Egal ob Matias Colom* (Name von der Redaktion geändert) in der Schlange an der Supermarkt-Kasse steht oder in einem Restaurant sitzt – er hat immer nur Augen für eine Sache: die Haare der anwesenden Männer. Wie ist das Haar beschaffen? Wie weit nach hinten gehen die Geheimratsecken? Hat da wer nachgeholfen oder trotz vorangeschrittenen Alters wirklich so volles Haar? Wenn der Haaransatz bei einem Mann unnatürlich weit vorne beginnt, kann das auf eine Haartransplantation hindeuten, weiß Colom. Er, ein Bekannter der Redakteurin, ist regelrecht besessen von dem Thema. „Freunde von mir haben Komplexe, weil sie nicht besonders groß sind. Mein wunder Punkt sind meine Haare“, gibt der 41-jährige Mallorquiner unumwunden zu. Wenn sein Gegenüber ihm nur eine Sekunde zu lange auf die Haare schaut, fühle er sich sofort unwohl.

Zur Transplantation in die Türkei

„Viele Männer sind wegen ihrer Geheimratsecken besorgt, doch die sind nicht mein Hauptproblem“, sagt Colom. Vielmehr stört er sich an fehlendem Haar an der Oberseite seines Kopfes. Vergangenes Jahr habe er in kurzer Zeit besonders viele Haare verloren. Der Wunsch, endlich etwas dagegen zu unternehmen, wurde immer stärker. „Ich wusste schon immer, dass ich mich, sobald es notwendig ist, einer OP unterziehen werde.“

Sein Bruder sei einer der Ersten in seinem Umfeld gewesen, der sich operieren ließ. Das war 2009 in Belgien. „Damals gab es nur sehr wenig Orte, die zu einem erschwinglichen Preis Haartransplantationen anboten“, erzählt Colom. Ein paar Jahre später sind dann insbesondere in Istanbul mehr und mehr Kliniken entstanden. „Die türkische Regierung unterstützt Kliniken und Hotels, die Touristen aus dem Ausland behandeln, finanziell“, sagt Colom. Sich günstiger als im Heimatland die Haare machen lassen und nebenbei noch das Land anschauen – in der Türkei ist da ein ganz neuer Zweig des Gesundheitstourismus entstanden.

In Spanien deutlich teurer

In Spanien ist der Eingriff je nach Anzahl der sogenannten follikulären Einheiten, die die Haare produzieren, mit rund 5.000 Euro meist deutlich teurer als die Pakete, die Ärzte in der Türkei anbieten. Zudem gibt es bei hiesigen renommierten Dermatologen Wartelisten. Javier Forteza, der als einer der Pioniere auf diesem Gebiet in Spanien seit 30 Jahren Haartransplantationen durchführt, vergibt in Palma derzeit Termine für März. In Barcelona, wo er ebenfalls tätig ist, müssen Patienten aktuell bis Mai warten. Die Nachfrage sei deutlich höher als noch vor einigen Jahren. Der Großteil seiner männlichen Kunden käme ab einem Alter von 35 Jahren zu ihm, sagt Forteza.

Preis je nach follikulären Einheiten

Der 41-Jährige Colom hat sich erst ein paar Jahre später für die OP entschieden, in der Türkei. Er nutzte dafür eine ohnehin bewilligte excedencia, also unbezahlten Urlaub. Die beste Jahreszeit für die Operation ist der Winter. „Nach dem Eingriff soll keine Sonne auf die Kopfhaut kommen, man darf zudem nicht im Meer baden“, erklärt Colom, der als Verwaltungsangestellter arbeitet. Mitte Dezember 2022 war es für ihn so weit. Zusammen mit seiner Freundin flog er in die Türkei, um sich dort seinen Haartraum zu erfüllen. Er entschied sich für ein Paket, das drei Hotelübernachtungen enthielt sowie die Transfers zum und vom Flughafen, dem Hotel und der Klinik und natürlich den Eingriff sowie einzunehmende Medikamente und Spezial-Shampoos. Die Preise variieren je nach gewünschter Haarmenge sowie den benötigten Operationstagen. Coloms Paket beinhaltete maximal 5.500 Follikel-Gruppierungen und einen auf zwei Tage aufgeteilten Eingriff. Dafür zahlte er 3.500 Euro. „Hätte ich das Paket mit 4.000 follikulären Einheiten und nur einem Operationstag genommen, wäre es billiger gewesen“, erklärt er.

Haare vom Hinterkopf, vom Bart oder von der Brust

Entnommen werden die Haarorgane oft am unteren Hinterkopf oder auch hinter der Schläfe. Außerdem wird bei dem Eingriff die Kopfhaut häufig mit Haarfollikeln ergänzt, die von Bartwuchs und Brust stammen. Was realistisch ist, hängt letztlich von der generellen Behaarung eines jeden Einzelnen ab.

Schon Tage vor der OP steigt bei Colom die Aufregung. „Nur meine Familie wusste von der Reise.“ Nach ein bisschen Sightseeing am Anreisetag legt er mit dem behandelnden Arzt zuerst fest, wo der Haaransatz beginnen soll. Er will, dass es so natürlich wie möglich aussieht. Der erste Eingriff dauert sechseinhalb Stunden und schmerzt kaum. Schlafen kann Colom danach nur im Sitzen, um die sensible Spenderzone zu schützen. Am nächsten Tag liegt er weitere siebeneinhalb Stunden auf dem OP-Tisch.

Rund sechs Wochen nach den beiden OPs zeigt sich Colom der Redakteurin bei einem Videogespräch. Seine Haare sind noch recht kurz. Trotzdem sieht sein Gesicht ganz anders aus – Haare machen eben doch einiges aus. „Es scheint, dass alles nach Plan verläuft“, sagt Matias Colom. „Ob ich mit dem Endergebnis zufrieden bin, kann ich aber erst in einigen Monaten sagen“, so Colom.

Neue Haare, neuer Mensch

Davon dass Haare einen zu einem ganz anderen Menschen machen können, kann auch der Mallorquiner Juan Manuel Fernández ein Lied singen. Im Oktober 2018, mit damals gerade einmal 24 Jahren, ließ er sich ebenfalls in Istanbul operieren. Er sei mit dem Ergebnis „so was von zufrieden“, meint er, und man sieht ihm an, dass das nicht gelogen ist. Das Aussehen ist ihm vielleicht auch deswegen so wichtig, weil er als Komiker regelmäßig auf der Bühne steht.

Nach einer längeren beruflich wie privaten Stressphase sei er damals eines Tages im Bett aufgewacht und habe mit Schrecken die vielen ausgefallenen Haare auf seinem Kissen entdeckt. „Ich habe mir meine Haare daraufhin nicht mehr nach hinten gekämmt, damit man bloß nichts sieht, sondern sie mir direkt abrasiert“, erzählt der gelernte Programmierer. Während seine Freunde noch nicht mit Haarproblemen zu tun hatten, schmückte seinen Kopf mit noch nicht einmal Mitte 20 fast eine Glatze.

Juan Manuel Fernández bei einer Comedy-Show im Jahr 2016. Juan Manuel Fernández

Wie der Bekannte

Auf die Idee mit der Haartransplantation brachte ihn seine Schwester, die von einem Bekannten erzählte, bei dem die Operation erfolgreich gewesen war. Fernández beschloss, es ihm nachzutun. Er zahlte damals 1.600 Euro für vier Übernachtungen in einem Fünf-Sterne-Hotel, einen Übersetzer und einen Eingriff mit 4.000 follikulären Einheiten. Die Flugtickets waren nicht dabei. Hierzulande hätte er zu diesem Zeitpunkt für die Hälfte des Haares wohl das Doppelte bezahlen müssen.

In einer ersten Phase nach der Operation seien ihm alle verbliebenen Haare ausgefallen, erzählt er. „Da bin ich natürlich erschrocken. Ich wollte am liebsten sofort ein Ergebnis sehen.“ Vier Monate später aber habe er sich genauer im Spiegel betrachtet und kaum glauben können, welche Haarpracht da heranwuchs. „Es war wie Magie. Ich hatte gehofft, dass es funktioniert, aber so gut ...“ Auch seine Freunde waren beeindruckt. Seither hätten sich vier von ihnen in derselben Klinik operieren lassen“, sagt der mittlerweile 30-Jährige.

Juan Manuel Fernández beim MZ-Interview in Portixol Nele Bendgens

Beamten erkennen ihn nicht

In seinem Fall war der optische Unterschied so auffällig, dass er sich auf einmal bei so manchem Behördengang rechtfertigen musste. Die Beamten erkannten ihn auf dem Foto seines Ausweises nicht mehr. „Ich habe mir die Haare machen lassen“, gab er dann ohne Scham zu. Auch über eine Geschichte, die sich auf Menorca zutrug, muss er heute noch schmunzeln. Ein Restaurant-Betreiber hatte im Netz ein Comedy-Video von ihm mit Fast-Glatze gesehen und ihn daraufhin für eine Show engagiert. Also flog Fernández auf die Nachbarinsel und stellte sich dort vor. Man bat ihn, zunächst wie ein Gast Platz zu nehmen. „Als nach über einer halben Stunde niemand zu mir kam, bin ich aufgestanden und habe noch einmal gesagt ‚Ich bin Juma, der, der heute Abend die Show macht‘“, erzählt Fernández. Der Besitzer habe ihn einfach nicht erkannt. Der Mallorquiner bezieht das haarige Thema mittlerweile in seinen Shows mit ein.

Nach der OP zur Nachsorge

Auch der Designer und Dozent Antonio Fernández Coca geht gegenüber seinen Studenten ganz offen mit seinem neuen Aussehen um. „Das ist die beste Art, um nicht dumm dazustehen und blöde Kommentare hören zu müssen. Ich mache selbst Witze über meine Haare“, sagt der gebürtige Festland-Spanier, der seit mehr als 30 Jahren auf Mallorca lebt. Er habe sich im Vorfeld der Transplantation lediglich gewünscht, dass seine Haare danach gut und nicht unnatürlich aussehen, und dass er das Ärzteteam gut versteht. Dafür habe er auch gerne 5.000 Euro gezahlt.

Antonio Fernandez Coca beim MZ-Interview. Nele Bendgens

Der mittlerweile 56-Jährige entschied sich vor drei Jahren, den Eingriff auf dem spanischen Festland vornehmen zu lassen – bei Javier Forteza. Das habe auch Vorteile bei der Nachsorge. „Wer sich die Brüste machen lässt, muss auch nach ein paar Jahren checken lassen, ob das Silikon noch sitzt“, scherzt Fernández Coca. Alle drei Monate berät er sich mit Forteza, welche Vitamine und Medikamente er nehmen muss. Bevor die Fotografin ihn ablichtet, geht er kurz zur Toilette. „Ich habe meine Haare nicht angefasst“, schwört er nach seiner Rückkehr und grinst. Wir glauben es ihm mal.