Die verschlissene türkise Holztür hätte wohl noch ein paar Jährchen gehalten, hätte man sie nicht mutwillig zerstört. Halb offen stehend gibt sie den Blick frei auf den wohl vor Jahren von den Besitzern zugemauerten und etwas später von Besetzern wieder aufgebrochenen Eingang des ehemaligen Tabakladens von im Stadtteil La Soledat in Palma de Mallorca. „Als ich ein Kind war, kaufte mein Opa hier seine Zigaretten, und für mich gab es Süßigkeiten dazu“, erinnert sich Malen, die in den 70er-Jahren in La Soledat aufwuchs und nun selbst eine zwölfjährige Tochter hat. „Das war hier früher ein geachtetes Arbeiterviertel“, sagt sie und schwärmt vom Bäcker Vola Vola im Carrer Fornaris. „Der hatte das beste Brot überhaupt, die Leute kamen teilweise von außerhalb und standen Schlange“, erinnert sie sich.

Alter Tabakladen von 
La Soledat mit zugemauertem und wieder aufgebrochenem Eingang.   | FOTO: NELE BENDGENS

Alter Tabakladen von La Soledat mit zugemauertem und wieder aufgebrochenem Eingang. | FOTO: NELE BENDGENS Tom Gebhardt

Heute ist der Laden zu. So wie die Schreinerei ihres Opas und so wie der Friseursalon Paquita, in dem sie für ihre Erstkommunion frisiert wurde, und so wie der Motorradhändler, in dem sie ihr erstes Moped kaufte. Nur das Fitnessstudio, in dem Malen erste Tanzstunden nahm, gibt es noch. Inzwischen wird aber nur noch Kampfsport unterrichtet.

Die meisten Geschäfte sind geschlossen. Viele Wohnungen verrammelt, teilweise von Hausbesetzern bewohnt. Die meisten Alteingesessenen haben das Viertel inzwischen verlassen, warten vielleicht noch auf einen guten Zeitpunkt, um ihre Immobilien zu verkaufen. La Soledat, das Viertel, das direkt an die geplante Luxus-Neubausiedlung Nou Llevant anschließt (re. Seite), ist etwa seit der Jahrtausendwende nach und nach zum Hauptumschlagsplatz für Marihuana geworden. Seit die Behörden versuchen, die Barackensiedlung Son Banya an Palmas Flughafen zu schließen, hat sich der Clan von „El Pablo“ in La Soledat niedergelassen. Rund 50 Familien leben schätzungsweise im Viertel vom Dealen. Die meisten arbeiten für den Clan von „El Pablo“. Der sitzt zwar inzwischen im Gefängnis, zieht von dort aber weiter seine Fäden.

Dass La Soledat früher ein geachtetes Arbeiterviertel war, ist an manchen Stellen noch zu erkennen. | FOTO: NELE BENDGENS Tom Gebhardt

Ob das nebenan gebaute Luxusviertel daran etwas ändert wird, weiß man nicht. Über El Pablo will im Viertel ohnehin niemand sprechen. „Aber vielleicht verschwinden wenigstens die Autowracks von den Straßen, und es werden ein paar Mülleimer für die Hundeexkremente aufgestellt“, hofft Malen. Der Wert der elterlichen Wohnung, die sie einmal zusammen mit den beiden Geschwistern erben wird, werde sicherlich steigen. „Wenn ich wegziehen und verkaufen will, wäre das ein Vorteil“, sagt die 49-Jährige. Aber den Geschwistern ihren Anteil auszahlen, um zu bleiben, das werde bei steigenden Preisen wohl kaum gehen. Für die Tochter wünsche sie sich ohnehin ein besseres Viertel.

Auch der 53-jährige Schmied Justo wird La Soledat – auf Deutsch "Die Einsamkeit" – wohl bald verlassen. „Ich ziehe nach Jerez de la Frontera, aufs Festland“, sagt er wehmütig, während er gerade ein auf der Werkbank eingespanntes Eisentor bearbeitet. In Südspanien verdiene man zwar nur die Hälfte, aber für die Wohnung zahle man nur ein Viertel. Vor der Krise von 2008 hatte Justo einen gut laufenden Handwerksbetrieb mit mehreren Angestellten. Dann musste er alle entlassen. 2009 mietete er allein eine preiswerte Werkstatt in La Soledat. Doch bei den 250 Euro im Monat werde es schon bald nicht mehr bleiben, ist er sich sicher. Vor allem Deutsche kauften alte Häuser in La Soledat auf, sagt Justo. Die Preise stiegen schnell. Außerdem werde das Gebäude, in dem seine Werkstatt ist, wohl abgerissen, weil die Stadt eine breite Verbindungsstraße zwischen dem Carrer Manacor und Nou Llevant plant.

Ein Straßenzug von La Soledat mit Blick auf eine der neuen Wohnanlagen. Nele Bendgens

„Es wird bald keiner mehr übrig bleiben“, klagt Biel. Der 83-Jährige, den im Viertel alle unter dem Spitznamen "En Cantarí" (der Sänger) kennen, stellt sich dem Reporter als „der älteste Einwohner von La Soledat“ vor und erzählt von Zeiten, als in den längst geschlossenen Fabriken des ehemaligen Arbeiterviertels Decken (Can Ribas) und Qualitätsschuhe (Zapatos Gorila) produziert wurden, „um sie ins ganze Land auszuliefern“. Er selbst habe sein gesamtes Berufsleben als Automechaniker verbracht. Heute seien andere Geschäfte lohnender, sagt er, als ein schicker BMW mit laut aufgedrehtem Reggaeton vorbeifährt.

Von seinen Ersparnissen konnte er nach und nach mehrere der Nachbarwohnungen in seiner Straße kaufen. Er vermietet sie nun an zugezogene Festlandspanier. Sein Sohn hat das Viertel bereits verlassen. Wegen steigender Preise durch den Boom in Nou Llevant habe der Sohn „zu einem sehr guten Preis“ verkauft und sich dafür ein Grundstück mit zwei Häuschen und Bäumen bei Santa Maria geleistet. „Bald bleibt keiner mehr hier“, klagt der „Sänger“ noch einmal resigniert.

Nicht aufgeben will Francisco, der aus seinem Hauseingang lugt, als er erfährt, dass sich ein Reporter für La Soledat interessiert. Im Viertel will er den Ortsverein der rechtsextremen Partei Vox gründen, um Front gegen diejenigen zu machen, die den Frieden stören, ihr Geld mit Drogen verdienen und „den Müll einfach auf die Straße werfen“. Von der Stadt Palma fordert er, dass sie die geschlossene und inzwischen von Hausbesetzern bewohnte Wache der Ortspolizei wieder öffnet. Spätestens wenn in Nou Llevant die ersten Bewohner einziehen, müsse sich die Stadt auch wieder um La Soledat kümmern, hofft Francisco. /tg

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Eine der neuen Wohnanlagen im Stadtentwicklungsgebiet Nou Llevant. Nele Bendgens