Auch in Sóller im Westen von Mallorca ist nun das eingetreten, was nicht eintreten darf: Acht Bewohner der privaten Seniorenresidenz „Bell Entorn" sind in den vergangenen Tagen an Folgen von Covid-19 verstorben, 77 weitere der insgesamt 155 Bewohner sind mit dem Virus infiziert, 44 von ihnen müssen in Krankenhäusern behandelt werden, hinzu kommen 34 infizierte Mitarbeiter. Am Montag (21.9.) gab die Balearen-Regierung bekannt, für die kommenden 20 Tage die Leitung, Koordination und Organisation der Einrichtung zu übernehmen, nachdem sie bereits Mitte vergangener Woche Fachkräfte zur Unterstützung der Mitarbeiter nach Sóller geschickt hatte - ohne dadurch die neuesten Todesfälle verhindern zu können. Die Maßnahmen, die bisher getroffen worden waren, seien „nicht ausreichend", gab eine Regierungssprecherin zu. Kurz: Die Lage ist außer Kontrolle.

Wie ist es möglich, dass sich das Virus neun Monate nach Ausbruch der Pandemie immer noch dort breitmacht, wo Menschen zusammenleben, die nachweislich des maximalen Schutzes bedürfen? Bell Entorn ist bei Weitem kein Einzelfall. Im August wurde ein Großherd von 75 Infizierten im Altenheim in Sant Joan entdeckt, Anfang September meldeten die Behörden 25 Infizierte aus dem Seniorenheim DomusVi in Font de Sa Cala bei Cala Ratjada. Insgesamt gelten aktuell (Stand: Mittwoch, 23.9.) 241 der balearenweit gut 4.340 Altenheimbewohner als aktive Covid-19-Patienten. 132 der insgesamt 292 Todesfälle seit Beginn der Pandemie gehen auf eben jene zurück, die von Anfang an zur Hauptrisikogruppe zählen. In der spanischen Inselpresse wird die Kritik an der Balearen-Regierung größer, die

MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca" schreibt gar von einer „Nemesis".

Knackpunkt Personalmangel

„Es ist leider so, dass das Ansteckungsrisiko für alte Menschen, die in einer Einrichtung mit vielen anderen Menschen zusammenleben, und mit Pflegekräften in Kontakt sind, größer ist, als das von Senioren, die alleine oder mit ihrer Familie in einer privaten Wohnung leben", sagt Regina Moll. Sie leitet seit November 2018 erneut die private Seniorenresidenz Es Castellot in Santa Ponça. Zuvor war sie knapp drei Jahre lang im Sozialinstitut IMAS, das dem Inselrat angeschlossen ist, für die Versorgung Pflegebedürftiger in Heimen verantwortlich. Moll hat nicht den Eindruck, dass das Thema seitens der Politik auf die leichte Schulter genommen wird. „Die Zusammenarbeit mit dem IMAS ist eng, die Auflagen für die Heime angebracht", findet sie.

Immer wieder haben sich die Regelungen, die dem Schutz der Seniorenheimbewohner dienen sollen, in den vergangenen Monaten dem Verlauf der Pandemie entsprechend verändert. Während des Lockdowns im Frühjahr ordnete die Balearen-Regierung strenge Besuchs- und Ausgangsverbote für die Bewohner an und verschärfte die Hygieneauflagen. Als im Juni sinkende Fallzahlen und die „neue Normalität" Einzug hielten, lockerte sie die

Besucherregelung schrittweise. Angehörige durften ihre Verwandten in den Heimen wieder sehen, mussten sich aber vorher anmelden und die Temperatur messen lassen. Bewohner konnten die Heime den Tag über wieder verlassen.

Mit Beginn der zweiten Welle Mitte August wurde erneut eine Ausgangssperre für die Senioren verhängt. Pro Tag und Bewohner ist seitdem nur noch ein Besucher zugelassen, der nach spätestens einer Stunde wieder gehen muss. Zudem organisiert der Inselrat regelmäßige PCR-Tests für sämtliche Bewohner und Mitarbeiter aller Einrichtungen. „In Institutionen, in denen es aktive Fälle gibt, sind Besucher tabu. Dort ist vorgeschrieben, dass die Positiv-Getesteten von den Negativ-Getesteten räumlich getrennt werden. Zudem dürfen Mitarbeiter, die mit Infizierten zu tun haben, nicht mit Gesunden in Kontakt kommen", bestätigt auch Sofía Alonso, Inselratsdirektorin für Senioren.

Genau hier liegt Regina Molls Ansicht nach die Schwierigkeit. „Die Auflagen sind richtig und wichtig, aber der Knackpunkt ist, dass sie wegen Personalmangels nur sehr schwer korrekt umzusetzen sind." Gerade Einrichtungen in privater Trägerschaft geräten bei der Einhaltung der Schutzmaßnahmen in Schwierigkeiten - vor allem, wenn das Virus einmal Einzug erhalten habe. Denn in privaten Heimen sei der Personalmangel noch ausgeprägter als in den öffentlichen Einrichtungen. Auch in der von ihr geleiteten Residenz Es Castellot. „Toi, toi, toi, dass wir noch keinen Fall hatten. Das ist die Horrorvorstellung. Jedes Mal, wenn negative Testergebnisse eintrudeln, atmen alle auf", so Moll.

Auf Mallorca ist ein Großteil der Altenheime in privater Trägerschaft, vor allem die großen Ketten „DomusVi" und „Sèniors" betreiben gleich mehrere Einrichtungen auf der Insel, bekommen aber Zuschüsse von den Behörden, wenn sie einen Teil ihrer Plätze öffentlich anbieten. Sowohl Sèniors als auch DomusVi haben seit Ausbruch der Pandemie zahlreiche Corona-Fälle innerhalb der Einrichtungen verzeichnet. „Der Mehraufwand durch die Hygieneauflagen und die Vermeidung enger Kontakte ist enorm und macht noch deutlicher, dass wir zu wenig Mitarbeiter sind. Hinzu kommt die Angst vor neuen Ansteckungen, die Nerven liegen bei allen blank", berichtet eine Mitarbeiterin der Residencia DomusVi in Font de Sa Cala. Keiner der dortigen Mitarbeiter, die anonym mit der MZ sprechen, beklagt jedoch strukturelle Fehler oder grundlegende Nachlässigkeiten der Heimleitung. „Hier geht es nicht zu, wie man es von einigen Heimen auf dem Festland hört, wo alte Menschen bewusst vernachlässigt werden. Wir alle geben 100 Prozent, um die Situation so gut es geht zu meistern. Und dennoch hat sich das Virus ausgebreitet", sagt ein anderer Mitarbeiter resigniert.

Vollkommen Abschirmen?

Im Inselrat sei man sich der Brisanz der Situation bewusst, sagt Sofía Alfonso. Zumal das Virus auch vor den öffentlichen Wohnheimen auf Mallorca keinen Halt macht, wie sich am Montag (21.9.) zeigte: In der vom IMAS selbst geführten Residencia Bonanova in Palma, dem größten Seniorenheim überhaupt auf Mallorca, wurden bei einer großflächigen Testung aller Bewohner neun Infizierte ausgemacht. Das weitere hinzu kommen, ist nicht auszuschließen. „Leider ist es uns nicht möglich, präventiv verstärkendes Fachpersonal auf alle privaten und öffentlichen Heime der Insel zu verteilen, da es schlichtweg zu wenig ausgebildete Krankenschwestern, Altenpfleger und Assistenten gibt", sagt Alonso. Man denke nun darüber nach, wie von der Opposition gefordert, Hilfen beim spanischen Militär anzufordern, um zumindest bei logistischen Operationen wie der Verlegung von Pflegezimmern Unterstützung zu bekommen.

Aber reicht das? Oder wäre es richtig gewesen, die alten Menschen sowie die Mitarbeiter seit Beginn der Pandemie komplett in den Heimen abzuschirmen, um jeglichen Kontakt zur Außenwelt zu vermeiden? „Nein", betont Regina Moll. Nicht nur, weil das Pflegepersonal selbst Familien und Angehörige zu Hause habe, sondern auch, weil die alten Menschen ohnehin unter der Abgeschiedenheit durch das zeitweise Besuchsverbot und die aktuelle Ausgangssperre litten. „Sowohl für die geistig gesunden Bewohner als auch für die an Demenz Erkrankten ist es eine sehr schwierige Zeit. Einige verstehen nicht, was passiert, andere machen sich Sorgen."

Letztlich, findet Moll, könne die Ansteckungsgefahr nur dadurch minimiert werden, dass sich alle Mitarbeiter, Bewohner und Besucher strengstens an die Hygienevorschriften halten und sich die Heimleitungen dem Kraftakt, der mit den Auflagen verbunden ist, gewissenhaft stellen. „Und natürlich kommt es auch darauf an, wie diszipliniert sich die gesamte Bevölkerung verhält."