Phänomen Miquel Barceló: Neue Einblicke in das Leben des Star-Künstlers von Mallorca

In seinem ersten Selbstporträt in literarischer Form lässt uns der Künstler in seine reiche Ideenwelt eintauchen

Miquel Barceló vor seinem Hausberg, porträtiert von der spanischen Fotografin Ouka Leele.

Miquel Barceló vor seinem Hausberg, porträtiert von der spanischen Fotografin Ouka Leele. / Ouka Leele

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

„Malen, schwimmen, lesen. Das ist es, was ich seit jeher tue. Aber ich schreibe auch. Manchmal. So wenig wie möglich, aber immer zu viel, wie es hier leider der Fall ist“, gesteht Miquel Barceló zum Einstieg in sein Buch „De la vida mía“. Schon vor 20 Jahren hatte die französische Schriftstellerin Colette Fellous sich bemüht, den weltberühmten Mallorquiner für dieses Projekt zu gewinnen. Doch erst jetzt hielt er den Moment für gekommen und lieferte einen Band für die Buchreihe „Traits et portraits“, die unter Fellous’ Leitung im Verlagshaus Mercure de France erscheint. Das Konzept: Texte und Bilder bilden hier gleichwertige Erzählstimmen, die zusammen außergewöhnliche Selbstporträts von Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur zeichnen.

Es fällt einem sehr leicht, in dieses farbenfrohe Poesiealbum einzutauchen, das vom Leben eines Ausnahmekünstlers erzählt: Auf 264 Seiten blättert man durch kommentierte Illustrationen und Fotografien, wichtige Etappen wie Paris, Mali oder die Kapelle in der Kathedrale von Palma und transkribierte Notizen aus Skizzenbüchern. Der 1957 in Felanitx – oder „Felanietzsche“, wie er den Ort als „prätentiöser junger Mann“ genannt habe – geborene Künstler erzählt spielerisch-intuitiv und unternimmt immer wieder Zeitsprünge, vorwärts und rückwärts.

Die Lektüre erinnert an den kleinen Prinzen

Unweigerlich muss man bei der Lektüre an den kleinen Prinzen denken. Zum einen, weil Miquel Barceló, für den ein perfekter Arbeitstag noch heute mit einem Bad im Meer endet, aus Überzeugung schreibt, wie wenig ihm die Welt der Erwachsenen zu bieten hat: „Malen ist mit der Kindheit verbunden. Es stimmt wahrscheinlich, dass man die wichtigsten Dinge vor dem zehnten Lebensjahr lernt“, gibt er zu Protokoll. Auf Mallorca habe er die Namen der Bäume, der Fische und der Vögel gelernt. In Mali glaubte er, die Welt seiner Kindheit wiederzufinden: „Ohne Meer, aber mit Höhlen und Klippen. Was ich mit zehn Jahren nicht begriffen hatte, lernte ich hier. Es war mein Militärdienst, meine Pensionierung, mein Abitur. Alles war intensiv.

Fische sind ein wiederkehrendes Motiv bei Miquel Barceló.

Fische sind ein wiederkehrendes Motiv bei Miquel Barceló. / Francesca Mantovani / Gallimard

Zum anderen erinnern Passagen über die Familie des Künstlers an Saint-Exupérys Kritik an den „großen Leuten“, die über neue Freunde niemals wesentliche Fragen stellen wie etwa: „Wie ist der Klang seiner Stimme? Welche Spiele liebt er am meisten? Sammelt er Schmetterlinge?“ Barceló konzentriert sich auf ebensolche wesentlichen Dinge. Die Beziehung zu seiner Mutter, die ihn einst an die Kunst herangeführt hatte, schildert er anhand gemeinsam geschaffener Werke, bei denen er selbst malte und seine Mutter stickte – das ist poetische und dazu noch reich illustrierte Zuneigung in Reinform.

Erkenntnisse und Erklärungen seines Fachgebiets

Überhaupt gelingt es dem Künstler, so warm und lebendig zu schreiben, dass man fast nicht bemerkt, wie hier in Wahrheit gar nicht so viel Persönliches preisgegeben wird. Zwar spricht er die schwierige Beziehung zu seinem Vater an, der mit seiner gebrochenen Nase „einen anständigen Frankenstein abgegeben hätte“. Doch den Grund, weshalb Vater und Sohn „über lange und schmerzhafte Jahre zerstritten“ waren, erfährt man hier nicht.

Hier malte der Künstler seinen Vater, zu dem er ein kompliziertes Verhältnis hatte.

Hier malte der Künstler seinen Vater, zu dem er ein kompliziertes Verhältnis hatte. / Francesca Mantovani / Gallimard

Dafür geizt Barceló nicht mit Erkenntnissen und Erklärungsversuchen seines Fachgebiets, wie: „Die Kunst ist nicht das Spiegelbild des Lebens, sie ist eine Lebensform, manchmal eine sehr seltsame“ oder: „Farbe ist Verlangen, sie ist nicht durchdacht. (…) Wie wenn du aufwachst und etwas brauchst, etwa eine Zitrone, brauchst du dann Ultramarinblau oder einen Farbakkord.“

Halb Billy the Kid, halb Ramon Llull

Auch Selbstreflexion ist reichlich vorhanden. So hielt Barceló beispielsweise 40 Jahre für ein hinreichend „ehrwürdiges Alter“, um in Mali „ein oder zwei“ Selbstporträts aus Terrakotta anzufertigen, „halb Billy the Kid, halb Ramon LLull. Oder halb Zicklein, halb altes Schwein.“ Barceló hat auch für die Außenwelt einen schwer greifbaren Charakter.

Wie nah man diesem Künstler, der mehr Phänomen ist, durch seine Autobiografie kommt, hängt vom Vermögen ab, zwischen den Zeilen zu lesen und beispielsweise die Fotos auf sich wirken zu lassen: Barceló, glücklich, mit den Händen tief in Sobrassada-Masse getaucht. Barceló, hoch konzentriert, in seinem „geliebten Astronauten-Anzug“, als er den Kuppelsaal im Genfer Palais des Nations in eine bunte Tropfsteinhöhle verwandelte. Barceló als ernster Knabe, mit einem Blick, der bis die Seele des Fotografen und des Betrachters zu dringen scheint. Er selbst kommentiert dazu nur: „Das bin ich, ich erkenne mich in diesem Bild wieder. Ich weiß genau, wo ich bin und warum. Das T-Shirt war orange.“

Aus seinem Leben: Miquel Barceló, "De la vida mía", auf Französisch, erschienen am 4. Januar in der Reihe "Traits et portraits" bei Mercure de France, 264 Seiten, 35 Euro, weitere Infos unter: mercuredefrance.fr

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