Entrevista | Mercè Gambús Kunsthistorikerin

"Die Kapelle von Barceló in der Kathedrale von Palma wäre heute unmöglich"

Mercè Gambús war über Jahre hinweg Chefkonservatorin in der Kathedrale von Palma. Nun geht die "Hüterin des Lichts" in den Unruhestand und zieht noch einmal Bilanz – auch über eigene Fehler

Mercè Gambús setzt sich als wissenschaftlich-technische Koordinatorin von La Seu zur Ruhe.

Mercè Gambús setzt sich als wissenschaftlich-technische Koordinatorin von La Seu zur Ruhe. / B.RAMON

Die Kunsthistorikerin Mercè Gambús setzt sich zur Ruhe. Im Alter von 70 Jahren hat die Expertin für religiöses Erbe und bisherige wissenschaftlich-technische Koordinatorin von Palmas Kathedrale La Seu ihre zahlreichen Aufgaben und Positionen aufgegeben, um weitere zwei Jahre als Forscherin und Mitarbeiterin an der Universität der Balearen (UIB) tätig zu sein. In ihre Dienstzeit fiel unter anderem 2007 die Gestaltung der Sankt-Peters-Kapelle mit mehr als 300 Keramikplatten durch den international bekannten mallorquinischen Künstler Miquel Barceló. Der lange sehr umstrittene Eingriff ist heute ein Publikumsmagnet.

Haben Sie sich schon an den Ruhestand gewöhnt?

Ich versuche, damit zurechtzukommen. Er verändert die Vorstellung der Zeit, die ich Aktivitäten widmen kann. Einerseits habe ich Familie und Enkelkinder, und dann habe ich noch viele Dinge, die ich erledigen muss. Und ich arbeite weiter als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Rahmen eines Projekts.

Worum geht es bei diesem Projekt?

Es handelt sich um eine vergleichende Studie zwischen der Kathedrale von Mallorca und der Kathedrale von Menorca, unter dem Gesichtspunkt der Tradition der Wandmalerei und der zeitgenössischen Interventionen, etwa von Gaudí auf Mallorca. Wir haben einen Aufenthalt in Mexiko geplant, um die Beziehung zwischen der amerikanischen Malerei und den Grisaille-Malereien der Klöster auf Menorca und Mallorca zu untersuchen. Die Verwaltungsaufgaben in der Kathedrale haben viel von meiner Zeit in Anspruch genommen, und ich freue mich darauf, nun zu dem zurückzukehren, was mir in meinem Beruf immer am meisten Spaß gemacht hat, nämlich die Forschung.

Sie sind eine charakterstarke und impulsive Frau. Wie haben Sie es geschafft, in einem so formellen Rahmen wie der Universität und der Kathedrale zu arbeiten?

Das ist eine gute Frage, denn ich bin sehr schüchtern und ziehe mich manchmal in mich selbst zurück. Die Verwaltungsarbeit, die mit jeder der genannten Institutionen verbunden ist, kann einen überwältigen. Wenn man in den Ruhestand geht, zieht man natürlich eine Bilanz der Dinge und der gemachten Fehler. Ich bin meinen eigenen Weg gegangen. Und meinen eigenen Weg zu gehen, hat auch bedeutet, dass ich oft ein oder zwei Schläge einstecken musste.

Trotzdem haben Sie es auf Ihrem eigenen Weg geschafft, an der UIB Vizerektorin für verschiedene Bereiche zu werden.

Ja, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich immer gedacht, dass ich Vizerektorin wurde, weil ich eine Frau bin und weil ich zum Zeitpunkt meiner Wahl eine der wenigen Geisteswissenschaftlerinnen war, die ein vom Ministerium finanziertes wissenschaftliches Projekt bewilligt bekommen hatte.

Sie haben in der UIB die Ehrendoktorwürde von Miquel Barceló angestoßen.

Genau, und das erklärt vielleicht auch den weiteren Verlauf. Zufällig vertrat ich die UIB von Anfang an, ich spreche hier von 1999, bei den Kontakten zu Miquel Barceló, was dann 2007 in der Kapelle mündete. In der Zwischenzeit wurde die Stiftung Art a la Seu ins Leben gerufen, ein Prozess, den ich ebenfalls von Nahem miterlebte. Es war ein Novum in Sachen Bewahrung des Kulturerbes auf Mallorca.

Barcelós Gestaltung der Kapelle: 300 Keramikplatten mit christlichen Symbolen.

Barcelós Gestaltung der Kapelle: 300 Keramikplatten mit christlichen Symbolen. / Montserrat Díez/EFE

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Wie denken Sie an den Entstehungsprozess der Kapelle zurück?

Es mag politisch unkorrekt sein, zu sagen, dass ich oft Dinge verteidigt habe, an die ich nicht so recht geglaubt habe. Für mich war das Management der Kathedrale eine Art angewandte Forschung auf dem Gebiet des Kulturerbes. Im Fall von Miquel Barceló waren sich alle Institutionen und alle Vertreter, die sich in der Fundació Art a la Seu trafen, über ihre Interessen im Klaren. Sie waren sich über bestimmte Dinge einig, und deshalb wurde ein Projekt gefördert, das heute unmöglich wäre. Für mich persönlich war es eine Forschungserfahrung, zu sehen, wie Wissen an das Management weitergegeben wurde, wie ein mittelalterlicher, gotischer Raum, die alte Kapelle von Sant Pere, durch die Intervention eines international anerkannten Künstlers in einen Raum der Gegenwart verwandelt wurde, und wie dieser Raum heute vom Publikum aufgenommen und genutzt wird. Die Universität war eine Erfahrung, die Kathedrale war ein Labor für diese Erfahrungen.

Wie war es, mit Barceló zusammenzuarbeiten?

Sehr unangenehm. Zum Glück gab es mit Biel Mesquida, der täglich als Vermittler fungierte, einen Freund, der alles ertrug. Wie sagt man so schön? Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

Die Kapelle wäre heute nicht mehr möglich?

Ja, sie wäre unmöglich und die Erste, die sich dagegen aussprechen würde, wäre ich.

Warum?

Grundsätzlich, weil die Kathedrale bestimmte Konservierungsprobleme hat und bestimmte Bedürfnisse und vor allem, weil sie heutzutage anders verwaltet wird. Wir wären nicht einmal in der Lage, diese Kapelle bei der Denkmalschutzbehörde der Insel zu beantragen. Heute werden die Dinge nicht mehr so gemacht wie damals. Wenn Sie den ultimativen Widerspruch in mir sehen wollen: Ich habe mich zu einer Zeit dafür eingesetzt, als ich vielleicht noch nicht so viel über die Verwaltung der Kathedrale wusste. Heute würde ich dazu raten, als Erstes einen Masterplan zu erstellen, und als Nächstes einen Plan für die präventive Konservierung. Und dann müssen die Eingriffe gut geplant sein und den Vorschriften entsprechen. Die Kathedrale braucht keine Neubauten.

Dabei wollte ich Sie fragen, welchen Künstler Sie heute beauftragen würden …

Niemanden, absolut niemanden. Worum ich bitten würde, ist, dass die Verwaltungen aktiv werden, sowohl auf staatlicher als auch auf lokaler Ebene, um alle laufenden Prozesse zu beschleunigen. Es gibt einen Masterplan, der neu definiert und aktualisiert werden muss, darin sollten etwa neue Arbeiten an der Kathedrale aufgenommen werden. Wir müssen bedenken, dass das Gesetz zum Schutz des balearischen Kulturerbes zum Zeitpunkt des Eingriffs von Barceló noch sehr neu war und der Inselrat praktisch über keine eigene Personalstruktur oder Vorschriften verfügte, um diesen Prozess gewissenhaft zu überwachen. Da tauchten etwa, als das vorherige Altarbild entfernt worden war, plötzlich Gemälde aus dem 14. Jahrhundert auf. Man machte ein paar Fotos, und brachte dann darüber die Keramikfragmente von Barceló an. Davon erfuhr ich erst viel zu spät. Das wäre zu einem anderen Zeitpunkt unmöglich gewesen.

Wie steht es um den Erhalt der Kathedrale?

Der Zustand wird fortwährend dokumentiert, die Kathedrale unterliegt einem ständigen Instandhaltungsprozess, für den ein Architekt und ein technischer Architekt verantwortlich sind. Es gibt darüber hinaus einen Arbeitsbereich zum Erhalt der Kunstschätze, in dem ein Restaurator und ein Dokumentarist tätig sind. Auffallend ist jedoch der Zustand der Portale. Sie wurden erst vor relativ kurzer Zeit restauriert, aber der Grad des Verfalls ist außerordentlich hoch, unter anderem aufgrund von Umweltproblemen. Hier sollen ein präventiven Erhaltungsplan und der Masterplan greifen, wir harren der administrativen Fristen. In der Kathedrale darf heute kein einziger Nagel mehr eingeschlagen werden. Das war früher anders. Da hat man gemacht, was man wollte.

Was hat Sie rückblickend in Ihrer Laufbahn am meisten befriedigt?

Dass ich an der Wiederbelebung der Renaissance- und Barockkunst auf Mallorca mitgewirkt habe und Projekte wie die Restaurierung der Wandmalereien und des Klosters von Llucmajor geleitet habe. Natürlich auch die Erfahrung mit der Kapelle von Miquel Barceló und die anschließenden Studien. Vor allem aber: die Restaurierung des Eingriffs von Gaudí in der Kathedrale. Und die Teilnahme an einer Konferenz zur historiografischen Aktualisierung der Kathedrale. Das alles hat mir sehr viel Spaß gemacht, und deshalb möchte ich diese Arbeit fortsetzen, allerdings aus einem anderen Blickwinkel.

Was ist jetzt Ihr dringlichstes Projekt?

Eine Studie über die Hauptfassade der Kathedrale zu beenden und darin festzuhalten, dass wir anderthalb Jahrhunderte lang Fehler gemacht haben, Fehler, die wir hätten korrigieren können, auch ich. Historiografische Fehler. Die Angaben, die Ende des 17. Jahrhunderts gemacht wurden, wurden im 19. Jahrhundert nach und nach verändert, wir haben das alles voneinander abgeschrieben, und heute ist es so weit gekommen, dass wir zum Beispiel behaupten, dass es eine Inschrift auf einem Portal gibt, die gar nicht vorhanden ist, oder dass es auf einem Portal eine Jahreszahl gibt, die nicht da ist und auch nie da war. Und dass wir für die Fertigstellung der Kathedrale ein Datum nennen, das es gar nicht gibt. Dabei hätte es einfach gereicht, nachzuschauen. Die erste Person, die das hätte ansprechen müssen, war ich. Ich tue also Buße.

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