Mallorca Zeitung

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Xavier Pastor

Wie eine Studie zum Thema Nachhaltigkeit auf Mallorca geräuschlos in der Schublade verschwand

Der Inselrat von Mallorca gab eine Studie in Auftrag – und ließ sie dann wohl wegen ihrer Brisanz erst einmal in der Schublade verschwinden. Xavier Pastor war einer der Autoren

Xavier Pastor ist Biologe, Meeresforscher und Umweltaktivist. B. Ramón (Archiv)

Xavier Pastor (Jahrgang 1950) ist Biologe, Ozeanforscher und Umweltaktivist. 1984 war er Mitbegründer von Greenpeace Spanien, später leitete er auch die Meereschutzorganisation Oceana. Seit fünf Jahren ist der Mallorquiner im Ruhestand, doch noch immer schätzen Politiker seine Expertise.

Vergangenen Herbst kam Inselratspräsidentin Catalina Cladera mit der Bitte auf Sie zu, ein Expertengremium zusammenzustellen, das Nachhaltigkeitsstrategien für Mallorca bis zum Jahr 2030 erarbeiten soll. Wie haben Sie auf die Anfrage reagiert?

Ich hatte zunächst Vorbehalte. Wie viele meiner Kollegen bin ich es leid, Dokumente und Pläne zu erstellen, die dann für nichts verwendet werden, weil die Institutionen nicht in der Lage sind, sie umzusetzen. Aber die Verantwortlichen im Inselrat überzeugten uns, dass sie es ernst meinten, also akzeptierten wir.

Beteiligt waren 14 Experten aus den Bereichen Umwelt, Soziales, Wirtschaft und Mitbestimmung. Wie sah die Zusammenarbeit aus?

Über vier Monate trafen wir uns alle 14 Tage, dazwischen arbeitete jeder sein Dokument aus, oder man traf sich in Kleingruppen. Am Ende fügten wir alles zusammen. Das war nicht einfach. Es geht um geografische, landwirtschaftliche, ökologische, klimatische und viele andere Themen, die manchmal nicht viel miteinander zu tun haben – obwohl natürlich alles zusammenhängt.

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation auf Mallorca ein – auch angesichts der Rekordsaison 2022? Wo bleibt der viel erhoffte Post-Corona-Wandel zu mehr Nachhaltigkeit?

Wir erleben es alle: das Gefühl, dass Grenzen überschritten werden, jedes Jahr mehr. Die Massifizierung und der verschwenderische Umgang mit den Ressourcen – nicht nur von Wasser und Energie, sondern auch etwa der Strände, sowie der fortwährende Ausbau der Infrastruktur – sind unerträglich. Das, was Umweltschutzorganisationen schon seit Jahrzehnten anprangern, merken nun auch immer mehr Leute. Und dieser Eindruck deckt sich mit den Forschungsergebnissen.

Wie konnte es so weit kommen?

Das ist die Konsequenz eines Systems, das immer mehr will und nicht in der Lage ist, innezuhalten und zu reflektieren, wo die Grenzen sind. Es stimmt: Die Balearen leben zum großen Teil vom Tourismus. Aber das war vor 20 oder 30 Jahren auch schon so – und da war die Situation lange nicht so verheerend wie jetzt. Damals lebte es sich sogar besser, die Gehälter der Arbeitnehmer waren verhältnismäßig höher, die Lebensqualität auch. Doch die Unternehmer forderten immer mehr und mehr. Dieses Unvermögen zu sagen: „Wir haben eine Grenze erreicht, wir stoppen den Anstieg der Hotelbetten“, das holt uns jetzt ein.

Es geht also wieder einmal um eine Deckelung der Urlauberanzahl?

Es geht darum, die Kapazität der Inseln realistisch einzuschätzen. Experten haben jahrelang ausgearbeitet, wie viele Millionen Urlauber im Jahr für Mallorca gut sein können, wie viele Autos, wie viele Boote, um ein gewisses Gleichgewicht beizubehalten. Wenn man diese Zahl erreicht hat, muss gestoppt werden. So, wie bei einem Konzert nur eine Höchstgrenze an Eintrittskarten verkauft wird. Stattdessen werden die Grenzen weiter überschritten. Es wird nicht auf die Experten gehört.

Das muss sehr ermüdend sein.

Ich habe lange mit Themenkomplexen rund ums Meer gearbeitet. In mancher Hinsicht ist hier viel erreicht worden. Der Walfang wurde gestoppt, ebenso Nukleartests und die Entsorgung radioaktiven Mülls im Meer. Auch auf Mallorca verlieren wir nicht alle Schlachten. Erst vor Kurzem wurden der Nationalpark von Cabrera und das Meeresschutzgebiet Calvià erweitert. Es Trenc ist vor der Bebauung gerettet. Auch im Kampf gegen die Massifizierung und Ausbeutung der Ressourcen gibt es Teilerfolge, wie etwa das Limit an Kreuzfahrtschiffen im Hafen von Palma oder das Versprechen seitens der Politik, dass es auf Mallorca keine neuen Autobahnen mehr geben wird. Unsere Arbeit ist nicht unnütz. Aber andere Sachen dauern, auch, weil die Gegenseite eine große Lobby hat. Dabei merken mittlerweile selbst die Hoteliers, dass sie übertrieben haben. Deshalb haben sie ja auch akzeptiert, die Anzahl der Betten nicht zu erhöhen. Leider war es bisher nicht möglich, auch die Anzahl der Ferienvermietungsplätze zu kontrollieren. Da gab es nicht genug Inspektionen.

Ist das also das Problem? Dass geltende Gesetze nicht eingehalten werden? Nachhaltigkeit hat ja durchaus Einzug erhalten in Politik und Unternehmertum.

Genau so ist es. Das ist eine unserer Analysen in dem Strategiepapier. Wenn aktuell geltende Regelungen eingehalten würden, wären die Probleme deutlich geringer, als sie es jetzt sind. Und die Mentalität ist im Wandel. Darüber hinaus braucht es aber auch weiterführende Regelungen.

Was sind Ihre Vorschläge?

Jeder Einzelne von uns ist Teil des Problems. Also braucht es eine Gesetzgebung, die die Massifizierung auf mehreren Ebenen bremst. Durch Limitierungen an Stränden und auf Straßen, aber auch durch Anreize für Privatpersonen, anders zu leben. Durch besseren öffentlichen Nahverkehr zum Beispiel. Einen Zug von Manacor nach Artà, ein Schienensystem von Andratx nach Palma und eins nach Llucmajor. Wir empfehlen auch Hilfen und Anreize für die ökologische Landwirtschaft und die Förderung der Produkte von hier. Ebenso zeigen wir Strategien auf, wie Recycling trotz der Insellage besser funktionieren kann. Und wir raten zu einem Verbot von Neubauten und Renovierungen von Gebäuden, die weniger als 100 Meter vom Meer entfernt stehen. Dort braucht es Regenerierungen und mehr Schutz der Dünensysteme, um die Folgen des Klimawandels abzuschwächen.

Die Baulobby ist strikt dagegen.

Nicht nur die Hoteliers sind mächtig, sondern auch die Bauunternehmer. Und dort ist die Einsicht aktuell noch nicht so groß. Wir empfehlen ein striktes Verbot von Bebauung auf ländlichem Grund und Bauverbote auf lange ungenutzen, bisher als Baugrund ausgewiesenen Flächen. Im Durchschnitt wird jeden Tag ein weiterer Hektar Land auf Mallorca bebaut. Da muss sich die Branche doch fragen: Was wollen wir für die Inseln? Wo sind die Grenzen? Formentera hat etwa dieselbe Fläche wie Manhattan. Theoretisch könnte man dort ein Manhattan errichten, immer mehr Menschen in immer mehr und höhere Häuser zwängen. Das geht. Aber will man das? Die Lobbyisten im Baugewerbe sagen, wenn unsere Vorschläge umgesetzt würden, bräche die ganze Bauwirtschaft ein. Dabei wird es für die Branche immer Arbeit geben. Wenn nicht mit Neubauten, dann durch die Sanierung bestehender Gebäude, die energetischer gestaltet werden müssen. Oder durch die Umwandlung von Hotels in Sozialwohnungen. Es gibt viele Projekte, die Arbeit bedeuten.

Der Inselrat hat sein Wort nicht gehalten und die im Februar abgegebene Studie erst einmal in der Schublade verschwinden lassen. War doch alles für den Papierkorb?

So oder so werden wir dafür sorgen, dass die Gesellschaft unsere Strategien kennt. Und just gestern (Donnerstag, 10.11., Anm.d. Red.) hat mich der Verantwortliche im Inselrat angerufen und sich entschuldigt, dass bisher nichts geschehen ist. Nun wird ein Treffen mit uns Experten anberaumt. Es war nicht alles umsonst.

Sie bleiben unerschütterlicher Optimist?

Ja. Sonst wären wir noch viel schlimmer dran als ohnehin (lacht).

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