Fotografie-Ausstellung in Llucmajor: In das Mallorca von vor 100 Jahren eintauchen

Im März hat das Centre Internacional de Fotografia Toni Catany eröffnet. Ein Besuch lohnt sich dreifach: Volkslieder und Bilder eines Pfarrers versetzen uns in die Vergangenheit der Insel. Zudem tritt Catanys Werk in einen Dialog mit den Zeitgenossen Humberto Rivas und Michael Kenna

Antoni Garau, Leiter des Fotografie-Zentrums, hinter dem „Foto-Tunnel“ der aktuellen Ausstellung zum Werk von Tomàs Monserrat.

Antoni Garau, Leiter des Fotografie-Zentrums, hinter dem „Foto-Tunnel“ der aktuellen Ausstellung zum Werk von Tomàs Monserrat. / Nele Bendgens

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Es gibt viele Kulturzentren, die sich auf die Fahne schreiben, „Orte der Begegnung“ zu sein. Bei dem im März eröffneten Centre Internacional de Fotografia Toni Catany in Llucmajor ist das nicht nur zutreffend, sondern sogar Bestandteil der architektonischen DNA: „Die Sterne standen günstig, damit hier an diesem Ort in Sachen Fotografie ganz verrückte Dinge geschehen konnten. Und die wollen wir den Besuchern erklären“, sagt beim MZ-Besuch Antoni Garau, Leiter des Zentrums. Denn der Bau vereint zwei Häuser: das des renommierten Fotografen Toni Catany (1942–2013) und das des früheren Gemeindepfarrers Tomàs Monserrat (1873–1944).

Ebenso verzahnt sind die Geschichten der beiden: Zwar starb Monserrat, als Catany zwei Jahre alt war, doch sie teilten die Leidenschaft für Fotografie. Wobei Garau Wert darauf legt, den Kirchenmann, der aus einer begüterten Bauernfamilie stammte, nicht als „Fotografen“ zu bezeichnen: „Er war der Pfarrer des Dorfes, der außerdem fotografierte“, betont er.

Porträts der Dorfbewohner

Damit gehörte Monserrat allerdings zu den Pionieren: Als er zwischen 1900 und 1925 ein Studio in seinem Innenhof einrichtete – heute das Herzstück des Zentrums – und dort die Dorfbewohner porträtierte, war das noch etwas ganz Besonderes. Sein Nachbar Catany entdeckte später in einem Lagerraum rund 150 belichtete Glasplatten, rettete den fotografischen Nachlass des Pfarrers und machte ihn mit einer Publikation bekannt. Nun hat dieses Erbe einen festen Platz im Konzept des Zentrums.

War eins "Fotostudio": Der Innenhof von Monserrat.

War eins "Fotostudio": Der Innenhof von Monserrat. / Nele Bendgens

Bilder, Musik und Mündlichkeit

Aktuell können in einer kleinen, aber spannenden Schau 30 Fotografien von Monserrat in einem ganz neuen Kontext betrachtet werden. In einer Art „Tunnel“ werden sie Bildern gegenübergestellt, die im Zuge der Mallorca-Mission des Cançoner Popular de Catalunya entstanden – ein ethnografisches Projekt, das zu Monserrats Lebzeiten die katalanische Volkskultur dokumentieren sollte. Das Ziel war, die Volkslieder der Orte, an denen Katalanisch gesprochen wurde – Katalonien, Valencia und die Balearen– zu konservieren und zu transkribieren.

Zum Einsatz kamen Phonographen und Wachswalzen, die die Stimmen der Menschen einfingen. Wenn es um Lieder, um Musik und Gesang geht, denkt man nicht als Erstes an Fotografie. Doch auch sie war ein wichtiges Element der Mission: Die Bilder ergänzten die Tonaufnahmen und Schriften und geben uns heute einen lebendigen Eindruck von der Lebensrealität der Bevölkerung.

Aufnahme eines Volkslieds per Phonograph.

Aufnahme eines Volkslieds per Phonograph. / Nele Bendgens

Zwei Blicke auf die gleiche Zeit

Bei der „Missó 13“ verschlug es die Sammler der Volkslieder 1925 nach Llucmajor, wo sie sich im Haus der Dichterin Maria Antònia Salvà einquartierten. Die hier ausgestellten Bilder der Mission stammen aber auch von anderen Orten der Insel.

Monserrats Porträts entstanden etwa zur gleichen Zeit, haben aber oft Bezug zu den Themen Mündlichkeit und Musik: Sie zeigen etwa eine Frau, die im Kreise von Zuhörerinnen etwas rezitiert, einen Sackpfeifenspieler, Menschen mit Grammophonen, eine Volksfestszene. Teils sind es wenig bekannte Bilder von Monserrat – sogar ein Foto von Antoni Garaus Großtante Margalida ist mit dabei.

Die hier ausgewählten Bilder des Pfarrers nehmen oft Bezug zu den Themen Musik und Mündlichkeit.

Die hier ausgewählten Bilder des Pfarrers nehmen oft Bezug zu den Themen Musik und Mündlichkeit. / Nele Bendgens

Eine Vitrine präsentiert darüber hinaus rare Artefakte jener Technik, die Anfang des 20. Jahrhunderts verwendet wurde, um Töne aufzunehmen – und der sich auch Monserrat bediente, als er die Stimmen seiner Eltern konservierte.

Ein immersives Erlebnis

Ein zweiter „Foto-Tunnel“ widmet sich nur den Aufnahmen der Volkslied-Sammlung, wobei die verschiedenen Territorien nicht klar getrennt sind. Es sind Bilder von unbekannten Personen, die uns dennoch, schon durch die räumliche Präsentation, die jede Distanz auflöst, ganz nahekommen. „Es ist ein immersives Erlebnis, bei dem die Besucher in eine Vergangenheit eintauchen, die gerade dabei war, verloren zu gehen“, sagt Garau.

Sowohl die Fotos von Monserrat als auch die des ethnografischen Projekts sind von dokumentarischem Wert: Wir sehen, wie sich die Menschen kleideten, wie sie lebten, wie sie feierten. Und wie ein Fotograf dereinst auf seine Modelle blickte und sie für das Bild inszenierte.

Eine Grundidee des Zentrums: Besucher entdecken und verstehen ausgehend von Catanys Bildern und dessen Sammlung von Werken anderer Fotografen die Geschichte der Fotografie. „Es geht darum, zu sehen, dass ein Foto nicht nur das fertige Bild ist, sondern auch alles, was im Hintergrund passiert“, sagt Garau.

Im Untergeschoss erklärt Toni Catany per Video das Werk des Fotografen Humberto Rivas.

Im Untergeschoss erklärt Toni Catany per Video das Werk des Fotografen Humberto Rivas. / Nele Bendgens

Dialog mit anderen Fotografen

Im Untergeschoss gewinnt man in einer der zwei großen aktuellen Ausstellungen einen Eindruck von der gegenseitigen Wertschätzung zwischen Toni Catany und dem argentinischen Fotografen Humberto Rivas. „Hier ist es Catany selbst, der uns Rivas und sein Werk erklärt“, sagt der Leiter des Fotografie-Zentrums. Eine Videoaufnahme, die anlässlich Rivas’ Todes im Jahr 2009 entstand, läuft im Hintergrund der Ausstellung, die 80 Fotografien von Rivas und 30 Bilder von Catany gegenüberstellt. Sie zeigt vor allem eindrucksvolle Beispiele der Porträtfotografie, von der der Argentinier eine ganz eigene Definition hatte: Sie sei das Produkt eines „Kampfes“ zwischen Fotograf und Modell, bei dem der Fotograf am Ende gewonnen habe.

Die Architektur des Gebäudes bildet einen idealen Rahmen für die Fotos von Michael Kenna.

Die Architektur des Gebäudes bildet einen idealen Rahmen für die Fotos von Michael Kenna. / Nele Bendgens

Stilistisch vielfältig präsentiert sich die zweite große Schau: Hier treffen 35 Werke von Toni Catany auf 70 Fotografien des britischen Fotografen Michael Kenna. Die beiden kannten sich zwar nicht persönlich, schätzen und bewunderten sich aber. Der Dialog ihrer Arbeiten kreist um sechs Themen – Stillleben, Skulpturen, Akte, Südostasien, Mallorca und Venedig – und fokussiert sich mehr auf die Gemeinsamkeiten als auf die Unterschiede. Denn beide Fotografen scherten sich nicht um Moden und Trends: Sie schufen vielmehr ein zeitloses Werk.

Das Fotografie-Zentrum entdecken:

„Registrar, mirar, recórrer. Tomàs Monserrat i les fotografies de l’Obra del Cançoner Popular de Catalunya“, bis 15. März 2024.

C/. Cardenal Rosell, 2, Llucmajor, Do., 10-14 Uhr, Fr. 10-14 und 16-20 Uhr, Sa. 16-20 Uhr, So. 10-14 Uhr.

Besondere Events im Rahmen der Ausstellung:

26. November, 12 Uhr: Tanzperformance „Verònica. Poètica de les floreres“ mit der Kompanie Magdalena Garzón, Eintritt frei

3. Dezember, 19.30 Uhr: Volkslieder-Konzert "Saba de terrer" mit Maria del Mar Bonet, Eintritt: 15 Euro, Karten unter: ticketib.com

22. Dezember, 19.30 Uhr: Konzert „Eco i fuga“ mit Joana Gomila und Laia Vallés (moderne Interpretation des alten Liedguts von Mallorca), Eintritt: 10 Euro, Karten unter: ticketib.com

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