Experimentieren ja, aber mit Seele: Das Festival Paco de Lucía auf Mallorca zeigt, wie vielseitig Flamenco heute ist

Vom 1. bis 5. März geht das Festival in die zweite Runde. Mit Konzerten und Workshops öffnet es einen bunten Fächer, der zeigt, wie traditionelle Kunst und zeitgenössische Strömungen den Flamenco der Gegenwart formen

„Impulso“ heißt das Programm von Rocío Molina und Yerai Cortés.

„Impulso“ heißt das Programm von Rocío Molina und Yerai Cortés. / Veranstalter

Brigitte Rohm

Brigitte Rohm

Stolze Tänzerinnen in gepunkteten Kleidern, Leidenschaft und Dramatik: Jeder hat bei dem Wort Flamenco sofort ein Bild im Kopf, nicht selten voll von Klischees. Doch je tiefer man in diese maßgeblich von den andalusischen gitanos geprägte Kunstform, die eine Fülle stilistischer Varianten (palos) kennt, eintaucht und über ihre Ursprünge lernt, desto intensiver kann man sie genießen. Das zentrale Element des Flamenco ist nicht etwa der Tanz, sondern der Gesang. Viele Texte sind seit dem 19. Jahrhundert überliefert und behandeln Themen wie Liebe, Leid, Verlust und soziale Ungerechtigkeit. Der Gesang bildet mit Instrumentalspiel (vor allem Gitarre), Tanz und Perkussion wie rhythmischem Klatschen ein komplexes Zusammenspiel auf der Bühne.

Über die Essenz dieser Kunst sprachen im Vorfeld des Festival Paco de Lucía die Leiterin Soledad Bescós und der auf Mallorca sehr umtriebige Musiker Benji Habichuela, Spross einer alten Flamenco-Familie. Wie die beiden erklären, teilen sich die aficionados immer noch etwa fünfzig zu fünfzig in zwei Lager auf: hier die Puristen, dort die Aufgeschlossenen, die der Modernisierung und Weiterentwicklung positiv gegenüberstehen.

Den Wurzeln treu bleiben

„Heute ist der Flamenco sehr offen für die verschiedensten Tendenzen wie Rock oder Pop“, sagt Benji Habichuela. Natürlich gebe es dabei auch Fusionen, die nicht funktionieren. „Man muss sehr vorsichtig sein, weil man manches einfach nicht mehr Flamenco nennen kann.“ Zu wissen, woher der Flamenco kommt, und diese Kunst zu beherrschen, sei weiterhin essenziell. Nur wer die Wurzeln verstehe und respektiere, könne davon ausgehend neue Experimente wagen – solange er die Menschen damit berühre und mitreiße.

Das wohl beste Beispiel dafür ist der Namensgeber des Festivals, Paco de Lucía: ein echter Wandler zwischen den musikalischen Welten. „Aber bei alledem hat er nie den Pfad des Flamenco verlassen“, betont Habichuela. „Das ist das Schwierige und die Herausforderung.“ Soledad Bescós indes liegt bei ihrem Festival am Herzen, ganz im Sinne des virtuosen Gitarristen, der die Grenzen zu unterschiedlichsten Genres auslotete, nicht nur den klassischen Flamenco, sondern auch die neuen Strömungen abzubilden. So können die Zuschauer abseits des Bewährten interessante Künstler entdecken: „Es geht darum, Debatten und eine Reflexion anzuregen“, sagt sie.

Eine durchaus gewagte Entscheidung, denn die Festivalleiterin gibt zu, dass traditionelle Shows garantiert ziehen – da weiß das Publikum, was es bekommt. Kein Wunder, dass das Eröffnungskonzert im Teatre Principal mit der berühmten Flamencosängerin Estrella Morente bereits ausverkauft ist. Ebenfalls gut läuft der Kartenverkauf für den jungen Sänger Rancapino Chico, Sohn des großen Alonso Nuñez „Rancapino“, am 5. März: Sein Abend mit dem Programm „Hijo del cante“ ist eine wahre „Gala de Flamenco Puro“, die die Fans des klassischen, tief bewegenden Flamenco-Gesangs glücklich machen wird.

Flamencogesang trifft Elektro

Zu den zukunftsweisenden Musikern zählen dieses Jahr Rocío Márquez und Bronquio, die am 4. März auftreten werden. Mit dem gefeierten und preisgekrönten Album „Tercio Cielo“ ist ihnen eine hypnotisierend-kraftvolle, musikalische Fusion gelungen. „Sie mischen den traditionellen cante jondo mit elektronischer Musik. Das ist sehr innovativ“, sagt Bescós. Diesen Trend gebe es erst seit wenigen Jahren.

Bronquio und Rocío Márquez vereinen Flamenco-Gesang mit elektronischer Musik.

Bronquio und Rocío Márquez vereinen Flamenco-Gesang mit elektronischer Musik. / Veranstalter

Die Tänzerin Rocío Molina repräsentiert einen Stil, der Tradition und Avantgarde, Flamenco und modernen Tanz überzeugend mischt: Sie wurde 2022 mit dem renommierten Silbernen Löwen der Biennale von Venedig ausgezeichnet – als erste Flamenco-Tänzerin überhaupt, der diese Ehre zuteil wurde. Am 3. März präsentiert Molina das Programm „Impulso“, bei dem sie von zwei laut Bescós hervorragenden Gitarristen begleitet wird: Eduardo Trassierra und Yerai Cortés, der bereits mit Popmusiker C. Tangana tourte.

Klassik und Klassiker von Paco de Lucía

Traditionellen und experimentellen Flamenco Seite an Seite kann man bei einer besonderen Gala am 2. März erleben, einer Hommage an Paco de Lucía: Dessen Neffe, der Gitarrist Antonio Sánchez, wird im ersten Part sein neues Album „Kavara“ mit der Bulería „A mi Paco“ vorstellen, die seinem Onkel gewidmet ist. Im zweiten Teil erklingt ein Repertoire aus Paco de Lucías legendärsten Stücken, darunter „Entre dos sguas.“ Der Clou dabei: Zum einen ist hier der Mundharmonikaspieler Antonio Serrano mit von der Partie, der damals noch gemeinsam mit dem Gitarristen aufgetreten war, und zum anderen das klassische Ensemble SimfoVents Palma unter Leitung von Francisco Valero-Terribas.

Auch Benji Habichuela ist an diesem besonderen Konzert beteiligt und spielt dabei cajón (Kistentrommel). Sein Wissen über das Instrument, das Paco de Lucía einst aus Peru nach Spanien brachte, gibt der Musiker am 5. März in einer Masterclass weiter. Der zweistündige Workshop ist für alle Niveaus geeignet, kostet 35 Euro und findet im Rahmen des Festivals in der Fundació Miró statt.

Im Es Baluard wagen indes der provokante Flamenco-Künstler Niño de Elche und die Tänzerin Rocío Molina ein Experiment zum Mitmachen zwischen Performance, Tanz und Klang (4. März, 11–19 Uhr, 5 Euro, bereits ausverkauft). Passiver genießen lässt sich die spezielle Fotografie-Ausstellung „Agua“ im CaixaForum: Lola Álvarez porträtierte mit dem alten Fotografie-Verfahren Daguerreotypie die Künstler, die an der ersten Ausgabe des Festivals beteiligt waren.

Die vier Konzerte finden im Teatre Xesc Forteza statt, Eintritt: 12–25 Euro, der Erlös fließt in Archivarbeit und Nachwuchsförderung der Fundación Paco de Lucía. Karten und Infos: festivalpacodeluciamallorca.com 

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