Rebeca studiert an der Balearen-Uni, arbeitet nebenbei als Tauchlehrerin. Eine gewöhnliche junge Frau. Nur ihr zweiter Nebenjob hebt sie von vielen ihrer Kommilitoninnen ab: Seit 2017 bietet die Spanierin Sex gegen Geld an. In ihrer Wohnung oder in Hotelzimmern, ganz, wie es die Kunden wünschen. „Es ist eine ganz normale Job-Entscheidung wie jede andere auch“, findet Rebeca. Lange stand sie mit dieser Meinung gefühlt allein da. Jetzt hat sich eine Gewerkschaft auf den Balearen gegründet, die Rebeca aus der Seele zu sprechen scheint – und den Sexarbeitern mehr Gehör, aber auch mehr Sichtbarkeit und Anerkennung in der Gesellschaft erstreiten möchte. Doch es gibt Zweifel an der Integrität der Vereinigung.

Raus aus der Opferrolle

Es seien zwei Freundinnen gewesen, die sie einst, vor rund fünf Jahren, auf die Idee brachten, sich zu prostituieren, berichtet Rebeca. „Was mich am meisten anspornte, waren das Geld und die Flexibilität. Ich reise viel. Diese Arbeit kann ich ausüben, wo ich will, solange ich eine Internetverbindung habe, um mich anzupreisen.“ Der Verdienst sei gut. Wie gut, will sie nicht verraten. „Und man hat das ganze Jahr Arbeit, auch hier auf Mallorca“, sagt die Studentin.

Aufreibend sei dagegen die gesellschaftliche Verachtung, gerade aus vermeintlich feministischen Kreisen. „Ich habe diesen Beruf freiwillig gewählt, ich bin kein Opfer. Was ist das für ein Feminismus, der uns vorschreibt, was wir mit unserem Körper machen dürfen und was nicht?“, sagt Rebeca. Sie wisse, dass es auch andere Fälle gibt, betont sie. Fälle, in denen die Frauen tatsächlich Opfer sind. Von Zwangsprostitution, Menschenhandel und Gewalt durch Zuhälter. Aber all dies treffe auf die Mehrheit der Sexarbeiterinnen nicht zu. „Ich habe mit vielen Kollegeinnen zu tun, mit Spanierinnen und Ausländerinnen. Wir machen es, weil wir es wollen.“

Natürlich bringe die Prostitution ein gewisses Berufsrisiko mit sich. Probleme mit Freiern können jederzeit auftreten. „Ich bin immer vorsichtig. Aber ich weiß, dass wenn mir mal etwas passieren sollte, ich nur auf meine Freunde zählen kann. Nicht auf die Polizei und auch nicht auf die Regierung. Dabei fände ich es gut, wenn auch sie mich unterstützen würden.“

Erstmals eine Interessenvertretung

Als Ende Mai die spanische Sexarbeiter-Gewerkschaft „Otras“ eine Vertretung auf den Balearen eröffnete, und somit erstmals Prostituierte, Pornodarsteller, Go-go-Tänzer und andere Sexarbeiter gewerkschaftlich organisiert zusammenschloss, war Rebeca eine der Ersten, die Mitglied wurde. „Es ist super, dass es nun so eine Interessensvertretung gibt“, findet Rebeca. Nur so könne das Gewerbe gezielt für seine Anliegen kämpfen.

Und genau das hat „Otras“ vor. Wenn man am Telefon mit Miquel Bibiloni spricht, bekommt man den Eindruck, es mit einem erfahrenen Politiker zu tun zu haben. Seine Worte sind mit Bedacht gewählt, seine Formulierungen glatt, seine Einstellung kämpferisch. Der Sexarbeiter ist der Sprecher von „Otras“ auf den Balearen und verhandelt auch auf überregionaler Ebene als Sprecher für Spaniens Prostituierte mit den Institutionen. Er wirkt gestresst. „Ich habe viele Gesprächsanfragen, das Thema ist gerade in aller Munde.“ Doch genau das sei es auch, was man wolle. Rund 50 Mitglieder hätten sich seit der Gründung im Mai der Gewerkschaft angeschlossen. „Wir möchten uns Sexarbeiter sichtbarer machen, der Öffentlichkeit unsere Situation erklären, ein Bewusstsein schaffen für die Probleme, die wir zu bewältigen haben, und für mehr juristische und staatliche Unterstützung kämpfen“, sagt Bibiloni.

Von legalisieren bis abschaffen

Besonders jetzt, wo spanienweit die Debatte um den rechtlichen Umgang mit der Prostitution in vollem Gange ist. Im Juni hat die sozialistische Regierungspartei PSOE einen Gesetzesentwurf gegen Zuhälterei auf den Weg gebracht, der die strafrechtliche Verfolgung von Zuhälterei vorsieht. Geplant ist, härter gegen Zuhälter, aber auch gegen Freier vorzugehen. Strafen soll es zudem für jene geben, die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, in denen käuflicher Sex praktiziert wird. Die Prostitution soll über diesen Weg unterbunden werden. Ein Ziel, das Bibiloni für unrealistisch hält. „Käuflichen Sex gab es immer und wird es immer geben“, sagt er.

Bisher ist Prostitution in Spanien schlichtweg rechtlich nicht geregelt, also auch nicht verboten. Wer die Dienste anbietet oder in Anspruch nimmt, bekommt dafür keine Strafe – es sei denn, er verstößt gegen bestehende Sittenverordnungen einzelner Gemeinden. Das – ebenfalls sozialistisch regierte – Rathaus von Calvià beispielsweise verbat das Anschaffen rund um die Partymeile Magaluf bereits vor Jahren. Andererseits: Prostitution ist auch nicht offiziell erlaubt. Dadurch haben die überwiegend weiblichen Sexarbeiterinnen keinerlei arbeitsrechtlichen Schutz. Sie zahlen nicht in die Sozialversicherung ein, können nicht streiken, haben keinen Urlaubs- oder Rentenanspruch.

Mit dem rigorosen Gesetzesentwurf der PSOE dürfte Spanien bald somit eine gänzlich andere Richtung einschlagen als viele nordeuropäische Länder. In Deutschland beispielsweise ist Prostitution seit dem Jahr 2002 legal. Das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 soll zudem die Arbeitsbedingungen der Sexarbeiter verbessern. Bordelle brauchen seither eine Betriebserlaubnis, Prostituierte müssen sich registrieren lassen. Auch in Spanien sei das die beste Handhabe für das Gunstgewerbe, findet „Otras“-Sprecher Bibiloni.

Ausbeutung und Gewalt

Prostitution ist kein Beruf, kann es auch niemals sein. Es ist die Ausbeutung von Körpern, verstößt gegen die Menschenrechte. So etwas darf man nicht akzeptieren und erst recht nicht legalisieren“, hält Inma Mas dagegen. Sie koordiniert die Hilfsangebote für Prostituierte, die die gemeinnützige Organisation „Médicos del Mundo“ (Ärzte der Welt) seit rund 30 Jahren auf den Balearen anbietet. Täglich haben Inma Mas und ihre Kollegen mit Frauen zu tun, die alles andere als freiwillig ihre Körper hergeben, damit Fremde sich daran verlustieren. Opfer von Schlepperbanden, Frauen, die oft weder eine Arbeits- noch eine Aufenthaltsgenehmigung, dafür aber hohe Schulden haben. Die gezwungen sind, sich selbst zu verkaufen. Einige durch finanzielle und existenzielle Not, andere durch reine physische Gewalt von Zuhältern und Mafiosi. „Wir erleben oft, dass junge Frauen 14 Stunden am Tag in Zimmern eingesperrt werden, um zig Freiern zur Verfügung zu stehen“, sagt Mas. 1.228 Hilfe suchende Prostitutierte betreute „Médicos del Mundo“ im Vor-Corona-Jahr 2019 auf den Balearen. „Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es dieses Jahr noch deutlich mehr sind.“

Mas ist überzeugt: „Der Anteil derer, die es wirklich freiwillig machen, ist verschwindend gering. Das ist die Realität, und sie zu verschleiern ist gefährlich.“ Deshalb stehe sie „Otras“ zutiefst kritisch gegenüber. „Es ist besorgniserregend, dass hier mit gezielten Kampagnen ein Bild der Prostitution gezeichnet wird, das nicht der Wahrheit entspricht. Letztlich stärkt das die Interessen der Zuhälter, denn für sie wäre eine Legalisierung wünschenswert. Wer weiß, ob sie es nicht selbst sind, die bei ‚Otras‘ die Fäden ziehen“, sagt Mas.

Umso wichtiger sei es, bei dem Thema nichts zu beschönigen – auch sprachlich nicht. „Es sind Prostituierte, nicht Sexarbeiter. Und es sind Zuhälter statt Unternehmer. Das sollte man auch ganz klar so sagen“, so Mas. Gerade hier auf Mallorca, wo viele der Frauen umso verletzlicher sind, da sie oft nur für die Sommermonate auf die Insel geschickt werden und kaum Chancen haben, sich ein schützendes Umfeld aufzubauen. Hotspot sei Magaluf, aber auch die Playa de Palma. „Von den Frauen, die sich dort auf der Straße anbieten, ist keine dabei, die es freiwillig macht.“ Das müsse den Anwohnern genauso klar sein, wie den Urlaubern, die nach sexuellem Vergnügen suchen.