„No Sóller Train!“ steht in schwarzen Großbuchstaben auf einem Blatt Papier, das hinter einer Glasscheibe am Schalter in der Estació Intermodal an der Plaça d’Espanya in Palma klebt. „Mindestens zehn Urlauber jeden Tag verlaufen sich und fragen uns, wo der Ferrocarril de Sóller sei, der Bahnhof, an dem die nostalgische Holzeisenbahn Richtung Norden startet“, sagt Andrés, der an diesem Sonntagmorgen die Fahrkarten für den Zug von Palma nach Manacor verkauft – und da Andrés von den unbelehrbaren Fremden, die er und seine Kollegen dauernd abwimmeln müssen, offenbar ziemlich genervt ist, seufzt er achselzuckend, als ich ihm die 4,50 Euro für die einfache Fahrt mit der rechten Hand durch den Schlitz unter der Scheibe schiebe. Gemeldete Bewohner der Insel dürfen – wie seit dem 1. September 2022 auch anderswo in Spanien – umsonst mit dem Regionalzug fahren. Ich wohne leider erst seit Kurzem hier und muss wie jeder Tourist mein Ticket bezahlen.

Die Waggons sind angenehm kühl

Mit der schicken historischen Eisenbahn aus dem Jahr 1912, mit der einst Zitrusfrüchte aus dem Sóller-Tal in die Balearen-Hauptstadt transportiert wurden, kann der moderne Zug der „Serveis Ferroviaris de Mallorca“ optisch nicht mithalten. Von außen sieht er schon recht in die Jahre gekommen und etwas mitgenommen aus; eine dunkelgraue Schmutzschicht klebt auf den Türen. Kein Wunder, immerhin rattert dieser Zug ja auch jede Stunde von der Hauptstadt aus quer durchs staubige Inselinnere und zurück. Innen ist der Zug sauber, und durch die Klimaanlage ist es bei den gefühlten 40 Grad Außentemperatur angenehm kühl.

Die Polster der linken Sitzreihen sind rot, die der rechten blau. Nach den ersten Stationen, an denen hässliche Betonmauern vor den Fenstern vorbeiziehen, die von oben bis unten mit Graffitis besprüht sind, wird es ländlicher und grüner. Einfamilienhäuser mit Gärten tauchen auf. Hunde dösen im Schatten. Als der Zug in Marratxí stoppt, kräht irgendwo draußen ein Hahn. Ein paar Reisende unterhalten sich, manche lesen, andere hören Musik oder schlafen. So gut wie alle Passagiere – und genau das ist das Schöne – sind auf dieser Tour Inselbewohner. Sie fahren in die Dörfer, die auf der Strecke liegen, beispielsweise nach Santa Maria, wo jeden Sonntag zwischen 9 und 14 Uhr ein populärer Markt stattfindet. Nach Alaró, Binissalem oder nach Lloseta, am Fuße der Serra de Tramuntana. Die schöne Natur entspannt meine müden Augen. Am liebsten würde ich den ganzen Tag in diesem klimatisierten Zug bleiben und auf Olivenhaine, Weinfelder und die Gipfel der Tramuntana blicken.

Heuballen nahe Sineu. Archivbild: Rosa Ferriol

Sineu ist einen Stopp wert

In Sineu steige ich aus. In letzter Minute springe ich spontan durch die Tür, die sich nach einem schrillen Pfiff bereits langsam zu schließen beginnt. Durch enge Kopfsteinpflastergassen schlendere ich zum Palau Reial de Sineu, einem Königspalast, der seit 2016 ein leeres Kloster ist. König Jaume II ließ den Palast 1310 bauen, als Sineu kurzzeitig die Hauptstadt von Mallorca war. Zwei Großmütter in ihren feinen, geblümten Sonntagskleidern kommen mir entgegen, sie plaudern über ihre Enkel und scherzen über den heißen Juliwind. „Der fühlt sich heute an wie mein Föhn, dabei war ich doch letzte Woche erst beim Friseur“, sagt eine und lacht verschmitzt.

Am Wochenende ist es in Sineu beschaulich. Ein paar Kinder schaukeln auf dem Spielplatz am Ortseingang, sonst sind nur wenige Bewohner unterwegs, es ist tagsüber viel zu heiß. Eingekauft wird in diesem Dorf nicht nur im Supermarkt, sondern unter anderem in der „Carnisseria Felip“, einer Metzgerei, die Fleisch aus der Umgebung anbietet. An den Plätzen gibt es nette Bars, in denen Besucher und Bewohner aufeinandertreffen. Besonders gut gefällt mir die Iglesia de Nuestra Señora de los Ángeles, eine Kirche, in der klassische Musik läuft und das Sonnenlicht durch bunte Mosaikfenster scheint. Ich setze mich eine halbe Stunde auf eine Bank und bin, gegen 14 Uhr nachmittags, die einzige Person im Raum. Die Mallorquiner machen Siesta.

Auf der Fahrt etwas über Windmühlen erfahren

Nach einer Stunde steige ich wieder in den Zug nach Manacor und muss vorher am Automaten eine neue Fahrkarte zum Preis von 2,70 Euro lösen. Mit dem QR-Code, der auf jedem Ticket abgedruckt ist, darf man nur ein Mal die Eingangs- und die Ausgangssperre an den Stationen passieren. Das hatte mir der nette Andrés am Bahnhof in Palma leider nicht erklärt. Manacor ist der wirtschaftliche Mittelpunkt im Osten der Insel. Zu den Stränden in der Umgebung kommt man zwar wesentlich stressfreier mit dem Mietwagen, aber wer durch die zweitgrößte Stadt auf Mallorca bummeln oder dort essen gehen will, kann problemlos den Zug nehmen – und begegnet unterwegs mit etwas Glück netten Mitreisenden.

Mich spricht ein Lehrer an. Wir trinken einen Kaffee in einer Bar, sprechen über katalanische Künstler und über Windmühlen. Bevor ich nach Palma kam, hatte ich mir überlegt, in eine renovierte Mühle in Manacor zu ziehen. Etwa 3.300 dieser Bauwerke gibt es noch auf Mallorca. Perser sollen sie im 7. Jahrhundert entwickelt und im Mittelmeerraum verbreitet haben. Auf der Insel gibt es sie seit dem 13. Jahrhundert.

Um 16 Uhr laufe ich zum Bahnhof von Manacor und warte dort 20 Minuten auf den Zug nach Palma. Wer hitzeempfindlich ist, muss vorsichtig sein und sollte sich von Juni bis September über den Fahrplan informieren, denn nicht an jeder Station gibt es Dächer, die Schatten spenden, unter denen man es aushält. An der Estació Intermodal schaue ich noch mal kurz am Schalter vorbei und suche Andrés, der schon Feierabend hat. Vielleicht sehen wir uns bei meiner nächsten kostenlosen Fahrt wieder.