Im Juli hat der Inselgarten einiges an Blüten zu bieten. Die spektakulärste unter ihnen ist zweifellos die Passionsblume, die jedoch nur dann ihre Höchstform erreicht, wenn ihr der Gartenbesitzer Schatten bietet. Das hat seinen Grund, denn sie stammt aus einer großen Familie von meist kletternden Pflanzen. Diese zählt über 500 Arten, die in subtropischen und tropischen Ländern der südlichen Hemisphäre wild wachsen. Die meisten von ihnen starten ihre Vegetation im dunklen Erdgeschoss des Regenwaldes. Von hier aus suchen sich die Kletterer einen möglichst direkten Weg nach oben ans Licht und halten sich dabei an Bäumen, Sträuchern und Urwaldriesen fest. Um dann hoch oben auf dem Dach des Regenwaldes Bestäuber anzulocken.

Ein Kenner der Familie Passifloraceae ist der Mallorquiner Xavi Simó, der seit 25 Jahren diese Pflanzen züchtet. Während eines Vierteljahrhunderts hat der 53-Jährige auf langen Reisen durch Chile, Brasilien und Peru viele Exemplare gesammelt oder getauscht. "Schon zu einer Zeit, in der es noch kein Internet und keine Pflanzenbörsen gab", berichtet er.

Zudem lebte Simó lange in Marokko. Dort habe er viel über Gewächse gelernt, die nicht auf Mallorca heimisch sind. Doch seine Leidenschaft gehörte immer der Passiflora, wie sie im Spanischen genannt wird. Mittlerweile besitzt er über hundert Exemplare, die er selbst vermehrt hat. Weil sie viel Platz brauchen, verkauft er sie oder bringt sie bei Freunden unter.

Deshalb trifft er sich mit der MZ auch in der Gärtnerei Vivers Santa Maria von Mateu Morro. Hier hat die Passiflora leida in zwei Jahren auf mehreren Quadratmetern die Mauer im Schatten eines Daches vollständig begrünt und diesen Morgen bereits einige zauberhafte Blüten gebildet.

Kleine Kunstwerke

Die Blüten der Passiflora leida haben einen Durchmesser von zehn Zentimetern. Die Basis jeder Blüte bilden zehn Kronblätter, die auf der Rückseite grün und vorne violett sind. Über ihnen liegt ein Strahlenkranz, den gewellte, ebenfalls violette Fäden bilden. Aus der leicht erhöhten Mitte ragen fünf quer liegende, etwa einen Zentimeter lange in der Mitte verankerte Staubgefäße. Und über all dem bilden drei Narbenstränge, deren Enden gespalten und leicht verdickt sind, den Mittelpunkt.

Es erfordert schon einiges an Fantasie, um in dem raffinierten Blütenaufbau, der dazu gemacht ist, exotische Bestäuber anzulocken, christliche Symbole für Kreuz, Nägel und Dornenkrone zu sehen. Spanische Jesuiten deuteten das im 16. Jahrhundert in Lateinamerika jedoch auf diese Weise. Sie benannten die Pflanze, die bis dahin von den Ureinwohnern wegen ihrer heilenden Kräfte verehrt worden war, nach der Passion Christi.

Die Vermehrung

Doch nicht nur Form und Farbe der Blüte sind spektakulär, ihre Staubbeutel verströmen obendrein einen süßen exotischen Duft. Bei den Wildpflanzen lockt dieser Cocktail tagsüber Kolibris und nachts Fledermäuse an. Auf Mallorca werden die hübschen Blüten von heimischen Insekten angeflogen, die sich über Pollen und Nektar freuen. "Doch für die Bestäubung sind die Insekten der nördlichen Hemisphäre nicht geeignet", berichtet der Züchter. Deshalb vermehrt er die Passionsblume mit Stecklingen. Diese sind im privaten Garten von Mateu Morro zu besichtigen. Dort stehen sie im Schatten einer Mauer im Dunklen. Trotzdem ist zu erkennen, dass sie etwa 15 Zentimeter hoch aus ihren Töpfen ragen.

Von der erwachsenen Pflanze werden sie im Herbst abgetrennt, denn dann liefert der wuchsfreudige Kletterer ausgiebig Material. Doch um Wurzeln zu bilden, brauchen sie ein mildes Klima wie im Inselfrühling. Dieses bietet der Züchter ihnen in einem geheizten Anzuchtraum bei Kunstlicht. Am Anfang stecken viele Stecklinge in einer Pflanzschale, nach der Wurzelbildung setzt er sie in Töpfe um.

Für neue Züchtungen bestäubt Simó die Blüten gezielt, zur Fruchtbildung kommt es im mediterranen Klima selten. Und wenn, dann sind die Früchte, wie beispielsweise bei der Passiflora leida samenlos. Die Passiflora caerulea ist die einzige ihrer Art, die sich auf der Insel selbst bestäubt und orangefarbene Früchte mit roten Samen bildet. Diese sind laut Simó zwar nicht giftig, essbar aber auch nicht.

Wuchsfreudiges Gewächs

Wenn die Kletterpflanze im Inselgarten den richtigen Platz bekommt, verhält sie sich wie die wilde Verwandtschaft. Wie diese breitet sie unterirdisch ein weitverzweigtes Wurzelsystem aus. Das kann im Inselgarten dazu führen, dass meterweit von dem Standort, den der Gartenbesitzer ursprünglich für die Pflanze vorgesehen hatte, im Frühjahr Triebe aus der Erde schießen. Das hat der Passiflora den Ruf eingebracht, invasiv zu sein. Aber das lässt Simó nicht gelten: "Wirklich invasiv sind Pflanzen, die Samen durch den Wind verteilen." Das Wachstum der Passionsblumen sei dagegen schon mit einer Schere leicht in Schach zu halten.

Zeigen sich im Frühjahr nach der ausgiebigen Vegetationspause an unerwünschten Stellen Triebe, schneidet sie Simó ab oder zieht die Wurzeln aus. Die, die dagegen an den vorgesehenen Standorten sprießen, lässt er wachsen und bietet ihnen ein Klettergerüst. Die Pflanze rollt jedoch ihre Haftwurzeln um all das, was auf dem Weg nach oben hilfreich sein könnte. Auch sie hält sich an Bäumen fest, was diesen, vom Lichtverlust abgesehen, sonst keinen Schaden zufügt. Darüber hinaus ist der Kletterer auch in der Lage, sich an Natursteinmauern festzuhalten.

Vorliebe für Mauern

Doch am liebsten sind der Pflanze Natursteinmauern, auf denen ein luftiger Metallzaun befestigt ist. Denn diese Kombination bietet unten Kühle für die Wurzeln und oben Sonne für die Blüten. Dafür schenkt die Passiflora dem Gartenbesitzer dichten Sichtschutz.

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Solch ein bewachsener Zaun auf einer Natursteinmauer ist in der Einfahrt zum privaten Garten von Mateu Morro zu besichtigen. Hier wachsen die weiße Passiflora wedding sowie die rote Passiflora vitifolia, deren Blätter denen der Weinrebe ähneln. Übrigens besitzt die Familie der Passifloraceae eine größere Vielfalt an Blattformen als andere Pflanzenfamilien.

Das Laub verfärbt sich im Herbst in den Gärten Mallorcas, weil hier die Winter kälter sind als in der ursprünglichen Heimat der Passiflora. Dann ist für den Gärtner der Zeitpunkt gekommen, das Laub und die Äste über den verholzten Stämmen abzuschneiden. Danach unterstützt Simó die Wurzeln mit Kalium (Potasio), im folgenden Frühjahr fördert er das Wachstum von Lianen und Blättern mit Phosphor, die Blütenbildung dann mit Stickstoff (Nitrógeno). Diese Düngung bekomme, so der Züchter, nicht nur der Passiflora, sie tue allen blühenden Gewächsen gut.