Wie eine Suchtklinik sieht die Villa nicht gerade aus. Eher wie ein exklusives Urlaubsresort. Das Gebäude des Entzugszentrums „The Balance“ steht einsam auf einem großen Gelände in der Gemeinde Llucmajor. Weit und breit sind keine anderen Gebäude zu sehen, nur das weite Feld. Mit privatem Koch, Fitnessraum und Yoga-Stunden klingt auch das Angebot vor allem nach einem: Luxus. „Sie kriegen einen Unternehmer nicht in ein Einzelzimmer in einer Suchtklinik mit 100 Betten“, sagt „The Balance“-Chef Abdullah Boulad. Generell sei ein Ort, in dem man von „Betten“ spreche, für gewisse Kreise undenkbar. Boulads Kunden sind keine Normalverdiener, sondern Leiter großer Firmen, angeblich auch Mitglieder aus Königsfamilien und Superstars. Menschen, die sich eine solche Kur leisten können. Vier Wochen bei „The Balance“ kosten knapp 150.000 Euro.

Um dem Klientel zu entsprechen, muss alles exklusiv und vor allem anonym sein. Auf Namen seiner Klienten geht Boulad nicht ein. In der Zeitung darf nicht einmal der genaue Ort der Villa stehen. Gemeinde Llucmajor muss reichen. Insgesamt drei solcher Villen betreibt „The Balance“ auf Mallorca, bei Bedarf mietet das Unternehmen weitere hinzu. Wie viele Kunden es im Jahr betreut, will der Geschäftsführer nicht verraten. Boulad, der „The Balance“ vor vier Jahren in der Schweiz gegründet hat, ist vor einem Jahr auf die Insel gezogen. Für den Schweizer ist Mallorca der perfekte Ort, „um seinen Kunden Heilung zu bieten“. Zum einen wegen der klassischen Vorzüge der Insel: gutes Essen, schöne Natur, viel Sonnenschein. Zum anderen kann er auf Mallorca sein Entzugszentrum um einiges günstiger anbieten als in der Schweiz. Dort kosteten vier Wochen um die 400.000 Euro. Außerdem bietet Mallorca Anonymität. Auf dem Flughafen fällt ein weiterer Privatflieger nicht auf. Wer zu Hause nicht über den Entzug sprechen will, kann einen Urlaub vortäuschen. „Man war am Strand, auf einem Boot, kann Fotos davon zeigen“, erklärt Boulad.

In den Luxus-Entzug auf Mallorca kommen beispielsweise Menschen mit Essstörungen, Alkoholsucht oder Medikamentenabhängigkeit

Der Chef besucht seine Kunden ein bis zwei Mal die Woche. Mehr Zeit mit den Klienten verbringen die jeweiligen Trainer und Therapeuten. Eine davon ist Jil Moore, sie gibt Yoga-Stunden, ist aber auch zum Beispiel für die Nachbetreuung der Kunden zuständig. Manche ihrer Klienten, erzählt sie, haben im ersten Moment keine Lust auf Yoga. Vor allem Männern um die 30. „Aber mein Yoga ist anders“, sagt sie. Sie stimmt das Training auf den Kunden ab. Manche wollen viel Bewegung. Dann gibt es 70-Jährige, deren Alkoholsucht ihren Körper zerstört hat. „Wenn sich jemand nicht gut bewegen kann, mache ich zum Beispiel Stuhl-Yoga.“ Generell versuche sie den Klienten Ruhe und ein Gefühl für ihren Körper zu geben.

„The Balance“-Geschäftsführer Abdullah Boulad Nele Bendgens

Reich mögen die Kunden von Boulad sein, aber beneidenswert sind sie deswegen nicht. 60-Jährige mit Alkoholsucht werden in dem Luxus-Zentrum genauso versorgt wie 20-Jährige mit Essstörung oder 30-Jährige mit Medikamentenabhängigkeit. Hinzu kommen meist psychische Probleme: Schlaflosigkeit, Depressionen, Burn-out. Die jeweilige Sucht maskiert laut Boulad meist das eigentliche Problem.

Eine Frage drängt sich auf: Macht zu viel Geld krank? „Absolut“, sagt Boulad. „Wenn es nicht richtig kanalisiert wird.“ Ein Kunde habe ihm erzählt, er wünsche sich, seine Firma nie verkauft zu haben. Obwohl ihm das viel Geld gebracht habe. „Ihm hat danach der Sinn im Leben gefehlt, er ist in ein Loch gefallen“, so Boulad. Bei anderen werde der Erfolg zum Problem. Der Ruhm. „Gerade junge Menschen kommen häufig mit dem Druck, der durch Fans und Medien entsteht, nicht klar.“ Jil Moore sagt, es gebe eine weitere große Kundengruppe: Menschen, die mit zu viel Reichtum aufgewachsen sind. Solche, die Geld statt Liebe von ihren Eltern bekommen haben. „Sie kennen keine Grenzen“, sagt Moore. Boulad erzählt, es gebe junge Erwachsene, die immer nur Belohnungen bekommen hätten. Sie seien auf kurzfristige Freuden ausgelegt, könnten sich nicht konzentrieren, kein Buch lesen. „In ihrem Leben war alles Lob und Belohnung. Rausch, Rausch, Rausch“, sagt Boulad.

Klienten bei der Luxus-Rehab "The Balance" auf Mallorca haben sogar einen eigenen Koch

Die Exklusivität, die „The Balance“ verkörpert, hat immer einen fahlen Beigeschmack. Es ist Hilfe für Menschen, die es sich leisten können. Menschen, die bereits viel haben. Aber Boulad sieht kein Dilemma. „Es sind Menschen wie andere auch“, sagt er. Ohne ein entsprechendes Umfeld würden sie nicht in Therapie gehen. Gerade bei berühmten Personen ende das oft in Selbstmordversuchen. „Irgendwo brauchen diese Kunden auch ein Ventil.“

Privatköche stehen den gesamten Tag für den Kunden zur Verfügung. Nele Bendgens

Ein Rundgang durch die Villa zeigt, was den Klienten hier geboten wird. Da ist zum einen ein großes Schlafzimmer mit Ausblick auf Landschaft und Pool, das mit der modern-neutralen Einrichtung wie ein Hotelzimmer aussieht. Hier wohnen die Kunden während des gesamten Aufenthalts, mindestens vier Wochen lang. In dieser Zeit sollen sie allein sein, Haustiere sind erlaubt, Partner oder Familie nicht. Ein weiteres Schlafzimmer ist das des sogenannten Case Managers, den die Klienten vom ersten Tag an an die Seite gestellt bekommen. Es kann ein Therapeut sein, aber auch ein ehemaliger Suchtpatient. Je nachdem, was am besten passe. Meist sind sie ähnlich alt wie die Kunden. Case Manager sind die Bezugsperson der Klienten, wohnen die vier Wochen mit ihnen zusammen. Teilweise begleiten die Betreuer nach dem Aufenthalt die Kunden auch nach Hause, helfen ihnen dort, Therapeuten zu finden und im Alltag klarzukommen.

In einem weiteren Zimmer schläft der Privatkoch. Auch er lebt vier Wochen mit dem Klienten zusammen. Zum einen ist das wichtig für den Luxus und hohen Standard, den die Entzugsklinik verkörpert. Zum anderen spielt laut Boulad bei „The Balance“ Essen eine sehr wichtige Rolle. Das Zentrum verfolgt einen sogenannten holistischen Ansatz. Das bedeutet, dass der Mensch als Ganzes geheilt werden soll und dass alles miteinander zusammenhängt. „Zum Beispiel weiß man inzwischen, dass Darmbakterien einen Einfluss auf die Laune haben“, erklärt Boulad. Die Köche stellen also ihre Gerichte so zusammen, dass sie der Heilung des Patienten helfen.

Manche Kunden brechen den Entzug auf Mallorca ab

Georg Heindl ist einer aus dem Team der Chefs, die für „The Balance“ arbeiten. Er erklärt das Prinzip in der Praxis: „Avocado ist beispielsweise bei Gastritis für den Magen nicht gut, generell für die Leber aber sehr förderlich.“ Je nach Krankheitsbild gibt es also Avocado oder nicht. Heindl hat in Sterneküchen gearbeitet, bevor er nach Mallorca kam. Eine therapeutische Ausbildung hat er nicht, genießt aber, so erzählt er, das Gefühl, mit seinem Essen etwas zu bewirken und den Klienten zu helfen.

Im Therapieraum finden Gespräche statt. Nele Bendgens

Weitere Räume in der Villa sind der Fitnessraum, wo ein Personal Trainer mit den Kunden arbeitet, ein Massageraum und ein großes Wohnzimmer. Der letzte Raum ist eher unscheinbar, aber hier geschieht ein großer Teil der Arbeit. Zwei gelbe Sessel mit Decken, orientalische Dekoration. Ein Affe, der sich die Ohren zuhält, einer, der sich die Augen zuhält. Der Affe, der sich den Mund zuhält, fehlt. Denn hier soll möglichst viel geredet werden. Im Therapieraum sprechen die Klienten mit den verschiedenen Psychotherapeuten, die sie behandeln. In der ersten Woche bei „The Balance“ findet laut Boulad meist der körperliche Teil des Entzugs statt. Je nach Gesundheitszustand müssen die Kunden dafür zeitweise in eine Klinik gebracht werden. In der zweiten und dritten Woche geht es dann vor allem um die Therapie. Jeder Kunde wird von mindestens zwei Psychotherapeuten behandelt, die verschiedene Themen bearbeiten. Bei den einen geht es um die Kindheit, bei anderen um Traumata oder Suchtprävention. In der vierten Woche beginnt die Vorbereitung auf die Zeit danach, teilweise mit Familienbesuchen oder Videocalls.

Boulad gibt zu, dass die Arbeit manchmal auch unschöne Seiten hat. Klienten lügen, bevor sie kommen. Untertreiben, wie viel sie wirklich trinken oder verschweigen einen Teil ihrer Süchte. Dann gibt es hin und wieder Kunden, die den Entzug nicht schaffen und abbrechen. „Manchmal würde ich diesen Kunden gerne zeigen, was aus ihnen ohne ihre Sucht werden könnte“, sagt der Geschäftsführer. Generell spricht er aber lieber über seine Erfolgsgeschichten. Es sei schön, den Wandel bei seinen Kunden zu beobachten. Den Unterschied zwischen dem ersten und letzten Tag. Und am Ende trotz Luxus, trotz Privatkoch, Pool und Protz, seien die Kunden froh, wieder nach Hause zurückzukehren.