gerlinde Weininger vom Münchner Kindl gab ihm eine zweite Chance. Der DJ bewährte sich und wurde schon wenig später vom Bierkönig abgeworben. „Auf Arbeit vermisse ich den Alkohol nicht. Mir ist es lieber, wenn ich jetzt am Morgen meinen Kaffee trinken und brunchen kann. Das wäre früher unvorstellbar gewesen.“ Lediglich bei den gemeinschaftlichen Erlebnissen wie nun zum Vatertag fehlen ihm die Ausflüge mit dem Bollerwagen. „Wenn ich mich dann aber frage, ob es das wert wäre, muss ich klar mit ‚Nein‘ antworten.“

„Die Leute fangen an, mir wieder zu vertrauen. Diesmal enttäusche ich sie nicht“: Aaron Müller vor dem Bierkönig. | FOTO: PERE JOAN OLIVER Sophie MOno

Statt bis zur Besinnungslosigkeit zu trinken, genießt der DJ heute den Anblick der Feiermenge. „Die Betrunkenen sind wie Zombies. Ich beobachte interessante Dinge, die man im Café nebenan so nicht sieht.“ Scham oder Ärger empfindet er dabei nicht. „Ich war früher keinen Deut besser.“ Wird er gefragt, ob er nicht mit einem Glas Bier anstoßen möchte, zeigt er ein altes Foto von sich aus dem Jahr 2020. Der Alkohol hatte ihn damals stark übergewichtig gemacht. 105 Kilo brachte er auf die Waage. Seit dem Entzug purzeln die Pfunde.

„Ich hatte Angst, dass die Leute den nüchternen Aaron nicht akzeptieren. Dem war aber nicht so“, sagt er. Die Rückfallgefahr sieht er nicht. „Ich will keinen Alkohol mehr. Ich trinke nur noch 0,0-Bier. Und selbst wenn ich mal einen Schluck aus dem falschen Glas nehmen würde, würde ich keinen zweiten trinken wollen.“ Der trockene Alkoholiker meidet in seiner Freizeit den Ballermann. „Davon habe ich durch meine Arbeit genug. Im Urlaub will ich die Welt sehen, mit Delfinen schwimmen und in überfüllten Zügen in Indien sitzen. Ich habe genügend Zeit in meinem Leben durch den Alkohol verschwendet.

Ob das Suffgeschwader eines Tages zur gleichen Erkenntnis kommt? „Solange sie nur hier saufen, sehe ich sie nicht als Alkoholiker“, sagt Müller. Anderer Meinung ist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. „Rauschtrinken ist in Deutschland ein akutes Problem“, sagt eine Sprecherin auf MZ-Anfrage. Besonders in der Altersklasse 15 bis 19 Jahre sei die Anzahl an Alkoholvergiftungen hoch. „Dass Deutsche im Urlaub generell mehr Alkohol trinken, lässt sich nicht verallgemeinert sagen. All-inclusive-Hotels, Flatratepartys und eine ausgelassen-sorglose und gesellige Stimmung können aber durchaus dazu führen, dass mehr Alkohol getrunken wird.“ Marcus Aurelius nimmt die Ballermann-Partys locker. „Unsere Mitglieder stehen fest im Leben und sind sozialisiert. Ich trinke zu Hause keinen Alkohol.“

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