Déjà-vu in Valldemossa: "Der Pole" von Nobelpreisträger J. M. Coetzee spielt auch auf Mallorca

Ein polnischer Pianist und eine unerfüllte Liebe auf Mallorca: Coetzees neuer Roman erzählt eine alte Geschichte. Eine Besprechung

J. M. Coetzee (Kapstadt, 1940) erhielt 2003 den Nobelpreis für Literatur. Das Bild stammt von 2014.

J. M. Coetzee (Kapstadt, 1940) erhielt 2003 den Nobelpreis für Literatur. Das Bild stammt von 2014. / Museo del Prado

Sabine Belz

Der polnische Pianist Witold, genannt „der Pole“ wegen seines schwierigen Nachnamens, verliebt sich auf einer Konzertreise nach Barcelona in die verheiratete Beatriz. Aber der 20 Jahre Jüngeren gefällt weder seine Chopin-Interpretation – zu spröde, zu trocken – noch der Künstler selbst.

Sein Englisch ist brüchig, sie spricht kein Französisch, er kein Spanisch, man missversteht sich in jeder Hinsicht. Er verehrt sie in einer Weise, die sie als unpassend empfindet, einen Vergleich mit der Beatrice von Dante lehnt sie ab. Dennoch trifft sie sich wieder mit ihm und lädt ihn schließlich sogar in ihr Sommerhaus in Sóller ein, denn er gibt ein Konzert in Valldemossa (natürlich: ein polnischer Pianist spielt in Valldemossa Chopin!).

Gedichte der Verehrung und Liebe

Sie verbringen einige Tage und auch Nächte miteinander, dann schickt sie ihn weg, endgültig. Zurückgekehrt nach Polen schreibt er ihr, aber sie löscht seine Nachrichten, ohne sie zu lesen oder gar zu antworten.

Viel später erfährt sie durch einen Anruf seiner Tochter, dass er gestorben ist und etwas für sie hinterlassen hat, einen Karton in seiner Wohnung in Warschau. Es sind Briefe, Gedichte auf Polnisch an sie, die sie sich übersetzen lässt. Gedichte der Verehrung und Liebe, intime Gedichte. Jetzt reagiert Beatriz und schreibt dem Toten einen Brief, dann einen zweiten. Hat sie am Ende seine Liebe angenommen? So weit die Geschichte selbst.

Mehr Novelle als Roman

J. M. Coetzee, 1940 in Südafrika geborener und in Australien lebender Nobelpreis-Autor, erzählt diese Novelle, die der Verlag trotz seiner Kürze von 145 Seiten „Roman“ nennt, als Ich-Erzähler aus der Perspektive von Beatriz. Die gutbügerliche Ehefrau aus Barcelona vertreibt sich ihre Zeit mit Kulturförderung, ein weitverbreitetes Phänomen, auf das der vielreisende Schriftsteller sicher öfter gestoßen ist. Man sagt Coetzee nach, das er in seinen Romanen Autobiografisches und Fiktionales mischt.

In Beatriz vermag er sich sehr genau hineinzuversetzen, auch in den von ihr verdrängten Konflikt zwischen verborgener Sehnsucht nach Bewunderung und dem unbedingtem Willen, den bürgerlichen Schein ihrer erstarrten Ehe aufrechtzuerhalten. Sie hat festgelegte Vorstellungen, wie sie verehrt werden möchte. Seine Art der Anbetung gefällt ihr nicht und der Leser fragt sich, warum sie sich dann doch auf ihn einlässt. Witold bleibt eher im Hintergrund, ein typischer Künstler in seiner eigenen Welt.

Spanien trifft auf Polen

Es sind nicht nur sprachliche Hürden, sondern auch aufeinandertreffende kulturelle Eigenheiten, die eine Annäherung stören: Spanien trifft auf Polen. Coetzee winkt hinüber zur unvermeidlichen Geschichte von George Sand und Chopin.

Die Einteilung des Textes in nummerierte Kapitel verstärkt den Eindruck der bemühten Versachlichung und gibt dem Text etwas Sprödes. Es ist eher eine Studie über die Unmöglichkeit, eine gemeinsame Sprache zu finden, als eine Liebesgeschichte. Beatriz gelingt es kaum, aus ihrer Erstarrung auszubrechen in eine Liebesaffäre, die sie eigentlich herbeisehnt; Witold, der letztlich abgewiesene Liebende, zieht sich in die Welt der Poesie zurück.

Man erinnert sich an die schon 1903 erschienene Novelle „Tristan“ von Thomas Mann, Nobelpreisträger von 1929, in der auf satirische Weise der Konflikt zwischen künstlerischer, dem Tode naher Geistigkeit und vitaler Bürgerlichkeit erzählt wird – als Parodie. Dagegen bleibt J. M. Coetzee in seiner etwas bürokratischen Studie über die Liebe in konventionellen Mustern gefangen.

J. M. Coetzee, "Der Pole", Simon Fischer Verlag, 144 Seiten, 20 Euro

J. M. Coetzee, "Der Pole", Simon Fischer Verlag, 144 Seiten, 20 Euro / Simon Fischer Verlag

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