Wie es Richard Thompson gelang, der erste ausländische Bürgermeister auf Mallorca zu werden

Der Engländer ist der erste batle auf der Insel, der keinen spanischen Pass hat. Das hat nicht nur mit ihm selbst zu tun. Ein Besuch im Rathaus

Richard Thompson, englischer Bürgermeister von Sant Joan.

Richard Thompson, englischer Bürgermeister von Sant Joan. / Nele Bendgens

Johannes Krayer

Johannes Krayer

Dass hier im Bürgermeisterzimmer des Rathauses von Sant Joan mitten im Pla de Mallorca nun ein Brite das Sagen hat, erkennt der Besucher sechs Tage nach dem Amtsantritt von Richard Thompson an einem Detail: An einer Ecke seines Schreibtisches steht eine kunstvoll bemalte Teekanne mit der dazugehörigen Tasse. Hier gibt es also ab jetzt nachmittags tea time statt eines café solo. Ansonsten hat der 52-jährige Engländer, der in Brighton an der Südküste geboren wurde, noch kaum etwas an der Ausstattung des Raumes geändert, der für die kommenden drei Jahre Thompsons Hauptaufenthaltsort sein wird.

Am Samstag (17.6.) wurde Thompson, der für die regionale Ökopartei Més per Mallorca angetreten war, als Nachfolger von Francesc Mestre (Regionalpartei El Pi) in seinem Amt vereidigt, am Freitag (23.6.) empfängt der groß gewachsene Familienvater die MZ im Rathaus. Er habe schon damit gerechnet, dass sich die Medien für seine Geschichte interessieren, sagt er. Schließlich ist seine Frau Journalistin. Sie hat ihn vorgewarnt, was da kommen könnte. Dass sich dann aber auch neben den Zeitungen auf der Insel die britischen Blätter „The Guardian“ oder auch „The Times“ für ihn interessieren würden, das hatte Thompson nicht erwartet. Und so muss er nun neben allen neuen Aufgaben, die auf ihn einprasseln, auch noch mehrere Interviews am Tag geben.

Seine Frau kommt aus Sant Joan

Aber Thompson ist ein freundlicher Mann, er wirkt gutmütig, und wenn er zwischen einem nicht ganz fehlerfreien castellano und mallorquí immer wieder hin- und herwechselt, auch manchmal ein kleines bisschen unsicher. Er lächelt viel. Das Interview gibt er dann doch lieber auf mallorquí, zumindest zum Großteil. „Ich bin es eher gewohnt, hier in Sant Joan Mallorquinisch zu sprechen.“ Im Rathaus und auf der Straße laufe nahezu alles im Inselidiom ab. Dazu ist er ja auch noch mit einer waschechten santjoanera verheiratet.

Kennengelernt hat der studierte Geograf Thompson seine Frau bei einer Party in Barcelona, wo er einige Jahre zunächst als Lehrer an einer internationalen Schule arbeitete und dann als Geschäftsführer einer Forschungseinrichtung für Geografie fungierte. Auch hier hatte er wieder viel mit jungen Leuten zu tun. „Regelmäßig kamen Gruppen von Studierenden zu uns, die in Barcelona zu Themen wie Tourismus, Erosion der Strände, Raumplanung oder auch Nachhaltigkeit forschten“, erzählt Richard Thompson.

2010 besuchte Thompson mit seiner Frau das erste Mal Sant Joan, 2011 heirateten sie in ihrem Heimatort. Für das Paar und die beiden kleinen Töchter war dann 2014 der Moment gekommen, auf die Insel überzusiedeln. „Dass meine Frau von hier stammt, hat mir am Anfang natürlich ungemein geholfen.“ Thompson ist sehr wohl bewusst, dass es mitunter als Ausländer gerade in einem etwas verschlossenen Fleckchen wie Sant Joan schwierig sein kann, Anschluss zu finden. Die Familie lebt mitten im Ort in einem typischen Dorfhaus. Sehr viel mehr will er aber nicht aus seinem Privatleben erzählen, vor allem seine Töchter möchte er von dem Rummel um seine Person abschirmen.

Zwei Schlüsselmomente

Und überhaupt, sagt er, sei das doch überhaupt nicht die Geschichte. Ein Brite als Bürgermeister – schön und gut, aber die eigentliche Geschichte sei doch, dass in einem so traditionellen Dorf ein Bürgermeister gewählt worden ist, der nicht in dem Ort zur Welt kam oder zumindest nicht einen Großteil seines Lebens dort verbracht hat.

Diesen Umstand verdanke er vor allem einem sehr engagierten Team, sagt Thompson. Es habe zwei Schlüsselmomente gegeben im Rennen um das Bürgermeisteramt . Der erste war, als Toni Bauzá, die eigentliche Nr. 1 auf der Liste der Assemblea per Sant Joan, einer erst kürzlich unter der Schirmherrschaft von Més gebildeten Gruppierung, nicht als Bürgermeisterkandidat antreten wollte. „Ich hatte schon Lust, im Dorf etwas zu bewegen. Wir hatten acht Jahre lang einen Bürgermeister von El Pi, und ich wollte Veränderungen anstoßen“, sagt Thompson. Er plante, auf Listenplatz 2 in die Wahl zu ziehen, Bauzá sah er aufgrund seiner Verwurzelung in Sant Joan als die logische Nummer 1. „Aber dann rief mich Toni an und sagte, er werde keine Zeit haben, als Bürgermeisterkandidat anzutreten, ich solle das machen“, erinnert sich Thompson.

Sant Joan

Sant Joan / DM

Der Brite hatte starke Zweifel, dass die Menschen in Sant Joan ihm als Auswärtigem tatsächlich ihre Stimme geben würden. Bis zum zweiten Schlüsselmoment: „Im Dezember meldete sich eine Gruppe junger Leute und wollte bei unserem Projekt mitmachen.“ Ein enormes Glück für Thompson und seine Mitstreiter: Es handelte sich um junge, gut ausgebildete Berufsanfänger aus Sant Joan im Alter zwischen 25 und 30 Jahren, die ebenfalls einen Wandel für ihren Ort herbeiführen wollten – und den am ehesten Més zutrauten.

Jedes Haus abgeklappert

Das war der Zeitpunkt, ab dem Thompson das erste Mal eine realistische Chance sah, Bürgermeister werden zu können. „Die jungen Leute haben sich sehr im Wahlkampf engagiert, außerdem kennen sie viele Menschen im Dorf – und bei Kommunalwahlen wählen die Menschen nun mal eher Personen als Parteien.“ Er habe von Fällen gehört, in denen Wähler aus Sant Joan auf kommunaler Ebene ihn und die Ökopartei gewählt haben, auf regionaler Ebene aber die Rechtsextremisten von Vox.

Ein weiteres Erfolgsgeheimnis von Thompson und Més: Die rund 30 Mitstreiter besuchten jedes Haus in dem 2.200-Seelen-Ort und sprachen mit den Bewohnern. Auch deswegen holte Més statt der vorherigen drei diesmal fünf Gemeinderatssitze und blieb damit nur einen hinter der absoluten Mehrheit zurück. Thompson einigte sich mit der Sozialistin Catalina Perelló auf eine Koalition. Perelló, die einzige PSOE-Gemeinderätin, wird das letzte Jahr der Legislaturperiode Bürgermeisterin sein.

Richard Thompson (Més per Mallorca) und Catalina Perelló leiten die kommenden vier Jahre die Geschicke in Sant Joan.

Richard Thompson (Més per Mallorca) und Catalina Perelló leiten die kommenden vier Jahre die Geschicke in Sant Joan. / DM

Jetzt muss Richard Thompson erst einmal hineinfinden in seinen neuen Alltag, der derzeit 15 Stunden hat. „Aber das ist normal.“ Zunächst will er mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Rathauses persönlich eine halbe Stunde sprechen. Er zeigt seinen Terminkalender vor, für Mittwoch hat er acht Gespräche mit seinen Mitarbeitern anberaumt. So hofft er zu erfahren, wo der Schuh drückt. Daneben will er möglichst schnell den Ort von der Autolawine zu befreien, die sich momentan durch die engen Gassen quält. „Ich kann mir gut vorstellen, einen Teil des Zentrums für Autos zu sperren und zur Fußgängerzone zu machen. Aber vielleicht erst einmal einen Tag in der Woche“, schiebt er schnell hinterher. Wir sind schließlich in Sant Joan, da muss man behutsam mit Neuerungen sein.

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