Menschenrechtlerin, Sozialforscherin, Journalistin – Helena Maleno ist ein vielseitiger Mensch. Und doch dreht sich ihr Leben vor allem um eins: jenen zu helfen, die Grenzen überqueren, in der Hoffnung, auf der anderen Seite ein besseres Leben zu finden. Vor mehr als 20 Jahren gründete die heute 51-Jährige die NGO Caminando Fronteras. Seitdem haben ihre Mitstreiter und sie dazu beigetragen, mehr als 100.000 Menschenleben zu retten. Vor dem Ertrinkungstod, vor dem Verhungern, vor Gewalt an den Grenzübergängen. Am Mittwoch (30.3.) hat die Andalusierin auf Mallorca den Ehrendoktortitel der Balearen-Universität erhalten – eine weitere in einer langen Liste an Auszeichnungen. Für ein Engagement, das angesichts des Ukraine-Krieges wichtiger denn je erscheint und doch weit über die aktuellen Hilfen hinausgeht.

Solidarität mit der Ukraine – wenn man Helena Maleno darauf anspricht, lacht sie bitter auf. „Da zeigt sich Europa mal von seiner menschlichen Seite“, sagt sie. „Aber eigentlich verdeutlicht doch genau dieses Verhalten auch den Rassismus. In den Institutionen, in der Politik und in der Gesellschaft. Der Eindruck drängt sich auf, es gebe Geflüchtete erster Klasse und jene, für die sich kaum jemand interessiert.“ Wobei Maleno nicht zur Verbitterung neigt. Im Gegenteil, sie ist Optimistin. „Vielleicht ist der Ukraine-Krieg sogar eine große Chance für Europa, um endlich die alten Strukturen aufzubrechen.“

Diskriminierung und Misstrauen

Wenn Ukrainerinnen und Ukrainer es schaffen, ihr Heimatland zu verlassen, stehen auf der anderen Seite der Grenze derzeit ganze Heerscharen von Helfern bereit. „Dagegen erfahren Migranten aus dem Süden oft Ablehnung, Misstrauen und Diskriminierung. Sowohl seitens der Behörden als auch der Bevölkerung“, sagt Maleno. „Die Grenzen mutieren dann zum rechtsfreien Raum, in dem ein Menschenleben weniger wert zu sein scheint als die Sicherung dieser Grenzen.“

Seit 2001 lebt die Andalusierin in Marokko, und engagiert sich von dort für die Menschen, die versuchen, vom afrikanischen Kontintent übers Meer nach Spanien zu gelangen. Sie klärt die Migrationswilligen über die Gefahren der Überfahrt auf und stellt eine Notrufnummer zur Verfügung, falls sie Schiffbruch erleiden. „Wir leiten den Notruf dann an die entsprechenden Hilfskräfte weiter und vergewissern uns, dass sie tätig werden“, sagt Maleno.

Fast täglich verschwinden Menschen

Schon häufig habe sie von den Migranten den Satz gehört: „Wenn wir bei euch anrufen, wissen wir, dass ihr sichergehen wollt, dass wir überleben. Wenn wir bei der 112 anrufen, sind wir uns da nicht so sicher.“ Wenn dann doch Leichen identifiziert werden müssen, sind Maleno und ihre Helfer zur Stelle, begleiten die Familien. Und wenn Boote im Mittelmeer verschollen gehen, machen die Aktivisten von Caminando Fronteras Druck, damit Nachforschungen angestellt werden. „Es verschwinden fast täglich Menschen und oft scheint es kaum jemanden zu interessieren.“

Das gelte auch für die Route von Algerien auf die Balearen. „Es ist eine wenig sichtbare Migrationsroute und gleichzeitig eine sehr lange und gefährliche. Auch viele Frauen und Kinder versuchen hier ihr Glück, aber oft scheitern sie“, sagt Maleno. Wie oft, das soll eine breit gefächerte Studie ergeben, die Maleno gerade zusammen mit der Hilfsorganisation Fons Menorquí de Cooperació durchführt. „Ende des Jahres können wir wohl mehr sagen über die Beweggründe der Algerier, nach Europa zu kommen, und auch über die Umstände ihrer Überfahrt, über ihren Verbleib in Spanien und über die Todesopfer.“

Ukraine ist von Spanien weiter entfernt als der Senegal

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Dass die Dramen im Mittelmeer sich praktisch direkt vor unserer Haustür abspielen, und trotzdem so wenig Beachtung finden, sei noch so ein Punkt, der durch die kollektive Hilfsbereitschaft gegenüber ukrainischen Geflüchteten umso deutlicher heraussteche. Maleno: „Die Ukraine ist von Spanien aus weiter entfernt als der Senegal. Nach Marokko sind es vom Festland aus hingegen nur 14 Kilometer.“

Es sei ein guter Zeitpunkt für Europäer, den eigenen Rassismus zu reflektieren. „Rassismus wächst nicht über Nacht. Dass die extreme Rechte in den vergangenen Jahren in vielen europäischen Ländern erstarkt ist, zeigt, wie verbreitet diskriminierendes Gedankengut in unserer Gesellschaft ist“, sagt sie. Ihre Kritik richtet sich auch an die politischen Verantwortlichen. „Den Ukrainern wird die Integration auch rechtlich viel leichter gemacht. Behördliche Abläufe, die bei Menschen aus dem Jemen Jahre dauern, gehen bei ihnen in wenigen Wochen über die Bühne. Es geht also. Warum dann nicht bei allen?“