Ausflug nach Wales: Diese preisgekrönte Foto-Ausstellung auf Mallorca entführt Besucher in eine ganz eigene Welt

Ein argentinischer Fotograf fängt das Leben im Vereinten Königreich ein und gewinnt damit einen Fotopreis auf Mallorca. Nun ist das Projekt in Palma zu sehen – es lohnt sich

Hier sprang Bruno für einen Hochzeitsfotografen ein. „Das Ergebnis war nicht ganz, was das Brautpaar erwartet hatte, aber sie mochten es“, sagt er.

Hier sprang Bruno für einen Hochzeitsfotografen ein. „Das Ergebnis war nicht ganz, was das Brautpaar erwartet hatte, aber sie mochten es“, sagt er. / Sebastián Bruno

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

„Von der Theke aus bemerke ich einen Mann in den Sechzigern, der gerade die Bar betreten hat. Er trägt einen schäbigen Anzug und eine Sonnenbrille, die zu klein für sein Gesicht ist. Ohne ein Wort zu sagen, geht er zu der behelfsmäßigen Bühne und nimmt sich das Mikrofon. Die wenigen Anwesenden in der Bar nehmen die Szene nicht wahr, ihre Augen sind auf ihre halb geleerten Bierchen gerichtet. Die Musik setzt ein.“

Der persönliche Einstiegstext zur Fotografie-Ausstellung, die bis zum 30. Dezember im Centre Cultural Concepció 12 in Palma zu sehen ist, zieht die Besucher direkt hinein in eine Welt, der Sebastián Bruno (33) neun Jahre seines Lebens gewidmet hat. Der argentinische Fotograf zog 2010 als 20-Jähriger nach Wales, um dort zu arbeiten, zu studieren und Englisch zu lernen. Drei Jahre später begann er damit, die Orte in diesem Landesteil des Vereinten Königreichs und seine Menschen mit einer Groß- und einer Mittelformatkamera zu fotografieren.

Der politische Kontext schwingt immer mit

„Ich hatte dabei keinen richtigen Plan. Es war mehr eine Erforschung dieser Gegend und meines eigenen fotografischen Ausdrucks“, erklärt Sebastián Bruno im Telefongespräch. Er wollte so den Ort verstehen, an dem er bis 2022 lebte. „In all diesen Jahren ist dort viel passiert: der Brexit, die Sparpolitik, die aktuelle Wirtschaftskrise, die Pandemie und ihre Konsequenzen. Dieser Kontext schwingt immer mit, aber nicht explizit.“ Mit einer Auswahl von 39 der so entstandenen Schwarz-Weiß-Bilder gewann Bruno den international ausgeschriebenen, mit 8.000 Euro dotierten Premio Mallorca de Fotografía Contemporánea 2023.

Viele Protagonisten der Bilder blicken ins Leere und wirken in sich gekehrt.

Viele Protagonisten der Bilder blicken ins Leere und wirken in sich gekehrt. / Sebastián Bruno

Der Titel der dazugehörigen Schau, „Ta-ra“, ist in den Arbeiterkreisen von Südwales ein umgangssprachlicher Ausdruck, um Abschied zu nehmen. Sein Klang schien Bruno perfekt für das Projekt, weil er in jeder Sprache über die Zunge geht. Aber er hat auch in mehrfacher Hinsicht Bedeutung: Zum einen ist es Brunos ganz persönlicher Abschiedsgruß an Wales, weil er vergangenes Jahr zu seiner Freundin nach Paris zog. „Außerdem ist Ta-ra ein alltägliches Wort, das auf diese Weise eine besondere Aufwertung erfährt. Dasselbe trifft auf die Personen auf meinen Fotos zu, die ganz gewöhnliche Menschen sind“, sagt Bruno.

Unspektakuläre, aber berührende Gesten

Es fällt nicht schwer zu verstehen, was der Fotograf meint. Bei den Porträts von Kindern und Jugendlichen, deren Bedürfnisse vielleicht nicht immer so gewürdigt werden, wie sie es verdient hätten, wirkt allein schon das große Bildformat wie eine besondere Form der Wertschätzung. In anderen Fällen scheinen die Personen auf den Aufnahmen, die fast nur zufälligen Begegnungen entsprangen, selbst danach zu streben, dem Leben etwas Glanz abzuringen, und sei es nur für einen Moment, wie die herausgeputzte Braut, die mit ihren Brautjungfern im Vorgarten posiert.

Zwei Schwestern, die Bruno mit Erlaubnis des Vaters am Strand fotografierte.

Zwei Schwestern, die Bruno mit Erlaubnis des Vaters am Strand fotografierte. / Sebastián Bruno

Viele Fotografien zeigen unspektakuläre, aber berührende Gesten, frei von Kitsch und voll von Menschlichkeit: das Haltsuchen aneinander, wenn die in anderen Bildern eingefangene, oft trostlos, bröckelnd, abweisend anmutende Umgebung keinen Halt bieten kann. Ein Jugendlicher in einem zu großen Anzug, vor einem schwarzen Hintergrund, wirkt wie aus Raum und Zeit gefallen, ein Mann mit Elvis-Gürtelschnalle scheint das Motto „Tanze, als würde niemand zusehen“, verinnerlicht zu haben. Sie gehören zu jenen Protagonisten, die die Augen geschlossen haben oder durch ihren leeren Blick in sich gekehrt erscheinen. Vielleicht ist es ihr „Ta-ra“ an die Realität, eine Flucht zu einem inneren Rückzugsort.

Fotografie muss nicht alles erklären

Sebastián Bruno verzichtet auf Titel und Erklärungen, sodass manche Szenen rätselhaft bleiben. Fotografie müsse nicht alles erklären und sei offen für Interpretation, sagt er. Und der Argentinier verweist noch auf einen weiteren Aspekt des Projekts, das ein gängiges Schema auf den Kopf stellt: „Meistens ist es doch eher ein Brite, der die Länder Südamerikas erforscht und dafür gefeiert wird. Ich hingegen bin ein Immigrant, der hier einmal ein Land der Ersten Welt porträtiert hat.“

Sebastián Bruno: „Ta-ra (Wales 2013–2022)“. Bis 30. Dezember, Mo.–Fr. 10.30–13.30 Uhr und 17–20 Uhr, Sa. 10.30–13.30 Uhr, Carrer de la Concepció, 12, Palma.

Ein Taubenzüchter lud Bruno in sein Haus ein. „Wegen eines Herzproblems war ihm immer warm, deshalb trägt er kein Hemd“, erzählt der Fotograf.

Ein Taubenzüchter lud Bruno in sein Haus ein. „Wegen eines Herzproblems war ihm immer warm, deshalb trägt er kein Hemd“, erzählt der Fotograf. / Sebastián Bruno

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