Podemos und Ciudadanos: Der tiefe Fall der Reformparteien in Spanien

Die Linkspartei Podemos und die liberalen Ciudadanos traten an, um Spanien zu reformieren. Bei den Parlamentswahlen im Juli wird man ihre Namen jedoch vergeblich suchen

Schmeißt das Handtuch: Ciudadanos-Vorsitzende Inés Arrimadas. | FOTO: JOSE LUIS ROCA

Schmeißt das Handtuch: Ciudadanos-Vorsitzende Inés Arrimadas. | FOTO: JOSE LUIS ROCA / Aus Madrid berichtet Thilo SchäferAus Madrid berichtet Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Thilo Schäfer

Vor acht Jahren erschütterte ein Erdbeben die politische Landschaft Spaniens. Mit den nationalliberalen Ciudadanos (Cs) und der linken Podemos traten zwei neue Parteien mit Wucht auf den Plan und schickten sich an, die Vormacht der Sozialisten (PSOE) und der Volkspartei (PP) zu brechen sowie Korruption und Filz im Staat zu bekämpfen. Bei den Parlamentswahlen erreichten beide Neulinge auf Anhieb zusammen knapp ein Drittel der Stimmen, was sich in 94 der 350 Abgeordnetensitze des Unterhauses widerspiegelte. Das spanische Wahlrecht begünstigt die großen Parteien. Es folgten weitere Erfolge.

Doch bei den vorgezogenen Neuwahlen am kommenden 23. Juli sucht man die Namen von Ciudadanos und Podemos vergeblich. Das Debakel bei den Regionalwahlen am 28. Juni besiegelte den beispiellosen Abstieg der beiden Reformparteien. Die glücklose Vorsitzende von Cs, Inés Arrimadas, räumte Fehler ein und verkündete ihren Abschied aus der Politik. Die Liberalen treten bei den Wahlen am 23. Juli gar nicht erst an, und ihr endgültiges Ende scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.

Podemos wiederum musste sich nach dem desaströsen Abschneiden bei den Regionalwahlen widerwillig fügen und dem neuen Wahlbündnis Sumar beitreten, mit der die populäre Arbeitsministerin Yolanda Díaz das Spektrum links der PSOE einen möchte.

Strukturen aufbrechen

Ein Schlüsselmoment der relativ jungen spanischen Demokratie war das TV-Interview des bekannten Moderators Jordi Evolé mit den Gründern und damaligen Chefs von Ciudadanos, Albert Rivera, und Podemos, Pablo Iglesias, 2015 in einem Café in Barcelona. Obwohl sie ideologisch bei vielen Themen gegensätzliche Ansichten vertraten, waren sich die beiden jungen Politiker absolut einig darin, dass ihre wichtigste Mission eine gründliche Überholung des verkrusteten politischen Systems sein müsse, wo sich PSOE und PP seit über drei Jahrzehnten an der Macht abwechselten. Das wurde bei den Wahlen prämiert.

Doch es folgten taktische Fehlentscheidungen mit schweren Folgen, für das Land und vor allem für die beiden Parteien. Zunächst blockierte Iglesias ein Abkommen zwischen den Sozialisten von Pedro Sánchez mit den Cs für eine gemeinsame Minderheitsregierung. Nach Neuwahlen wollte Rivera dann partout nicht mehr mit Sánchez zusammen regieren, obwohl beide auf eine absolute Mehrheit der Sitze kamen. Bei der Wiederholung der Wahlen im November 2019 gab es die Quittung. Die Ciudadanos rutschten von 57 auf nur noch zehn Abgeordnete ab. Podemos konnte seine 33 Sitze behaupten, aber nur im Verbund mit anderen Gruppierungen. Das reichte zum Eintritt in eine Koalition mit den Sozialisten.

Querelen und Kontroversen

Zahlreiche interne Querelen und Kontroversen haben dem Image von Podemos zuletzt geschadet. Schon lange vor dem Wahldebakel am 28. Juni hatte Yolanda Díaz, eine von drei Stellvertreterinnen von Ministerpräsident Sánchez, ein neues Projekt angestoßen, welches die linken Kräfte einen und das linke Wählerpotenzial neu begeistern soll. Die Arbeitsministerin gehört zu Izquierda Unida, der historischen Linken, die mit Podemos das Bündnis Unidas Podemos einging. Die Marke Podemos ist nach Ansicht von Díaz jedoch verbraucht. Daher die Wiedergeburt des linken Lagers unter dem Namen Sumar (summieren).

Yolanda Diaz, Arbeitsministerin von Spanien, spricht im Parlament. Die Arbeitsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin der linken Regierung Spaniens, Yolanda Díaz, wird bei der Parlamentswahl Ende des Jahres als Spitzenkandidatin ihres neugegründeten Bündnisses Sumar antreten.

Yolanda Diaz, Arbeitsministerin von Spanien, spricht im Parlament. Die Arbeitsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin der linken Regierung Spaniens, Yolanda Díaz, wird bei der Parlamentswahl Ende des Jahres als Spitzenkandidatin ihres neugegründeten Bündnisses Sumar antreten. / Foto: Eduardo Parra/EUROPA PRESS/dpa

Dem Bündnis von Díaz sind 15 Parteien beigetreten, darunter Izquierda Unida, linke Regionalisten wie Compromís in Valencia oder Més auf den Balearen und eben Podemos. Lange hatte sich die Podemos-Spitze gegen den Zusammenschluss gesträubt. Man wollte mit Díaz auf Augenhöhe diskutieren und Macht und Einfluss für die eigenen Leute sichern. Die überraschende Vorverlegung der ursprünglich für Ende des Jahres geplanten Parlamentswahlen, mit der Sánchez auf die Wahlschlappe vom 28. Juni reagierte, erhöhte den Druck auf die Linken. Es blieb keine Zeit mehr für endlose Verhandlungen der traditionell streitsamen Linken, da die Frist für die Einschreibung des Bündnisses drängte.

Lästige Personaldebatten

In der vorläufigen Verteilung der Kandidaturen in den 50 spanischen Provinzen erhielt Podemos nur acht Listenplätze mit realistischen Aussichten auf einen Einzug ins Parlament. Vorsitzende Ione Belarra ist die Nummer fünf von Sumar in Madrid, angeführt von Díaz. Nicht dabei ist ein Listenplatz für Irene Montero, die Podemos-Ministerin für Gleichstellung. Auf ihr lastet das monatelange Chaos um die verunglückte Reform des Sexualstrafrechts, das der Koalitionsregierung erheblichen Schaden zufügte. Díaz und viele ihrer Mitstreiter glauben daher, es sei besser, ohne Montero anzutreten. Podemos-Gründer Iglesias, der vor zwei Jahren überraschend den Vorsitz abgab, aber weiter großen Einfluss ausübt, kritisierte, das „Veto“ gegen seine Lebenspartnerin Montero sei ein „schrecklicher Fehler“.

Im Auge des Sturms: Irene Montero, die spanische Ministerin für Gleichberechtigung.

Im Auge des Sturms: Irene Montero, die spanische Ministerin für Gleichberechtigung. / FOTO: EUROPAPRESS

Die Spitzenkandidatin weicht den ständigen Fragen über Montero aus. „Die Menschen wollen Lösungen für ihre Probleme. Alles andere ist nicht wichtig“, erklärte Díaz vor Tagen. Denn Personaldebatten werden wohl nicht dabei helfen, die zuletzt desillusionierten Wähler des linken Spektrums am 23. Juli an die Urnen zu locken.

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