Öl, überall Öl, das sich wie Pattex an die Körper haftete. Das Einsatzgebiet war Muxía, eine der am schlimmsten betroffenen Regionen. Nur wenige Stunden vor Ankunft der Helfer hatte die dritte marea negra (schwarze Flut) die umliegenden Strände des malerischen Küstenorts erreicht. Das Öl stammte aus dem am 13. November 2002 vor der galicischen Küste in Seenot geratenen und Tage später auseinandergebrochenen Tankers „Prestige“. Und wir kamen von Mallorca, als erste größere Gruppe von Mallorquinern, die sich als Freiwillige an der Säuberung der Küste beteiligte. Die Initiative war von einem auf Mallorca lebenden Unternehmer aus Galicien ausgegangen.

Es war der 16. Dezember, ein dunkler regnerischer Montag, als unser Reisebus gegen Mittag im Hafen von Muxía stoppte. Vor der Fischauktionshalle wurden wir von den Umstehenden mit Applaus empfangen. „Danke, dass ihr gekommen seid“, sagte der Leiter des örtlichen Zivilschutzes. An seinen Namen kann ich mich noch erinnern: Ramón Pérez Barrimientos. Er koordinierte die Einsätze seit Beginn der Katastrophe. Rund 4.000 Tonnen Öl hatten die Helfer in den vier Wochen bis zu unserer Ankunft bereits von den Felsen und den Stränden geschürft – ein Fünftel der rund 20.000 Tonnen, die bis Mitte Dezember ins Meer geströmt waren und nur Bruchteil angesichts der rund 50.000 Tonnen, die sich zu diesem Zeitpunkt noch in den leckgeschlagenen Tanks des Schiffswracks befanden.

Die „Prestige“ geriet am 13. November in Seenot. Sechs Tage später brach sie auseinander und sank. | FOTO: ORP

Tränen am Strand der Kindheit

Wir Freiwillige waren hoch motiviert. Innerhalb weniger Stunden nachdem Chema Álvarez, der Initiator der Hilfsaktion, in den Inselmedien seinen Aufruf gestartet hatte, waren die 170 Plätze der Chartermaschine nach Santiago de Compostela belegt. Der Flugbroker lebte auf Mallorca, war aber in Muxía aufgewachsen. Nie werde ich vergessen, wie er bei der Ansicht des ersten vom Öl verseuchten Strandes in Tränen ausbrach. Es war der Ort, an dem er seine Kindheit verbracht hatte.

Die Freiwilligen waren eine bunte Mischung: Profis des Zivilschutzes und der Forstbehörde, aber auch viele Studentinnen und Studenten. Außer mir war auch ein weiterer Deutscher mit von der Partie. Michael war mit seiner Frau und seiner Schwägerin gekommen. Die Familie betrieb in der zweiten Reihe von Cala d’Or ein kleines Hotel, das in den Wintermonaten geschlossen war. Der Entschluss, an der Küste zu helfen, sei bei einem Familienessen gefallen, ganz spontan, erzählte er. Im Gepäck hatten sie wie alle anderen auch nur das Nötigste: einen Schlafsack, ein paar alte Kleidungsstücke zum Wechseln, eine Waschtasche und Handtücher.

Untergebracht wurden wir in der städtischen Mehrzweckhalle, die mit Schaumstoffmatten zu einem riesigen Matratzenlager ausgebaut worden war. 400 Menschen mussten sich dort vier Toiletten teilen. Die Duschen in der Halle waren eiskalt. Die Waschzelte, die das spanische Militär aufgestellt hat, wurden nur am Nachmittag geöffnet. Verpflegt wurden wir in der örtlichen Fischauktionshalle, die nicht mehr gebraucht wurde, seitdem der Fischfang eingestellt worden war.

Der Frust auf die spanische Regierung und ihr Krisenmanagement war groß. Vor Ort fehlte es an wichtiger Ausrüstung, vor allem an Masken für die Helfer. Auch Gummistiefel und Schutzanzüge waren knapp. Viele der Fischer nahmen den täglichen Kampf gegen das Öl ganz ohne Schutzkleidung auf. Wie die Zeitung „El País“ später berichten sollte, litten Tausende von ihnen noch Jahre später unter chronischem Husten und Atembeschwerden.

Chronologie eines Skandals

13. November 2002: Die „Prestige“ gerät vor der Küste Galiciens in Seenot. Die chaotisch agierende Regierung von José María Aznar entscheidet sich aus Furcht vor einer Ölpest dagegen, das Schiff in einen Hafen zu ziehen.

19. November 2002: Das Schiff bricht auf offener See auseinander und sinkt.

1. Dezember 2002: Die Ölpest erstreckt sich über mehrere Hundert Kilometer Küste. 150.000 Menschen protestieren in Santiago de Compostela gegen die Regierung.

21. Oktober 2003: Ein EU-Gesetz verbannt Einhüllen-Tanker vom „Prestige“-Typ aus den Häfen der EU.

10. September 2004: Die Bergung des Rest-Öls aus dem Wrack gilt als abgeschlossen.

22. November 2006: An der Unglücksstelle bilden sich wieder Ölteppiche.

16. Oktober 2012: Prozessbeginn gegen den Kapitän des Tankers, den ersten Offizier, den Maschinisten und den Chef der spanischen Hafenbehörden.

13. November 2013: Bis auf den Kapitän, der wegen Befehlsverweigerung zu neun Monaten verurteilt wird, werden alle freigesprochen.

Zu den Aktivistinnen einer Bürgerbewegung in Muxía gehörte damals eine Deutsche. Lorena Lapp, eine Künstlerin, betrieb in dem Fischerort seit fünf Jahren eine kleine Weinbar. Erst im Sommer vor der Katastrophe hatte sie ihr Gasthaus um sieben Fremdenzimmer erweitert. Seitdem die „Prestige“ an jenem 19. November vor Küste der nach einer Zick-Zack-Fahrt auseinandergebrochen war, diente ihre gemütliche Herberge fast ausnahmslos Journalisten als Unterkunft. Das Hotel lief für Lorena Lapp damals nur nebenher. Sie war fast den ganzen Tag damit beschäftigt, Unternehmen in aller Welt anzuschreiben und um Spenden zu bitten, darunter große Ölkonzerne wie BP und Exxon. Mit den eingehenden Geldern wurde die Verpflegung der Freiwilligen finanziert, aber auch Schutzkleidung und Werkzeuge angeschafft.

Ground Zero in Galicien

„Die Welt darf uns nicht vergessen, wir sind hier Ground Zero“, sagte Lorena Lapp damals. Wie ich erst einige Jahre später las, hatte die Deutsche Journalisten des öffentlichen spanischen Fernsehsenders TVE eine Reservierung in ihrem Hotel verweigert, weil der Sender damals unter der konservativen Regierung Aznars als sehr regierungsnah galt. Zu dem TV-Team soll auch eine gewisse Letizia Ortiz gehört haben, die heutige spanische Königin.

Die Bilder von der Ankunft am Strand von Touriñán, unserem ersten Einsatz an der Küste, werde ich wohl niemals vergessen. Auf einer Rampe, über die in normalen Zeiten Boote zu Wasser gelassen werden, führten vier galicische Fischer einen einsamen Kampf gegen die Wellen, den Wind und das Öl – drei scheinbar übermächtige Gegner. Unablässig spuckten die Wellen braune und klebrige Brocken auf den Beton. Mit bloßen Händen rollten die Fischer die Masse wie Teig zusammen, bevor sie die Brocken, teilweise so groß wie Fußbälle, in die Fässer hoben. Ihre Gesichter waren ölverschmiert, die Schutzanzüge zerschlissen. Seitdem die Flut das erste Öl an die Küste schwemmte, kamen sie jeden Tag hier heraus. „Was sollen wir tun, das Meer ernährt uns“, sagte einer der Männer.

Weiße Schutzanzüge gegen das Öl

Währenddessen bereitete sich das Heer der Freiwilligen auf den Einsatz vor. Wie Ritter sich Rüstungen überstülpen, zogen wir die weißen Schutzanzüge über. Weil es regnete und die Gischt durch den starken Wind mannshoch auf die Felsen spritzte, trugen die meisten Ölzeug darunter. Mitglieder des Zivilschutzes umwickelten den voluntarios die Hosenenden mit Klebeband, damit kein Öl eindringen konnte. Die Handschuhe wurden an den Gelenken abgedichtet. Man zog uns die Kapuzen tief ins Gesicht, setze uns die Schutzbrille auf und passte die Atemschutzmaske so an, dass sie dicht auf Haut und Nase lag. Es war ein wenig so, als ob dem Ritter vor dem Gang in die Schlacht das Visier heruntergelassen wird.

Eine letzte Lagebesprechung, dann erteilte der Einsatzleiter den Befehl zum Angriff. Die Freiwilligen in der ersten Reihe trugen Schaufeln und Hacken. Dahinter folgten die Fassträger. Einige hatten mit schwarzem Filzstift ihren Namen auf den Rücken geschrieben, um in dem weißen und vermeintlich anonymen Heer nicht verloren zu gehen. Andere trugen persönliche Botschaften auf dem Rücken. „Für eine bessere Welt“, hatte jemand auf seine Schulterblätter geschrieben. Ein anderer wünschte dem Staat den Tod.

Wer kein Werkzeug zur Hand hatte, schaufelte die stinkende Masse mit seinen Händen in schwarze Maurerfässer, die jeweils zu zweit getragen werden mussten, so schwer war das Öl. Fass um Fass schleiften wir die Rampe hoch und übergaben sie einer Menschenkette, die erst an den Containern endete, in die die Fässer schließlich entleert wurden.

Panik im Schlick

Öl, überall Öl. Schon nach kurzer Zeit war das „weiße Heer“ gezeichnet. In vorderster Linie stecken die ersten voluntarios in Schwierigkeiten. In Erinnerung bleibt eine junge Frau, knietief im Morast, die Panik ins Gesicht geschrieben. Nur durch die Hilfe drei schwer und laut atmender Mitstreiter konnte sie sich aus dem Schlamm befreien.

Rückstände noch immer zu erkennen

Am Sonntag, 13. November, ist es genau 20 Jahre her, dass vor der galicischen Küste durch die Havarie des Öltankers „Prestige“ eine der weltweit größten Ölkatastrophen ausgelöst wurde. Rund 77.000 Tonnen Schweröl gelangten ins Meer und verseuchten die Atlantikküste über Hunderte Kilometer mit giftigem Ölschlamm. Die Folgen für Natur, Fischerei- und Tourismuswirtschaft an der Costa de la Muerte (Todesküste) waren verheerend. Nach Schätzung von Experten fielen bis zu 250.000 Seevögel der Katastrophe zum Opfer. Die Küste habe sich seither vollständig erholt, sagt Iago Toba, der heutige Bürgermeister von Muxía. Umweltorganisationen sehen das anders. Noch immer seien Rückstände an den Küsten zu erkennen. Zudem bestehe die Gefahr einer neuen Katastrophe. 40.000 Schiffe führen jährlich entlang der galicischen Küste, von denen jedes dritte Gefahrengüter transportiere. Noch immer sei man auf Havarien schlecht vorbereitet.

Der Schweiß strömte unter der Gummihülle. Die Brille beschlug von innen. Nur schemenhaft nahm man noch wahr, was um einen herum passierte. Es juckte unter der Atemschutzmaske. Helfer des Zivilschutzes eilten herbei, um mit sauberen Händen die Masken zu lüften und den Kämpfern aus einer Spritzflasche Wasser in den Mund zu träufeln. Weil die Fässer nicht so schnell abtransportiert werden konnten, wie sie gefüllt wurden, ruckelte das aus Menschen gemachte Förderband, manchmal blockierte es. Dann brach Chaos aus am Strand. Die Einsatzleiter versuchten, die Ordnung wieder herzustellen. Doch ihre Rufe gingen unter in der Melange aus Stimmen, Wind und dem eigenen Röcheln unter der Atemschutzmaske. Die ersten Freiwilligen traten den Rückzug an, ließen sich von den Helfern im Materiallager wie Boxer Wasser ins Gesicht spritzen. Klebebänder wurden erneuert, zerrissene Schutzanzüge notdürftig geflickt, bevor es zurück in den Morast ging.

Aus vorderster Linie ertönten immer wieder Hilferufe: „¡Mareo!“ (Schwindel). Eine junge Frau hatte es besonders getroffen. Erschöpft und gestützt von drei Helfern wurde sie ins Materiallager gebracht, wo bereits andere voluntarios auf dem Boden lagen. Die Helfer des Zivilschutzes schnitten ihnen mit Scheren die Schutzanzüge vom Leibe. Bei der jungen Frau war der Zustand so kritisch, dass sie mit einem Sanitätswagen noch vor dem Ende des Einsatzes nach Muxía zurückgebracht wurde.

Bereit zum nächsten Angriff

Am Ende des mehrstündigen Kampfes türmen sich am Strand von Touriñán Berge von zerschlissenen Overalls, Brillen und Masken auf. Die Kräfte von uns Freiwilligen waren aufgebraucht. Erschöpft sanken wir auf den Rasen. Während uns die Mitglieder des Zivilschutzes die ölverschmierte „Rüstung“ abstreiften, waren bereits weitere Militärtransporter aus Muxía eingetroffen. Frische neue Kräfte in blütenweißen Anzügen stiegen von den Ladeflächen der Militärfahrzeuge. Bereit zum nächsten Sturm auf die klebrigen Felsen, auf die das Meer immerzu neuen Schlick spuckte. Auch von den Balearen sollten im Laufe der kommenden Monate noch Hunderte Helfer hinzukommen.

Das Schlimmste, so erzählten es viele der Freiwilligen, die schon längere Zeit an der Küste waren, seien nicht die körperlichen Strapazen. Frustrierend sei die Gewissheit, dass die nächste Flut kommen wird. Und mit ihr neues Öl. Und das über Wochen und Monate.