Früher kamen hier nur wenige Passanten vorbei. Jetzt, da das Gelände der psychiatrischen Klinik in Palma de Mallorca der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und nach und nach zu einem Park umgestaltet wird, dürften sich mehr Menschen über die Widmung mit dem deutschen Namen wundern. In die Mauer eines heute lediglich als Lagerraum genutzten Gebäudes eingelassen ist eine Gedenktafel mit neoklassizistischer, tempelartiger Verzierung. Zwischen Voluten und unter einem Fries kommt ein Professor Hermann Simon zu Ehren, der „große Apostel der Arbeitstherapie“. Die Tafel datiert aus dem Jahr 1948.

Wer war der Professor? Hatte er Mallorca besucht? Und warum diese Widmung auf dem Gelände von Palmas Psychiatrie?

Auf die Tafel ist Rainer Oberguggenberger gestoßen. Der Österreicher ist seit 2014 ärztlicher Leiter des Hospital Psiquiàtric de Palma, und er treibt den Öffnungsprozess des früher abgeschotteten Geländes zu einem öffentlichen Park weiter voran. Symbolisch begonnen wurde damit im Sommer, mit dem medienwirksamen Abriss einer Mauer gegenüber dem Sa-Riera-Park.

Er sei auf dem Gelände auf eine ganze Reihe von Plaketten und Jahreszahlen gestoßen, und der Name des deutschen Professors habe ihn aufhorchen lassen, so Oberguggenberger. Er begann nachzuforschen.

Zwiespältiges Erbe: Hermann Simon, Pionier der Arbeitstherapie.

Das Erbe von Hermann Simon

Simon war ab 1914 ärztlicher Direktor der „Provinzialheil- und Pflegeanstalt Gütersloh“. Der Psychiater begründete die systematische Arbeitstherapie – er lehnte die passive Verwahrung von Patienten ab und organisierte Arbeitseinsätze mittels eines fünfstufigen Leistungssystems. Simons Erbe ist zwiespältig: Einerseits beflügelten seine Methoden europaweit die soziale Psychiatrie. Andererseits war „der in den 1920er-Jahren so reformfreudige Direktor Simon ein Anhänger der sozialdarwinistischen Eugenik und ein geistiger Wegbereiter der sogenannten Euthanasieprogramme, in denen die Nationalsozialisten Kranke und Behinderte töteten“, heißt es in einem Beitrag des Stadtmuseums Gütersloh. „Der Mensch im Krankenhaus, in der Irrenanstalt, im Krüppelheim, im Zuchthaus, im Altersheim kostet mehr, oft viel mehr, als der überwiegenden Mehrheit unseres Volkes in gesunden Tagen zur Verfügung steht“, steht in einem Redemanuskript Simons von 1931. „Es wird wieder mehr gestorben werden müssen.“

Dass er jemals auf Mallorca war, das belegen weder Fotos, noch gibt es Hinweise darauf. Der Grund für die Plakette, die ein „n“ des Vornamens unterschlägt, war wohl vielmehr Bewunderung aus der Ferne. Die Tafel wurde ein Jahr nach dem Tod des Psychiaters angebracht, als die Anstalt gut 500 Patienten zählte. Berührungsängste mit Ärzten, die dem Nazi-Regime verbunden waren, gab es im damaligen Franco-Spanien offensichtlich keine – wobei die dunklen Seiten Simons auch in Deutschland erst in den vergangenen 20 Jahren aufgearbeitet wurden.

Sehr wohl auf die Insel verschlug es Wilhelm Schneider, Leiter der Psychiatrie in Gütersloh zwischen 1954 und 1960. Von dem ebenfalls überzeugten Anhänger der Arbeitstherapie gibt es ein Erinnerungsfoto vor der Gedenktafel sowie auch einen im Juli 1962 veröffentlichten Bericht zum Mallorca-Besuch.

Wilhelm Schneider bei seinem Besuch der Psychiatrie auf Mallorca.

„Während meiner Reisen und den Empfehlungen meines Vorgängers in Gütersloh, Dr. Hermann Simon, folgend, habe ich gerne die Gelegenheit wahrgenommen, Hospitäler im Ausland zu besuchen“, schrieb Schneider in einem Sonderdruck der Fachzeitschrift „Der Nervenarzt“. Man wolle Erfahrungen sammeln und neue Impulse mitnehmen. Vor einigen Monaten habe er die Clínica Mental de Jesús in Palma besuchen können. „Ich war beeindruckt vom vorbildlichen Ambiente und den modernen Einrichtungen dieses Instituts, das mich stark an mein früheres Gütersloh erinnerte.“

Am meisten Freude habe er aber verspürt, als man ihm jene Gedenktafel gezeigt habe. „Auch wenn das Werk von Hermann Simon heutzutage einigermaßen wertgeschätzt wird, können wir sehr stolz auf diese Gedenktafel sein“, notiert der Psychiater. „Sie wurde in einer Zeit angebracht, als es noch recht unangebracht war, über einen deutschen Verdienst zu sprechen und diesen anzuerkennen.“

Hier auf Mallorca sei das mit dem Namen Simon so eng verbundene Konzept der Arbeitstherapie korrekt interpretiert und mit der Zeit mit weiteren Behandlungen ergänzt worden. „Soweit ich weiß, existiert in seiner eigenen Heimat kein derartiges, steinernes Zeugnis zu Ehren Simons.“ Und der Bericht schließt mit den Worten: „Sowohl ich als auch sicherlich viele deutsche Psychiater werden unendlich dankbar dafür sein, dass einem unserer herausragenden Mediziner auf so ehrenhafte Weise gedacht wird.“

Arbeitstherapie in Palma

Widerhall finden diese euphorischen Worte auch auf der Insel. Der damalige Leiter der Clínica Mental de Jesús in Palma, Jaime Escalas, nimmt eine spanische Übersetzung davon noch im selben Jahr in eine Chronik auf. Die Insel werde jährlich von rund einer Million Urlauber besucht, und so komme es, dass auch immer wieder ausländische Kollegen vorbeischauten, die wissen wollten, wie man die balearischen Patienten behandle, schreibt Escalas zur Einleitung des Berichts von Schneider.

In der Chronik finden sich denn auch Schilderungen über die laborterapia, die verstehen lassen, warum auf der Insel das Konzept der Arbeitstherapie von Simon bewundert wurde. Schon kurz nach Gründung von Palmas Irrenanstalt im Jahr 1911 wurden Arbeitseinsätze vor allem in der Landwirtschaft verschrieben. „Man wählte die ruhigsten Patienten aus, ungefähr die Hälfte“, schreibt Escalas. Ab den 1940-er Jahren setzte eine Art Spezialisierung ein, es gab Tischler, Mechaniker, Gärtner, Elektriker. Und Ende der 1950er errichteten die Patienten sogar ein neues Gebäude für die „medizinische Behandlung männlicher Insassen“. Escalas schwärmt davon, wie unbürokratisch dies die Provinzialregierung genehmigt habe, sowie auch von der enormen Kostenersparnis. Ein 600-Quadratmeter-Komplex sei in fünf Jahren letztendlich zum Nullkostenpreis errichtet worden.

Mehrere Jahrzehnte und Reformen später gibt es statt Arbeitstherapie vielmehr Werkstätten wie etwa Töpfereien oder Gärtnereien, die Patienten werden entlohnt, wie Oberguggenberger erklärt. Und die Gedenktafel sei ein historisches Zeugnis, das möglichst viele Besucher vor Ort im künftig öffentlichen Park in Augenschein nehmen sollten.