Nach Jahren des Wartens: Mallorcas musikalisches Wunderkind Júlia Colom veröffentlicht ihr erstes Album

Die aus Valldemossa stammende Sängerin hat ihr lang erwartetes Erstlingswerk „Miramar“ publiziert

Cover von Júlia Coloms „Miramar“, erschienen bei „La Castanya“.   | FOTO: LA CASTANYA

Cover von Júlia Coloms „Miramar“, erschienen bei „La Castanya“. | FOTO: LA CASTANYA / Patrick Schirmer Sastre

Patrick Schirmer Sastre

Patrick Schirmer Sastre

Eigentlich sind Karrieren wie die von Júlia Colom nicht möglich. Weil sie der Logik widersprechen, mit der die grauen Herren die Musikindustrie leiten. Seit Jahren – die MZ berichtete erstmals 2016 über sie – gilt die junge Frau als größtes Talent der mallorquinischen Musikszene.

Eine einzigartige Stimme, ein unvergleichliches musikalisches Charisma, versiert in verschiedenen Stilrichtungen. Sie ist schon in der halben Welt von Schottland bis Indien aufgetreten, Anfang des Jahres etwa auch beim renommierten SXSW-Festival im texanischen Austin. Vor drei Jahren erschien sogar ein erster Dokumentarfilm über die Sängerin, erzählte von ihrem Alltag als aufstrebende Künstlerin, zwischen dem Studium in Barcelona und der Heimat Mallorca.

Wohnzimmer-Session mit Damien Rice

Selbst internationale Künstler nahmen schon vor Jahren von ihr Notiz, etwa der irische Liedermacher Damien Rice, der einen Aufenthalt auf Mallorca für einen Besuch zum Abendessen und eine kleine Jamsession im Colom’schen Wohnzimmer nutzte. Man konnte ohne Lug und Trug behaupten, dass Júlia Colom für alle, die sich auf Mallorca für Musik interessieren, ein durchaus bekannter Name war.

Nur eines gab es von der heute 25-Jährigen so selten, dass man eigentlich schon behaupten könnte, nie: Musik. Das Spotify-Profil gähnend leer, auf Youtube ein paar Videos von Live-Auftritten. Nur auf Soundcloud konnte man seit August 2020 die durchaus gelungene Eigenkomposition „Ben Aprop“ zusammen mit DJ Nin Petit finden. Erst ab November 2021 tröpfelten nach und nach Singles herein, die nun Teil des gerade erschienenen Albums „Miramar“ sind.

Welche Júlia Colom wird man erleben?

Doch selbst mit diesen ersten Songs war noch nicht ganz klar, welche Júlia Colom man erleben würde, wenn sie einmal ein Album veröffentlichen würde. Diejenige, die mit Gänsehaut verursachender Stimme den Sibyllengesang aufführt? Die Colom, die – wie in der Doku zu sehen ist – mit älteren Leuten am Tisch sitzt und von ihnen Lieder lernt, die man früher auf dem Feld gesungen hat? Die Jazz-Júlia-Colom, die bisweilen mit einem Quartett aufgetreten war? Oder vielleicht die eher „poppige“ Colom, die mit zu Cornrolls geflochtenen Haaren auf der Bühne steht und Britney Spears covert?

Nun, wo „Miramar“ als Vinyl und auf Streaming-Plattformen verfügbar ist, weiß man: Es ist ein wenig von allem. Von den zehn Liedern des Albums sind drei Versionen von traditionellen mallorquinischen Liedern, darunter der Album-Opener „Que m’abrasava“ und das letzte Stück „Tonada de collir figues“. Diese Nähe zum Volkslied der Insel ist ein essenzieller Teil der musikalischen Identität Coloms, die sie im Laufe der vergangenen Jahre auch in unzähligen Gesprächen mit älteren Menschen vertieft hat.

Die traditionellen Melodien im Körper

Dass sich dieser Einfluss verfestigt hat, merkt man auch in Eigenkompositionen wie „Olivera“, die man leicht für ein weiteres überliefertes Lied halten könnte. In einem Gespräch mit der Zeitung „Ara Balears“ erklärte Colom, dass sie diese traditionellen Melodien, die sie ein ganzes Leben begleitet haben, in ihrem Körper trage.

Aber die junge Sängerin belässt es nicht bei diesen zeitlosen Klängen. Auf der Reise durch das Album, in dem die Akustikgitarre und die Stimme im Vordergrund stehen, begegnet einem etwa das poppige, von mehrstimmigem Gesang geprägte „Ella i ell“. Oder das mehr in eine elektronische Richtung abdriftende „Estròfica“, das von seiner Mischung aus höchst unterschiedlichen musikalischen Ideen lebt und in dem sich Melodie mit Sprechgesang abwechseln. Bei Erscheinen der Single im vergangenen Oktober hatte Colom erklärt, es sei ihr Versuch, eine eigene Version des Sibyllengesangs zu schaffen.

Der Sibyllengesang

Das auf Mallorca vor allem zu Weihnachten gesungene Lied gehört zu den frühesten Erinnerungen der jungen Frau aus Valldemossa, die den Gesang von ihrem Großvater gelernt hat. „Mir war klar, dass der Sibyllengesang auf meinem ersten Album vertreten sein muss“, erklärte sie damals auf Social Media. „Ich habe mir beim Komponieren das gleiche Ende der Welt vorgestellt, wollte aber ergänzen, dass es keine Hölle für diejenigen gibt, die Böses tun und keinen Himmel für die, die Gutes tun.“

„Estròfica“ gehört sicherlich zu den stärkeren Songs des Albums und könnte eine Antwort auf eine Frage sein, die sich unmittelbar mit diesem Album stellt: Wie geht es danach weiter?

Den Weg frei machen

Denn für viele Musiker ist ihr erstes Album eine Art Beginn für eine neue Phase, in der sie mit ihrem Schaffen endlich in die Öffentlichkeit treten. Aber Júlia Colom hat diese erste Phase zum größeren Teil zumindest auf Mallorca vergleichsweise öffentlich ausgelebt. Ist dieses Album vielleicht mehr ein Abschluss einer Etappe, die den Weg frei macht für neue Projekte? In Interviews nach der Veröffentlichung erklärte sie, dass sie langsam ein Album gebraucht habe, weil viele Türen, die ihr in den vergangenen Jahren offenstanden, sich zu schließen begannen. Zumindest, wenn sie keine veröffentliche Musik vorzuweisen hat.

Dieses Drucks dürfte sie sich vorerst entledigt haben. Im besten Fall hat sie nun die Chance, sich wirklich auszuprobieren, ihr musikalisches Potenzial weiter auszubauen. Zu wünschen wäre es ihr.