In die Sprache "eintauchen": Warum in Mallorcas Schulen auf Katalanisch unterrichtet wird

Auf der Insel herrscht das Prinzip der "inmersión linguistica". Ziel ist es, dass die katalanische Sprache in den Alltag durchdringt

Erster Schultag an einer Grundschule in Palma.

Erster Schultag an einer Grundschule in Palma. / Bernardo Arzayus

Johannes Krayer

Johannes Krayer

Die von der Balearen-Regierung angestrebte freie Sprachwahl in den Schulen könnte zur Folge haben, dass das bisher praktizierte Modell der sogenannten inmersión lingüística, also das „Eintauchen“ in eine Sprache einen Dämpfer erhält. Auf den Balearen meint man damit, dass die Schüler durch die vorrangige Benutzung des Katalanischen in die Sprache „eintauchen“ und sie so quasi nebenbei lernen, falls sie sie nicht ohnehin von Haus aus sprechen.

Streng genommen sei der Begriff in weiten Teilen der Inseln falsch gewählt, wie Elga Cremades, Katalanisch-Philologin an der Balearen-Universität, der MZ erklärt. Cremades hat gerade eine neue Studie zur Verwendung des Katalanischen auf den Inseln veröffentlicht. „Die inmersión wurde ursprünglich in den 1960er-Jahren in Québec in Kanada entworfen, um den von Haus aus englischsprachigen Schülern in der Schule das Französische so nahezubringen, dass sie am Ende der Schullaufbahn die Sprache wie eine zweite Muttersprache beherrschen.“ Es bezieht sich auf den Fall, dass die Unterrichtssprache eine andere ist als die, die zu Hause gesprochen wird.

Viele ohnehin zweisprachig

Auf den Balearen aber seien viele Kinder ja ohnehin schon zweisprachig und beherrschten das Katalanische bereits als Kleinkind. Cremades stellte in ihrer Studie in Gesprächen mit 124 Jugendlichen in sieben Gemeinden auf Mallorca fest, dass 41 Prozent von ihnen Katalanisch als Hauptsprache nutzen, 28 Prozent Spanisch und elf Prozent beide gleichberechtigt. Die anderen nutzten eine andere Sprache als Hauptsprache. Deshalb spricht Cremades auf den Balearen eher von einer conjunción, also einer Verbindung der Sprachen.

Das Katalanische wird an den balearischen Schulen seit Jahrzehnten gefördert. Bereits in der Landesverfassung der Balearen, dem Estatut d’Autonomia, aus dem Jahr 1983 steht erstmals unmissverständlich: Katalanisch ist die den Inseln eigene Sprache (lengua propia). Das castellano ist zwar ebenfalls offizielle Amtssprache, aber das in der Franco-Diktatur unterdrückte Katalanisch wird „bevorzugt“ behandelt. Alle Einwohner der Balearen haben das Recht, die katalanische Sprache zu kennen und zu benutzen.

Das sagt das Gesetz

Ändern sollte die Marginalisierung des Katalanischen auch das Gesetz zur sprachlichen Normalisierung (Ley de Normalización Lingüistica) drei Jahre später. In Artikel 18 heißt es darin: „Die Schüler haben das Recht, die erste Schulbildung in ihrer Sprache zu erhalten, sei es Katalanisch oder Spanisch.“ Die Balearen-Regierung müsse diesen Anspruch garantieren – freilich ging es damals vor allem darum, Katalanisch zu stärken. 1997 kam im sogenannten „Decret de mínims“ noch einmal hinzu, dass „mindestens 50 Prozent“ des Unterrichts auf Katalanisch stattfinden müssen – zumindest in den mit öffentlichen Mitteln finanzierten Bildungseinrichtungen. Den Schulen wurde darüber hinaus die Autonomie zugestanden, ihr sprachliches Projekt selbst zu definieren. Heutzutage findet der Unterricht in den meisten Schulen größtenteils auf Katalanisch statt.

Für Cremades ist der Weg, den die Balearen vor 25 Jahren mit dem „Decret de mínims“ einschlugen, der richtige. „Wenn man will, dass eine Sprache von der gesamten Bevölkerung erlernt werden soll, dann muss man ihr einen Raum geben. Und das ist die Schule.“ Es gehe dabei um die sprachlichen Rechte einer ohnehin lange Zeit unterdrückten katalanischsprachigen Bevölkerung. „Das einzige System, das das beenden kann, ist eine umgekehrte Diskriminierung zugunsten des Katalanischen.“

Sehr viele einsprachig spanische Medien

Die Gesellschaft sei in den Medien und im Alltag ohnehin vom castellano beherrscht. „Es gibt keine einsprachig katalanischsprachigen Menschen, dafür aber sehr viele einsprachig spanischsprachige“, so Cremades. Die einzige Möglichkeit, den Erfolg des zweisprachigen Schulsystems zu garantieren, sei, die Minderheitensprache zur bevorzugten Unterrichtssprache zu machen.

Susanna Moll, ebenfalls Philologin und Politikerin bei der sozialistischen PSOE, verweist auf den Reichtum, den eine weitere Sprache für jeden Menschen hat. „Wieso sollten wir unseren Kindern diese Möglichkeit verbauen?“, fragt die Enkelin des einflussreichen Katalanisch-Philologen Francesc de Borja Moll beim Gespräch mit der MZ.

Ein erster Versuch, die spanischsprachige Beschulung wieder zu stärken, erfolgte 2004 unter der PP. Die Eltern mussten fortan bei der Einschulung schriftlich erklären, welche Sprache sie für ihre Kinder wünschten. Große Auswirkungen hatte das nicht, zumal Lehrer und Schulleiter manchen Eltern ihr Vorhaben wieder ausgeredet haben mögen.

Einen Schritt weiter ging 2012 die konservative Regierung von José Ramón Bauzá: Nun mussten die Eltern bereits zuvor, in dem Moment, in dem sie einen Platz im Schulsystem beantragten, ein Kästchen mit ihrem Sprachwunsch ankreuzen. In den Jahren, in denen dieses System angewandt wurde, wählten dennoch zwischen 70 und 80 Prozent der Eltern Katalanisch als erste Unterrichtssprache.

Aus dem Amt gejagt

Der Schuss, das Katalanische zurückdrängen zu wollen, ging für Bauzá ohnehin nach hinten los. Der konservative Politiker wollte mit dem sogenannten TiL ein dreisprachiges Unterrichtsmodell mit Englisch etablieren. Zu einer Kundgebung gegen die Pläne kamen 2013 in Palma rund 100.000 Menschen. Nie zuvor und nie danach hatten auch nur annähernd so viele Menschen gegen etwas auf der Insel demonstriert. Für José Ramón Bauzá bedeuteten seine Pläne schließlich auch die Abwahl 2015.

Ohnehin sei ja alles gar nicht so starr, wie es in den Gesetzesvorgaben steht, geben Susanna Moll und Elga Cremades einstimmig zu bedenken. „Im Abstrakten gibt es zwar die Regeln, in der Praxis werden die aber sehr flexibel je nach Anforderungen ausgelegt“, sagt Susanna Moll. In Klassen, in denen es viele ausländische Schüler oder auch vom Festland gebe, die Schwierigkeiten mit dem Katalanischen hätten, erklärten die Lehrer dann eben auch auf Spanisch wichtigen Unterrichtsstoff.

Und außerdem, sagt Elga Cremades, dürfe man heutzutage nicht mehr von der Vorstellung ausgehen, dass der Lehrer vorne stehe und im Frontalunterricht auf die Schüler einrede. „Vielmehr gibt es ganz unterschiedliche Lernformen, viele Kleingruppen, Teamarbeit. Da sind die Schülerinnen und Schüler dann unter sich und sprechen die Sprache, in der sie sich wohlfühlen.“ Da könne dann auch kein Politiker irgendetwas daran ändern.

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