Margalida Vinyes lebt zwischen Weinbergen (vinyars) und malt Comics (vinyetes). Das Zusammenspiel von Name, Ort und Tätigkeit findet die Künstlerin immer wieder amüsant, und auch Freunde in Binissalem, wo die Palmesanerin seit vielen Jahren wohnt, lachen gern darüber. Tatsächlich ist Vinyes´ Leben stimmig, was nicht gleichbedeutend ist mit einfach. Sie wohnt in einem alten, selbst renovierten Haus an einem holperigen Wirtschaftsweg, der irgendwann bei Sencelles endet - tiefstes, fruchtbares Land, mit Weinbergen, Mandelplantagen und Feldern.

Das Haus ist versteckt hinter einem grünen Tor und hoch gewachsenen Pflanzen. Ein neu getünchter Wasserspeicher, ein safareig ist da, weiter hinten auf dem verwilderten Grundstück steht ein weiteres kleines Häuschen. Auch das Wohnhaus selbst ist nicht allzu groß. Der Wohn- und Essraum ist zugleich der Eingangsbereich. Links neben der Haustür geht eine schmale Treppe zur selbst eingezogenen Halbetage hinauf: Dort oben, unter der Dachschräge und über dem Ort, wo sich das Familienleben abspielt, arbeitet Vinyes: zwei große Bildschirme, ein schräg gestellter Zeichentisch, ein Bücherregal, helle Lampen, Papierbögen und -blocks, auf denen Skizzen und Drucke zu sehen sind.Zwischen Leidenschaft und Pflicht

Heraus ragen die Bilder der Reihe mit der schwarzen Katze Gigi. Sie ist halb Frau, halb Felidae, trägt mal ein keckes Hütchen zwischen den spitzen Ohren, mal ein eng gebundenes Tuch um den schlanken Hals, mal blickt sie einem Totenkopf tief in die Augenhöhlen, mal schaut sie einer Schwalbe nach, die über ihrem Kopf dahinzieht. Gigis bläuliche Schwärze, ihre gelben Augen beunruhigen, berühren.

Gigi erzählt vom Dasein der Frauen, vom Dilemma, das die Unentschiedenheit darstellt zwischen Leidenschaft und Pflicht, Abenteuer und Sicherheit, Hingabe und Selbstkontrolle. Die Bilder von Gigi sind auf der Insel mittlerweile bekannt, sie verkaufen sich gut, auf Kunsthandwerksmärkten zum Beispiel, wo Mallorcas Comic-Cluster Stände betreibt, oder direkt bei der Künstlerin.

Ein ewiger Balanceakt

„Meine besten Arbeiten sind die, die aus eigenen Erlebnissen entstehen", sagt Vinyes zur Gigi-Serie. Sie kennt die inneren Zustände der Figur gut. Gigi steht ihr nah: Sie ist Margalida Vinyes´ Katze und begleitet sie seit Jahren durch den Alltag.

Der ist intensiv: Die 46-Jährige ist alleinerziehende Mutter zweier Töchter und lebt in einem ewigen Balanceakt. Vor fünf Jahren hat sie sich selbstständig gemacht: Ihren Job als Designerin beim Balearischen Institut zur Förderung von Wirtschaft, Industrie und Handel (IDI) verlor sie im Zug der Sparmaßnahmen unter der Vorgängerregierung. „Ich hatte plötzlich viel Zeit", sagt sie lachend, „und erst mal die Sicherheit des Arbeitslosengeldes."

Die Geschichte der Catalina Fiol

Also machte sie sich an ihr bislang persönlichstes Projekt: Eine Graphic Novel rund um eine in Binissalem bekannte und beliebte Frau, die betagte Catalina Fiol. Fiols Familie habe Vinyes „adoptiert" und sie ins Dorfleben integriert, erzählt die Illustratorin. Als die Zugezogene dann immer mehr vom Leben der Köchin erfuhr, war sie von dem Projekt, ein Buch zu veröffentlichen, das deren Geschichte und deren Rezepte vereint, begeistert. Der Verlag Disset Edicions, ebenfalls in Binissalem angesiedelt, unterstützte das Vorhaben.

„Catalina. La cuinera de l´Òpera" ­vermittelt mallorquinische Traditionsrezepte, verfasst von der Co-Autorin Xesca Gomila. Und Vinyes erzählt mit klaren Linien und wenigen Worten das Leben einer Frau, die auch für den Wandel Mallorcas steht: Catalina Fiol wurde jung Witwe, zog allein sechs Kinder auf, kochte jahrelang im Restaurant l´Ópera in Palma. Dabei durchlebte sie die harte Zeit nach dem Bürgerkrieg und später die Ankunft des Tourismus sowie den sozialen Wandel, den er mit sich brachte.Lokal und universell zugleich

2015 erschien das Buch auf Katalanisch, nun wird gerade verhandelt, ob es auf Spanisch und Englisch erscheinen soll. „Catalinas Geschichte ist lokal und universell zugleich", sagt Vinyes, „Frauen wie sie gibt es überall." Für Vinyes war die Hommage an Catalina Fiol auch ein beruflicher Kick. Das Buch machte sie als freischaffende Autorin bekannt. Die Präsentation in Can Gelabert war die erfolgreichste Veranstaltung in der Geschichte des Kulturzentrums. „Es war rappelvoll, manche mussten draußen bleiben," erzählt Vinyes strahlend.

Ansonsten nimmt sie Aufträge jeder Art an, Gestaltung von Marken und Kampagnen, von Plakaten und Buchcovern, von Apps oder Katalogen ... Arbeiten, die sie mit tadelloser Technik und mit ihrem sauberen, reduzierten Stil bearbeitet und mit dieser narrativen Fülle ausstattet, die Vinyes´ Arbeit zu eigen ist.Aufs Leben zurückgreifen

Dabei greift sei zurück auf Fertigkeiten aus dem Studium an der Escola d´Art i Superior de Disseny de les Illes Balears und auf ihre Erfahrung aus mehr als 20 Jahren Berufstätigkeit. Vor allem aber greift sie zurück auf das Leben. In vielen Arbeiten erkennt man die Autorin. Eine ihrer Leidenschaften gilt dem Naturstrand Es Trenc. Frühmorgens fährt sie dorthin, allein oder mit einer Freundin, genießt die Stille und die Natur. Aus dieser Erfahrung ist ihr Beitrag zu dem Buch „La costa de Mallorca. Interpretada por nuestros ilustradores" entstanden.

Ein Sammelband, der Mallorcas Küste in Comics von hiesigen Autoren vorstellt: Vinyes´ Sequenz zeigt Es Trenc, eine nackt badende Freundin, einen Schwertfisch. „Niu d´humana felicitat" steht auf einem der Geschützbunker (Hort menschlichen Glücks). Die Kraft des Erlebten strahlen auch die Bilder aus. Sie verbinden Leidenschaft mit Technik.

„Seitdem ich freiberuflich arbeite, bin ich mehr ich", sagt Vinyes und blickt auf ihre Arbeiten. Und sie verbringt mehr Zeit zu Hause. Das findet auch Gigi gut, die in diesem Moment aus dem Nichts auftaucht und um die Beine ihrer Besitzerin streicht.

margalidavinyes.wixsite.com/portfolio

MZ-Serie über die Inselzeichner

Bei den Recherchen zur insgesamt achtteiligen Serie der Mallorca Zeitung über die Illustratoren der Insel, trafen sich die MZ-Redakteure mit folgenden Zeichnern: Hannah Bonner, Aina Bestard, Canizales, Flavia Gargiulio, Gerard Armengol, Francesc Grimalt, Margalida Vinyes und Florentino Flórez.