"Wollte nie auf Mallorca landen": Wie eine deutsche Textilkünstlerin und ein US-Bildhauer in Alaró hängenblieben

Harte Steine, weicher Stoff: Der US-amerikanische Bildhauer Dan Mandelbaum und die deutsche Textilkünstlerin Christin Amann planten, nur eine Zeit lang im Palmyra Sculpture Centre in Alaró zu verweilen – dann kam alles anders

Die Textilkünstlerin Christin Amann mit einem selbst gewebten Stück und Dan Mandelbaum mit seiner "Fledermaus"-Skulptur.

Die Textilkünstlerin Christin Amann mit einem selbst gewebten Stück und Dan Mandelbaum mit seiner "Fledermaus"-Skulptur. / Nele Bendgens

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Es gibt Orte, die es einem leicht machen, Wurzeln zu schlagen – selbst, wenn man es eigentlich nicht geplant hatte. Alaró gehört offenbar dazu. Gleich zwei Künstler sind hier in diesem Jahr hängen geblieben: Christin Amann (34) und Dan Mandelbaum (29).

Sie teilen die Erfahrung einer Künstlerresidenz im nahen Palmyra Sculpture Centre, das von der niederländischen Unternehmerin und Künstlerin Ien van Wierst betrieben wird. Und sie teilen sich aktuell den Galerieraum von Natalia Bento für eine Schau, wo die harten Steinskulpturen des US-amerikanischen Bildhauers mit den poetischen weichen Arbeiten der deutschen Textilkünstlerin eine Symbiose bilden.

Künstler sein ist überall schwierig

Mandelbaum verschlug es erstmals auf die Insel, als er eine Freundin besuchte. Bei der Gelegenheit lernte er van Wierst kennen, die ihn einlud, auf ihrem Gelände einmal mit Stein zu experimentieren. Er habe sich sofort in das freie, ungezwungene Arbeiten dort verliebt, sagt der 29-Jährige, der den alternativen Charme eines Langezeit-Philosophie-Studenten ausstrahlt. „Dann wurde ich so etwas wie eine Klette“, sagt er und lacht.

Das Palmyra Sculpture Centre ist nicht nur die Spielwiese für Mandelbaums Skulpturen. Man kann den kreativen Ort auch besichtigen

Das Palmyra Sculpture Centre ist nicht nur die Spielwiese für Mandelbaums Skulpturen. Man kann den kreativen Ort auch besichtigen / Nele Bendgens

Im Mai kam er als Künstlerresident ins Palmyra Centre, wollte etwa einen Monat bleiben. Doch die Wochen zogen ins Land. Und der Bildhauer gelangte zu der Erkenntnis, dass es im Grunde überall schwierig ist, Künstler zu sein – aber die Lebensqualität auf Mallorca signifikant besser ist als in New York.

Jetzt lebt Mandelbaum in einer Wohnung in Alaró, darf aber weiterhin im Skulpturenzentrum werkeln. „Mit Stein zu arbeiten, ist relativ neu für mich. In New York war ich Keramiker“, sagt der Künstler, der am Pratt Institute in Brooklyn ausgebildet wurde. Auf Mallorca nutzt er Carrara-Marmor aus Italien, aber vor allem lokale Steine, in denen er beim Schleifen hübsche Strukturen zutage fördert. Allein die neue Umgebung schlage sich stark in seinen Werken nieder, sagt Mandelbaum. In Brooklyn herrsche eine düstere Lebenseinstellung. Hier, am Fuße der Tramuntana-Berge, verspüre er hingegen nicht den Drang, ein Kunstwerk zu schaffen, das besonders „explosiv“ sein muss, um zu den Menschen durchzudringen. „Ich mag es, verspielte und lustige Kreaturen zu machen“, sagt Mandelbaum.

Drei "Kleinkinder": Die verspielten Figuren von Dan Mandelbaum sind freundliche Gesellen.

Drei "Kleinkinder": Die verspielten Figuren von Dan Mandelbaum sind freundliche Gesellen. / Nele Bendgens

Keine ernste und elitäre Kunst

Zu ernste oder gar elitäre Kunst hervorzubringen, ist sichtlich nicht sein Ding. Mandelbaum geht es darum, dass seine Werke etwas im Gegenüber auslösen – so wie die drei Skulpturen im Eingangsbereich der Galerie, die er als „Kleinkinder“ bezeichnet. „Wobei sie wahrscheinlich dreimal so schwer sind wie ein Fünfjähriger“, bemerkt er. Sie finden schnell Freunde: Galeristin Natalia Bento berichtet, dass sich vor dem Schaufenster oft Kinder einfänden und die Figuren betrachten würden.

Die Arbeitsweise des Künstlers ist nun naturgemäß sehr viel langsamer als bei Keramikarbeiten. Trotzdem braucht Mandelbaum nur etwa eine Woche für eine kleinere Skulptur. „Ich bin alles andere als ein Perfektionist. Wenn etwas zu perfekt ist, scheint es für andere Menschen unzugänglich zu sein. Und wenn jemand sagt ‚Oh, das könnte ich niemals selbst machen‘, habe ich das Gefühl, dass das nicht das ist, was ich will“, sagt der Bildhauer, der sich auch einen cartoonhaften, kindlichen Stil angeeignet hat: „Das ist ziemlich entwaffnend.“

Sieht aus wie ein Koalababy von einem fremden Planeten: eine Skulptur von Dan Mandelbaum.

Sieht aus wie ein Koalababy von einem fremden Planeten: eine Skulptur von Dan Mandelbaum. / Nele Bendgens

Statt viele Stunden zu investieren, um jede einzelne Feder einer Eulenfigur zu modellieren, genügen Dan Mandelbaum einige weiße Striche auf den Flügeln. Als Vorbilder für seine Konzeption von Formen – etwa bei seiner Fledermaus – nennt er unter anderem Henry Moore, Constantin Brâncuși oder Isamu Noguchi. Unterbewusst flössen aber sicher auch Elemente aus der Kindheit ein, beispielsweise Zeichentrickfilme. Eine Figur, die wie ein Koalababy oder ein knuddeliger Außerirdischer anmutet, könnte auch eine Studio-Ghibli-Schöpfung sein. Mandelbaum sagt: „Ich denke, sie sollte irgendwo aufgestellt werden, wo sie es warm hat. Vielleicht neben einem Kamin …“

Inspirierend: das Palmyra Sculpture Centre

Ein behagliches Plätzchen gibt es auch für jene Künstler, die das Glück haben, von Ien van Wierst eingeladen zu werden, eine Weile im Palmyra Sculpture Centre zu leben, das nach der Pandemie seit 2022 wieder aktiv ist. Auf vier Hektar Fläche kann man hier in einem Skulpturengarten mit Werken internationaler Künstler lustwandeln, es gibt ein Freiluft-Atelier und Platz für regelmäßig stattfindende Workshops.

Das hübsch eingerichtete kleine Steinhaus bewohnt derzeit noch Christin Amann. Die 34-Jährige ist hochschwanger und wird im Januar mit ihrem spanischen Freund in eine Wohnung in Alaró umziehen. Auch sie wurde von der Niederländerin gewissermaßen „adoptiert“ – obwohl sie eigentlich nie auf Mallorca landen wollte, wie sie sagt. Das Paar hatte sich im vergangenen Jahr eine Auszeit genommen und sollte einen Monat lang auf ein Haus von Freunden aufpassen.

Doch einen Tag, bevor die Fähre auf die Insel ging, bekam die Künstlerin in Katalonien einen schönen, alten Webstuhl angeboten. „Als jemand, der schon viele Jahre webt, war es für mich kaum möglich, Nein zu sagen. So fuhren wir also mit unserem kleinen Schrottauto vollbepackt im Dezember nach Mallorca – ohne zu wissen, warum eigentlich“, so Amann, die etwas ebenso Weiches, Warmes und Vielschichtiges an sich hat wie ihre Kunst.

Hochkonzentriert bei der Arbeit: Die Textilkünstlerin Christin Amann.

Hochkonzentriert bei der Arbeit: Die Textilkünstlerin Christin Amann. / Nele Bendgens

Honeymoon mit Künstlerresidenz

Schnell lernte sie eine Frau kennen, die ein Textilstudio in Palma hat, wo sie ihren Webstuhl aufbauen und damit arbeiten konnte. Aus dem geplanten einen Monat wurden mehrere. Im Mai traf sie van Wierst, die bei ihr Webunterricht nehmen wollte. „Wir haben uns blendend verstanden, und zwischen uns hat sich eine sehr enge Freundschaft entwickelt“, sagt Amann.

Zwar gingen sie und ihr Partner dann doch erst einmal wieder zurück nach Berlin, aber es sollte schon bald ein Wiedersehen geben. Denn die Künstlerin wurde eine Woche nach der Rückkehr schwanger. Ende September wollten die werdenden Eltern noch einen „letzten Honeymoon zu zweit“ auf der Insel erleben. Und van Wierst lud sie ins Palmyra Centre ein. „Normalerweise ist das ja ein Ort für Skulpturen, aber sie ist ein Riesenfan von meiner Arbeit und meinte: ,Ich hätte dich gerne hier‘ “, sagt Amann.

Besonderes aus mallorquinischer Wolle

Dann kam eines zum anderen: Durch die Residenz ergab sich die Ausstellung bei Natalia Bento. Außerdem wurde Amanns Mietvertrag in Berlin nach zehn Jahren wegen Eigenbedarfs gekündigt. Das Paar entschied sich, auf Mallorca zu bleiben, suchte nach einer dauerhaften Bleibe in Alaró – und wurde sofort fündig, was dort fast einem Wunder gleichkommt.

Seit sie im Sommer anfing, mit mallorquinischer Wolle zu arbeiten, entdeckte die Künstlerin hier strukturelle Probleme, die sie schon von anderen Orten kennt: Das Material, das von Schafen für die Fleischproduktion stammt und folglich „keine Merino-Qualität“ hat, wird zum Teil weggeworfen. Auch gibt es keine Anbindung an Wäschereien und Spinnereien. Amann, die aktuell an einer Ausmusterung für eine Teppichkollektion arbeitet, interessiert sich dafür, das Vorhandene so zu nutzen, dass daraus trotzdem etwas Besonderes entsteht.

Sanft geschwungene Textilkunstwerke von Christin Amann in der Ausstellung bei Natalia Bento..

Sanft geschwungene Textilkunstwerke von Christin Amann in der Ausstellung bei Natalia Bento.. / Nele Bendgens

Von Kreta nach Mallorca

Amann kommt zwar ursprünglich vom Handwerk, studierte aber danach Design an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin. Mit diesem breit gefächerten Blick gehe Verantwortung einher, meint sie. „Manchmal braucht es Künstler, um eine andere Wahrnehmung für Farben, Materialität und Handwerkstraditionen zu fördern, Dinge und Methoden neu zu denken.“ So baute sie einmal zwei Webstühle zusammen, um dreidimensionale Sitzkissen weben zu können und daraus ein experimentelles Möbelstück entstehen zu lassen.

Die Künstlerin sieht heute klar, wie die Fäden ihrer Ausbildung zusammenlaufen und was ihr wichtig ist: altes Wissen zu materialisieren und in den aktuellen Kontext zu bringen, um nachhaltige Antworten für die Zukunft zu finden. Den Grundstein dafür legte sie, als es sie mit 19 Jahren in einer Selbstfindungsphase nach Kreta zog. Dort lernte sie eine alte griechische Weberin kennen, die ihr Wissen niemandem weitergeben konnte. „Ich sprach kein Wort Griechisch, sie kein Wort Englisch. Aber ich war so fasziniert von ihr und diesem Handwerk, dass ich sie fragte, ob ich ihre Schülerin werden könnte“, erzählt die 34-Jährige.

Dies war das erste Mal, dass Amann ihrer Intuition folgte und auf einer Insel blieb. Damals waren es vier Jahre. Nun, vierzehn Jahre später, fühlt es sich für sie so an, als wiederhole sich ein Muster. Wäre ihr Leben ein Teppich, würde es wohl aussehen wie dasselbe Ornament in Grün.

Muster von Christin Amann.

Muster von Christin Amann. / Nele Bendgens

Werke von Christin Amann und Dan Mandelbaum, bis 22. Dezember in Alaró in der Ausstellung „En Migma“ bei Natalia Bento Art Contemporani, Carrer Campanari, 1B, Mi.-Fr. 16-19 Uhr und Sa. 11-14 Uhr, Preisspanne: 460-4.200 Euro (Amann) und 3.200-8.000 Euro (Mandelbaum), Infos: nataliabentogallery.com.

Das Palmyra Sculpture Centre mit seinem Skulpturengarten kann freitags 11-15 Uhr und mit Termin besucht werden. Workshops (35 Euro pro Sitzung): Skulpturen: Mo. und Fr. 10-13 Uhr; Keramik mit Dan Mandelbaum (jedes Niveau): Sa. 10-13 Uhr, mehr Infos: palmyrasculpturecentre.com

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