"Künstlerehe" mit Til Schweiger: Wie ein gefragter deutscher Filmkomponist auf Mallorca arbeitet

Martin Todsharow komponiert die Musik zu bekannten deutschen Kinofilmen. Das macht er am liebsten in seinem Haus auf der Insel

Martin Todsharow spielt für manche der Filme selbst die Gitarrenstimme ein.

Martin Todsharow spielt für manche der Filme selbst die Gitarrenstimme ein. / Nele Bendgens

Marlene Weyerer

Marlene Weyerer

In das Gefängnis dringt nur wenig Außenlicht, alles ist grau und düster. Nach ein paar Mausklicks von Martin Todsharow wird es noch viel schlimmer. Tiefe lange Töne schaffen ein klaustrophobisches Ambiente. Der Zuschauer hört direkt: Für den Hauptcharakter wird es hier nicht gut ausgehen.

Todsharow ist ein gefragter Komponist in der deutschen Filmbranche. Seit Jahren erstellt er die Musik zu sämtlichen Filmen von Til Schweiger, auch der Regisseur Oskar Roehler hat seit „Die Unberührbare“ nur mit Todsharow gearbeitet. Der 55-Jährige hat außerdem die Musik zu Filmen wie „Wüstenblume“, „Frau Müller muss weg“ und mehreren „Tatort“-Krimis erstellt.

Mit Computer und Klaviertastatur

Im Moment komponiert er für einen „fiesen Knastfilm“, wie er ihn nennt. Dafür lässt er mit ein paar Bewegungen ein Orchester spielen. Statt wie ein Dirigent mit einem Taktstock, arbeitet Todsharow allerdings mit Computer und Klaviertastatur. Erst wählt er aus, welches Instrument in welcher Tonlage zu hören sein soll. Dann spielt er auf der Klaviertastatur die Töne und Akkorde ein. Wenn mehrere Instrumente zusammenspielen sollen, nimmt er die erste Melodie auf und spielt in einem zweiten Durchlauf das nächste Instrument hinzu. So entsteht nach und nach eine Tonkulisse, während der Protagonist immer tiefer in die Gefängniswelt eindringt.

Todsharow hat Spaß an düsteren Themen. Eines seiner vorherigen Projekte war die dystopische Serie „Helgoland 513“, die der Regisseur Robert Schwentke („Die Frau des Zeitreisenden“, „R.E.D.“) für den Streaming-Dienst Sky gedreht hat.

Ganze Welten mit Musik erschaffen

Während sich auf seinem Bildschirm düstere Szenen abspielen, sieht die Realität des Komponisten ganz anders aus. Todsharow arbeitet im lichtdurchfluteten Wohnzimmer seines Häuschens im Naturpark Mondragó. Der Berliner kommt seit 25 Jahren regelmäßig nach Mallorca, für kurze Zeit lebte er sogar auf der Insel. Vor zehn Jahren kaufte er sich das Haus, in dem er bis heute möglichst viel Zeit verbringt. „Ich liebe es, keine Nachbarn zu haben und in der Nähe des Meers zu sein“, sagt er. „Wenn ich hier arbeite, ist das für mich wie Urlaub.“ Außerdem hat Todsharow auf der Insel mit Til Schweiger einen seiner wichtigsten Auftraggeber in der Nähe. Der Regisseur hat ebenfalls auf Mallorca einen Zweitwohnsitz. Dort komponiert Todsharow live während des Schnitts die Musik zu den Filmen.

Denn der 55-Jährige hat eine ganz eigene Arbeitsweise. Normalerweise bekommt ein Komponist einen schon geschnittenen Film, der mit Musikschnipseln aus anderen Werken unterlegt ist. Todsharow hingegen will mehr am kreativen Prozess beteiligt sein. Daher beginnt er bereits vor dem Dreh zu komponieren. „Während ich das Drehbuch lese, höre ich schon Musik“, sagt er. Er schlägt dem Regisseur dann die Musikrichtung vor, die er sich vorstellt. „Das können ganz konkrete Vorschläge sein wie: ‚Fahrstuhl zum Schafott‘ von Miles Davis trifft auf den Beat von Massive Attack“, erklärt der Komponist.

Den Regisseuren und Schnittmeistern gibt er dann Samples, also Beispiele davon, wie die Musik klingen könnte. Diese Samples werden dann im Schnitt unter die Bilder gelegt. Später komponiert Todsharow alles noch einmal passend für die Szenen um. Todsharows System ist eigentlich doppelte Arbeit. Er schafft damit, obwohl er nie Urlaub nimmt, nur etwa drei bis vier Kinofilme im Jahr, dazu Serien und Fernsehfilme. Für den Komponisten macht aber genau das den Spaß an seinem Job aus: ganze Welten mit Musik erschaffen.

Martin Todsharow anfang März beim Dreh des Filmes "Hollywood and Crime" in Til Schweigers Barefoot Hotel in Portocolom.

Martin Todsharow anfang März beim Dreh des Filmes "Hollywood and Crime" in Til Schweigers Barefoot Hotel in Portocolom. / Nele Bendgens

Langjährige Freundschaft mit Til Schweiger

Wenn Todsharow mit Til Schweiger einen seiner Filme schneidet, ist die Zusammenarbeit besonders eng. Die beiden Männer sitzen dann tagelang in Schweigers Haus auf Mallorca in unterschiedlichen Zimmern. Schweiger schneidet, Todsharow komponiert. So entsteht Szene für Szene der fertige Film. „Es sind immer sehr intensive Arbeitstage“, sagt Todsharow. Mit Schweiger verbindet ihn neben einer – wie er es nennt – „Künstlerehe“, eine langjährige Freundschaft. Kürzlich veröffentlichte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ einen Artikel, in dem mehr als 50 Filmschaffende Schweiger Machtmissbrauch, Alkoholismus und aggressives Verhalten am Set vorwerfen. Todsharow ärgert sich darüber. „Es trifft den Falschen“, sagt er. Schweiger sei ein leidenschaftlicher Mensch. „Und dass es am Set mal laut zu geht, ist völlig normal.“

Neben Schweiger hat Todsharow eine weitere „Künstlerehe“ mit Oskar Roehler. Dessen Werk „Die Unberührbare“ war der zweite Kinofilm, den Todsharow überhaupt machte. Dadurch, dass der Streifen direkt den Deutschen Filmpreis gewann, öffneten sich dem Komponisten viele Türen. Todsharow hatte in Berlin neben klassischer Komposition auch Jazz-Klavier studiert und verdiente sich in den ersten Jahren sein Geld mit Klavier-Konzerten und Kompositionen für Werbungen. Dabei wollte er immer zum Film. Dementsprechend glücklich war er dann, als er dank Roehlers Film in der Branche Fuß fassen konnte. „Ich wollte nicht die Musik anderer wiedergeben, sondern selbst kreieren“, sagt er.

Mit einer anderen Musik ändert sich alles

Todsharow hat einige Semester Psychologie studiert und versucht, das in seine Musik einzubringen. „Mich fasziniert bis heute die Frage: Was kann ich mit dem Bild machen?“ Er will Freudentränen und Gänsehaut hervorrufen oder eben Angst machen wie in dem aktuellen Knastfilm. „Wenn zu einer Szene eine andere Musik gespielt wird, ändert sich alles“, erklärt der Komponist. Aus verfeindeten Charakteren kann mit der richtigen Melodie direkt ein Liebespaar werden.

Die Töne, die Todsharow je nach Szene Lage für Lage einspielt, bis das gesamte „Orchester“ erklingt, kann der Computer direkt in Partituren verwandeln. Todsharow muss sie dann allerdings noch kleinteilig anpassen, bevor echte Musiker sie im Studio wiedergeben können. Klavier- und auch Gitarrensequenzen spielt Todsharow gern selbst ein. Bei der Szene, in der der tragische Held aus dem Gefängnisfilm selbst zum Täter wird, setzt eine E-Gitarre ein. Sie spielt nur einen Ton, den aber immer wieder und immer lauter. Der Mann zückt eine Klinge. Wer zimperlich ist, schaut jetzt schnell weg. Aber das hilft nichts. Die Musik reicht, um den nächsten Albtraum zu garantieren.