700 Leuchtröhren: Die alte Seehandelsbörse auf Mallorca erstrahlt in einem Meer aus Licht

Der renommierte portugiesische Künstler Pedro Cabrita Reis lässt den gotischen Bau mit seiner Installation "Mar Interior" leuchten

Die Installation von Pedro Cabrita Reis in der Llotja.

Die Installation von Pedro Cabrita Reis in der Llotja. / TB

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Als Vorbote zur Nit del‘Art strahlt seit Donnerstag (15.9) ein besonderes Projekt, das die Llotja de Palma, ein Meisterwerk bürgerlicher gotischer Architektur, nach langer Pause wieder zu einem Schauplatz für zeitgenössische Kunst macht.

Die Installation „Mar Interior“ist ein minimalistisches Werk von einem wenig minimalistischen Künstler: Der Portugiese Pedro Cabrita Reis (67) erscheint zum Pressetermin in einem ausgefallenen Anzug, der ihn wie eine lebendige Version seiner eigenen Arbeit aussehen lässt, und er strotzt vor Humor. „Ich, der ich eitel, stolz und arrogant bin, wie viele sagen, habe erkannt, dass ich hier glänzen kann“, erklärt er.

Zum Projekt im ehemaligen Sitz der Seehandelsbörse habe er daher nicht nein sagen können. Und glänzen beziehungsweise leuchten sollte auch sein Werk: Es besteht aus rund 700 Leuchtröhren, die gleich einem Kraftfeld eine leicht diagonale Fläche auf dem Steinboden bilden.

"Leicht" exzentrisch: Pedro Cabrita Reis.

"Leicht" exzentrisch: Pedro Cabrita Reis. / TB

Magische Orte bergen Geheimnisse

„Die Llotja ist ein magischer Ort. Und alle magischen Orte bergen unergründliche Geheimnisse“, so Cabrita Reis. Die damit einhergehende künstlerische Herausforderung ist ihm keineswegs fremd: Der in vielen Techniken versierte, international anerkannte Künstler, dessen Werke sich unter anderem im Tate Modern, in der Hamburger Kunsthalle oder im Centre Pompidou finden, schuf bereits etliche ortsspezifische Arbeiten. Sie entspringen stets einem stillen Dialog mit dem Ort, einem Erspüren seiner „wahren Natur“. 

Entscheidend sei für ihn die Intensität und Bedeutung eines Ortes. Das jüngste Beispiel vor Palma für solch eine Arbeit ist sein Projekt „Field“ von 2022 für die 59. Biennale von Venedig im Inneren der Kirche San Fantin. Auch dort setzte er Leuchtröhren ein – das kalte, anonymisierende Licht von Fabrikhallen. 

Kaltes Licht als gezielter Kontrast

Schon seit vielen Jahren ist Licht ein fester Bestandteil seines „Vokabulars“. Ihn interessiert dabei kein oberflächlicher Effekt, sondern die Symboliken dahinter. In der Llotja bilden die Leuchtröhren ein Meer, das mehr ist als Wasser: „Es ist ein Teil von jedem von uns, das Mittelmeer ist unsere Wiege“, erklärt der Künstler. Eine unendliche Quelle der künstlerischen und poetischen Inspiration, die Möglichkeiten zum Forschen, Lesen, Denken und zur Begegnung mit anderen Schöpfern eröffnet.

Auch bei der Installation auf Mallorca musste es unbedingt kaltes Licht sein, betont Cabrita Reis. „Denn warm und zart ist bereits die Llotja mit ihrem hellen und weichen Kalkstein.“ Im Gegensatz zu einem Palast aus Marmor sei dieser Bau bürgerlich, nahbar und angenehm. „Da er all das schon hat, muss man dazu ein Gegengewicht schaffen.“ Um diesen Gedanken zu bekräftigen, spricht der Künstler vom Kontrapunkt in der Musik von Johann Sebastian Bach oder von Antonio Vivaldi, schmettert dazu Töne und rudert ausladend mit den Armen. „Mit der Begegnung dieser Gegensätze wird die Spannung intensiviert“, sagt Cabrita Reis.  

Die altehrwürdige Architektur provozieren

Die liegenden Leuchtröhren weisen einen Parallelismus auf, der die Kannelierung der gedrehten Säulen wieder aufgreift. Das zufällige Durcheinander der Kabel kontrastiert mit der mathematischen Strenge des Kreuzrippengewölbes. Das Werk soll die altehrwürdige Architektur „provozieren“, ihrer fehlenden Vitalität den Spiegel vorhalten. „Die US-Amerikaner sagen: Man verhandelt nicht mit Terroristen. Und die Kunst verhandelt nicht mit ihrer Umgebung. Wenn sie das täte, wäre sie Innendekoration“, urteilt Cabrita Reis. Die Kunst sei vielmehr ein physisches Wesen mit seiner eigenen Natur und Autonomie, die sich zwangsläufig irgendwo befände. „Was zählt ist, dass dieses Werk für den Betrachter selbsterklärend ist und sich nicht nur durch seine Beziehung zur Umgebung erschließt.“

Der Künstler ist jedenfalls selbstbewusst genug, um sich nicht vom historischen Gewicht eines Gebäudes einschüchtern zu lassen. Er möchte einen Bau nicht verschönern, sondern eine neue Bedeutung hinzufügen. Das Werk müsse sich in seiner formellen und konzeptuellen Autorität gegenüber jener der Architektur behaupten, den Kontrast suchen - wie ein Kind, das gegen seine Eltern aufbegehrt, sagt Cabrita Reis. Dabei interessiere ihn Architektur eigentlich überhaupt nicht, sondern mehr die Bautätigkeit des Menschen, der damit seine eigene Position im Universum definiert.  

Kunst soll die Intelligenz erweitern

Nach der Auffassung des Portugiesen dient Kunst nicht dazu, Ideen zu illustrieren, sondern Probleme zu schaffen und neue Fragen aufzuwerfen. „Das Ziel von Kunst ist vor allem anderen, die Intelligenz zu erweitern“, sagt er. Auf einen unmittelbaren, schnellen Effekt sollte man dabei aber nicht hoffen, vielmehr sei dies ein langsamer Prozess. Der Schlüssel zum Betrachten von „Mar Interior“ lautet also: Sich Zeit nehmen, durch die Auseinandersetzung mit dem Werk wachsen - und etwas davon in sich tragen, wenn man den Ort wieder verlässt. 

Kunst in der Seehandelsbörse: „Mar Interior“ von Pedro Cabrita Reis, La Llotja, Plaça de la Llotja, 5, bis 18. Februar 2024, bis Oktober: 10.30–13.30 Uhr und 16–21 Uhr, ab November: 10.30–13.30 Uhr und 16–19 Uhr.

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