Tramuntana aus Ziegelsteinen in der Kirche, Bäume aus Plastik im Turm: Zwei eindrucksvolle Kunstprojekte auf Mallorca

Amparo Sard und Olimpia Velasco zählen zu den spannendsten Künstlerinnen auf Mallorca. Beide zeigen nun jeweils eine ortsspezifische Ausstellung an einem besonderen Schauplatz

Die beeindruckende Installation „Muntanya Roja“ von Olimpia Velasco.

Die beeindruckende Installation „Muntanya Roja“ von Olimpia Velasco. / Agusti Torres

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Historische Gebäude als Bühne für zeitgenössische Kunst: Die Torre de Canyamel, eine Festung aus dem 13. Jahrhundert nahe der Ostküste, und die Kirche des ehemaligen Klosters Sant Domingo in Pollença haben das Glück, Ausstellungen zweier hervorragender Künstlerinnen zu beherbergen, die für ihr gehaltvolles und vielschichtiges Werk bekannt sind.

Tiefgründige Kunst im Turm

Amparo Sard (Son Servera, 1973) ist in diesem Jahr extrem gefragt: Kunstpreise, internationale Messen, Professorin in Barcelona und Palma, eine Ausstellung, die die nächste jagt. Das Projekt, das am 14. Juli in der Torre de Canyamel startet, soll das letzte in diesem Sommer sein, sagt die Künstlerin im Gespräch – sie brauche dringend eine Pause.

Für Besucher ist diese Schau indes die Gelegenheit, Sards eklektisches Werk in komprimierter Form zu erleben. Es spiegelt ein Gefühl zwischen Beklemmung und Vergnügen, das die Künstlerin angesichts ihrer Existenz empfindet.

Analyse der menschlichen Seele

Die Ausstellung heißt „Ànima“ – Seele. Man könne sie aber eigentlich „Analyse der Seele, Zeit und Struktur“ nennen, sagt Sard. Wenn sie von „Seele“ spricht, geht es der Künstlerin um etwas, das eingeklammert ist zwischen der verstreichenden Zeit und unserer Deutung, was in dieser Zeit geschieht. Was kann ein Bild uns heute vermitteln, wenn uns Technologien beeinflussen und wir lernen müssen, Informationen immer schneller zu verarbeiten, flüchtiger und „effektiver“ zu sehen?

„Diese Themen sind hier präsent. Aber die Ausstellung spricht nicht nur davon, wie sich unsere Umgebung auf unsere Wahrnehmung und Empfindung auswirkt. Sondern auch von der Künstlerin, die nicht damit aufhören kann, ihre Umgebung zu untersuchen und zu analysieren“, so Sard.

Die menschlichen Figuren in der Schau sind Selbstporträts. Im unteren Raum des Turms bilden Skulpturen aus Eisen eine Referenz, von der aus die Ausstellung „wächst“ – zusammengekauerte Körper, die sich dann öffnen und ihr eigenes Wesen erforschen. Bäume aus recyceltem Plastik, die für Kreativität stehen, wachsen zu den schmalen Fenstern der Festung hinaus und nach oben.

Perforierte Papierarbeiten

Im oberen Stock existieren dann keine Figuren mehr, sondern abstrakte Formen, die im Raum hängen. Sie interagieren wiederum mit dem menschlichen Körper, der auf einer Serie von Bildern dargestellt ist – unter anderem großformatige Gemälde, die Sard zum ersten Mal präsentiert.

Eine der Arbeiten von Amparo Sard mit  perforiertem Papier und Acrylfarbe.

Eine der Arbeiten von Amparo Sard mit perforiertem Papier und Acrylfarbe. / Baró Galería

In ihren perforierten Papierarbeiten verwendete sie zuvor Löcher, um die Körperform zu umreißen. Hier löste sie die Form auf, setzte Grenzen neu: Sie stanzte die Löcher aggressiver und trug dazu mit schneller Geste Farbe auf. Sard erklärt: „Wenn man mit dieser Energie malt, begünstigt man Dynamik, Bewegung und Veränderung.“

Letztere sei ein Schlüssel, wenn es darum geht, die von Künstlern empfundene Wahrheit zu vermitteln. Es gehe ihr um mehr als um die „Verflüssigung“ der Gesellschaft („Liquid Modernity“), die der Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman beschrieb. „Nämlich um die Unfähigkeit, innezuhalten, um zu einer Schlussfolgerung zu gelangen“, so Sard.

Die Rote Linie in der Kirche

Bei der eindrucksvollen Installation „Muntanya Roja“ (Roter Berg) in Pollença von Olimpia Velasco (Madrid, 1970) lohnt sich der Versuch, innezuhalten allemal. Sie handelt von einem persönlichen Herzensthema der Künstlerin, den Bergen. Und sie beginnt mit einem Text, der von einer Vision und der doppelten Bedeutung des Begriffs ocaso erzählt – Sonnenuntergang und Untergang.

Velasco erklärt: „Ich besteige und betrachte einen Berg. Wenn die Sonne sinkt, warnen mich die Farben, dass sich etwas verändert, als ob das Licht die Landschaft verwandeln würde. Plötzlich bekommt das anfangs bukolische Orange die Bedeutung von Untergang.“ Als würde die Insel rot werden, begraben unter Ziegelsteinen, die die Berge ersticken. Eine kurze Sinnestäuschung, die dann aber zum Sinnbild, zum Warnschuss wird: „Vorsicht, wir haben mit der Bautätigkeit auf Mallorca ein Limit erreicht.“

Der nostalgische Blick wird gestört

Der rote Faden der Schau ist damit definiert. Weiter geht es mit einem Video auf einer großen Leinwand, das in langsamer Bewegung und in Orangetönen die Tramuntana einfängt. „Der Betrachter betritt hier die Bergwelt und hat die Zeit, sich zu besinnen und zu fühlen“, so die Künstlerin. Das Video sei auch ein nostalgischer Blick auf die Natur, der allerdings bereits gestört wird – durch Baulärm, ein Geräusch, das aus der Mitte des Raums kommt.

Die Installation "Muntanya Roja" von Olimpia Velasco.

Die Installation "Muntanya Roja" von Olimpia Velasco. / Agusti Torres

Wie ein dramatisches, mit Scheinwerfern erleuchtetes Bühnenbild erhebt sich dort die Installation: Eine Tramuntana, erbaut aus 4.000 Ziegelsteinen, die als Allegorie den städtebaulichen Raubbau an der Natur anprangert. Auf Höhe des Altars zeichnet ein Strahl roten Neonlichts die Silhouette der Bergketten nach. „Er warnt vor den Folgen unseres Handelns, symbolisiert die rote Linie und lässt uns reflektieren, ob wir sie bereits überschritten haben“, sagt Velasco.

Dann dringt durch den Lärm die Aufnahme eines zarten A-cappella-Gesangs: Die Sopranistin Anne Leohold stimmt mit Hildegard von Bingens „O virtus sapientiae“ ein Lied auf die Weisheit und zugleich einen Klagegesang gegen die Zerstörung an. Zur Vernissage wird sie als Performance live zwischen den Ziegelbergen singen.

Amparo Sard, „Ànima“, 14. Juli, 20 Uhr, bis 31. Oktober, Torre de Canyamel, Di.–Sa. 10–14 Uhr und 18–21 Uhr, So. 9–14 Uhr. Olimpia Velasco, „Muntanya Roja“, 16. Juli, 12.30 Uhr, bis 1. Oktober, Església del Convent de Sant Domingo, Pollença, Mo.–So. 10.30–13.30 Uhr, 18–21 Uhr.

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