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Wenn Licht und Dunkelheit sich umarmen
MZ-Kolumnist Juan José Millás berichtet in dieser Woche von zwei Gedichten in einem Notizbuch, die eine unerwartete Wendung nehmen
Ich habe ein Notizbuch zur gleichen Zeit von vorne und von hinten begonnen. Vorne schrieb ich ein Gedicht über das Licht und hinten eins über die Dunkelheit. Ich hoffte, dass sich beide Gedichte in der Mitte des Notizbuchs treffen würden, wie Tunnelarbeiter, die von beiden Seiten eines Berges aus bohren. Es gab Zeiten, in denen das Licht schneller vorankam als die Dunkelheit oder umgekehrt, aber im Allgemeinen waren sie gleich schnell.
Doch dann, nach einigen Monaten war das düstere Gedicht plötzlich auf dem Vormarsch. Es fräste sich geschwind wie eine Tunnelbohrmaschine durch die Seiten und schien das Licht schneller erreichen zu wollen als das helle Gedicht die Dunkelheit. Ich war in eine Depression verfallen, der ich mit Medikamenten und Willenskraft zu entkommen suchte. Wenn der Wecker klingelte, kämpfte ein Teil von mir damit, im Bett zu bleiben, und der andere damit, es zu verlassen. Schließlich zwang mich die Angst vor der Verwahrlosung aufzustehen, zu duschen und mich zu rasieren – wenn auch widerwillig. Das finstere Gedicht zog mich in seinen Bann.
Die Gedichte umarmten sich
Und dann wurde dieses traurige Gedicht schließlich fröhlich. Ich pfiff vor Freude, während ich es schrieb, während das freudige Gedicht in grenzenloser Traurigkeit versank. Ich war kaum in der Lage, zwei oder drei Zeilen pro Tag zu schreiben, und sie jagten mir Angst ein, wenn ich sie wieder las, denn sie gruben sich in die Tiefen meiner Seele, wo sich verworrene Ahnungen regten, vor denen ich mein Leben lang weggelaufen war. Schließlich holte das dunkle Gedicht das leuchtende ein, und sie umarmten sich, so wie sich Arbeiter, die einen Tunnel graben, umarmen, wenn sie sich begegnen. Jetzt lebe ich in einer Art heiterer Niedergeschlagenheit oder stiller Trostlosigkeit und werde ein neues Notizbuch beginnen. Diesmal aber nur von hinten.
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