Ein Tanz mit der Königin: Galerie Kewenig zeigt Werke des deutschen Malers Raimund Girke auf Mallorca

Nach zwei Ausstellungen in Berlin bringt Kewenig die Arbeiten erstmals nach Palma. Die Schau "Akzente" ist bis 15. März auf Mallorca zu sehen

"Blauakzente" von Raimund Girke, Öl auf Leinwand.

"Blauakzente" von Raimund Girke, Öl auf Leinwand. / Nele Bendgens

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Räume voller Licht und Weite eröffnen sich dem Betrachter im Oratorio de Sant Feliu: Die Galerie Kewenig zeigt nach zwei Einzelausstellungen in Berlin das Werk von Raimund Girke (1930–2002) nun zum ersten Mal in Palma. Der gebürtige Niederschlesier war ein maßgeblicher Wegbereiter der analytischen Malerei und wurde durch seine Auseinandersetzung mit der Farbe Weiß bekannt.

Die Schau „Akzente“ konzentriert sich auf Arbeiten aus den 1990er-Jahren. Es sind Gemälde auf Leinwand und Papier, die hier subtile Akzente im Raum zu setzen vermögen: Das helle Braun der Steine von dem ehemaligen Altar scheint sich in dem darüber gehängten Bild direkt fortzusetzen. Über dem schmalen, erdfarbenen Farbrand durchdringen sich dann dicht verwobenes Weiß und Blau.

Maler aus Berufung, durch und durch

Madeleine Girke (62), die jüngste Tochter und Nachlassverwalterin des Künstlers, findet, dass ihr Vater hier „die Farben der Insel vermalt“ hat. Denn die Erdtöne könnten in ihren Augen „mallorquinisches Braun“ sein, die Blautöne erinnern sie an das Meer. „Ich stelle mir vor, wir sitzen in Llucalcari oder Deià, schauen in die Berge und langsam kommen die Wolken in das Tal“, sagt sie beim Betrachten der frisch gehängten Werke kurz vor der Eröffnung. Madeleine Girke lebte selbst eine Zeit lang auf Mallorca und motivierte auch ihren Vater, die Insel mehrmals zu besuchen.

"Durchdringung Weiss und Blau" (1990), Öl auf Leinwand.

"Durchdringung Weiss und Blau" (1990), Öl auf Leinwand. / Nele Bendgens

Raimund Girke wurde in dem kleinen Ort Heinzendorf geboren, das heute zu Polen gehört; nach der Flucht aus Niederschlesien ließ sich die Familie im Osnabrücker Land nieder. Girke war Maler aus Berufung, durch und durch – und verfügte neben dem Schaffensdrang auch über große Disziplin: Stets machte er sich um 8 Uhr ans Werk und arbeitete bis zum Abend. „Ein richtiger Künstler geht wie ein Beamter morgens ins Atelier, und zwar jeden Tag“, so die Tochter. Auch zu Hause habe er immer und überall gemalt. Als Kind sei sie oft mit dem Fischgeruch von Eitempera in der Nase aufgewacht, da ihr Vater die Farben selbst anrührte. Die Mutter zog nach der Scheidung nach Amerika, während Madeleine mit zwei Geschwistern beim Vater blieb.

Unausschöpfbare Möglichkeiten der Farbe Weiß

Dieser lehrte seit 1971 zudem als Professor an der Hochschule der Künste Berlin. „Er hat es mit einer unfassbaren Kraft geschafft, drei Kinder großzuziehen und als freier Künstler und Professor zu arbeiten. Und wir sind alle nicht unter die Räder gekommen“, sagt die Tochter, die den Maler als humorvoll, liebevoll, aber auch als streng beschreibt. Dass dessen Hauptschaffensphase in die 1980er- bis 1990er-Jahre fiel, liege vor allem daran, dass die Kinder dann aus dem Haus waren und Girke sich seine Tage viel freier einteilen konnte. Er bezog zu dieser Zeit ein Atelier in Köln.

Madeleine Girke vor einem Gemälde ihres Vaters Raimund Girke.

Madeleine Girke vor einem Gemälde ihres Vaters Raimund Girke. / Nele Bendgens

Bereits in den 1950er-Jahren hatte sich der Schwerpunkt seiner Kunst herauskristallisiert: die Farbe Weiß. Eine selbst gewählte „Beschränkung“, die in Wahrheit gar keine ist. Denn Weiß beschränkt nicht, sondern eröffnet vielmehr neue Räume – einen Kosmos, in dem es eine Ordnung zu suchen gilt. Die Welt des Monochromen biete innerhalb eng gesetzter Grenzen unausschöpfbare Möglichkeiten, schrieb der Künstler selbst im Jahr 1960.

Weiß ist Energie und Licht

Zwar dringen bei Girkes Kompositionen immer wieder andere Farben durch, doch das flüchtige Weiß – die Energie, das Licht, das alle Farben enthält – besiegt diese letztlich, gibt ihnen Halt und bringt sie zum Leuchten. Es kann das Beste aus jeder Farbe herausholen und wird seinerseits von dunklen Tönen in seiner Strahlkraft verstärkt. „Das Weiß ist die Königin“, sagt Madeleine Girke. Als solche müsse sie sich nicht behaupten oder gar um ihre Stellung kämpfen. Es sei eher ein „Tanz der Farben“. Auch die kraftvollen Pinselstriche hätten manchmal etwas Tänzerisches und Poetisches, sagt die Tochter.

Zwar führt das Weiß in gewisser Weise ein Eigenleben in Girkes Kunst, doch tritt der Künstler keineswegs in den Hintergrund oder löst sich gar von seinen Werken. Sie sind nie breiter als die Spannbreite seiner Arme. Auch ist Girkes Duktus sehr präsent: In einigen Bildern meint man noch den Schwung des Pinsels und die Energie des Künstlers zu spüren, als sei das Werk frisch gemalt worden.

Ordnung ohne Perfektion

„So perfekt diese Bilder aussehen: Mein Vater hat die Ordnung auch gern ein wenig zerstört“, sagt Madeleine Girke und weist etwa auf kleine Stellen hin, wo er Farbtropfen sichtbar ließ, die der Pinsel hinterlassen hatte. Trotz aller Dynamik kann man in den Bildern versinken und zur Ruhe kommen. Jeder Betrachter wird dabei eigene Assoziationen haben, von wehenden Schleiern über rauschende Wasserfälle bis hin zum Muster des mallorquinischen Zungenstoffs – wenn man es vom Textil befreit und einmal kräftig durchgeschüttelt hätte.

Madeleine Girke hat den Elan des Vaters offensichtlich geerbt: Neben der Tätigkeit als Nachlassverwalterin ist sie als Coach sowie als Agentin und Managerin für Schauspieler und Musiker aktiv, derzeit etwa für Rodrigo González, den Bassisten von „Die Ärzte“. Über die seit 2019 bestehende Zusammenarbeit mit Kewenig sei sie sehr glücklich. Wer nach der Schau noch tiefer in das Werk des Künstlers eintauchen will, kann in der Galerie auch die 2022 erschienene, monumentale Monografie erwerben: „Raimund Girke. Was weiß das Weiß“.

„Akzente“, Vernissage: 14. Dezember, 18-21 Uhr, bis 15. März 2024, Galería Kewenig, Carrer de Sant Feliu s/n, Mo.-Fr. 11-19 Uhr, Sa. 10-14 Uhr, kewenig.com.

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