Arm trotz Arbeit: Auf Mallorca bleibt vielen Menschen kein Geld mehr fürs Essen

Immer mehr Menschen auf Mallorca können kommen wegen zu geringer Löhne und steigender Kosten nicht mehr über die Runden. Wie verschiedene Hilfsorganisationen einspringen

Symbolfoto: Vor der Lebensmittelausgabe am Kapuziner-Konvent in Palma haben Bedürftige ihren Platz in der Schlange reserviert.

Symbolfoto: Vor der Lebensmittelausgabe am Kapuziner-Konvent in Palma haben Bedürftige ihren Platz in der Schlange reserviert. / B. Ramon

Zwei Ortspolizisten von Palma schieben die Absperrung in einer der schmalen, dicht bewohnten Straßen im Viertel Son Gotleu zurecht, als die Dienstwagen von Bürgermeister Jaime Martínez und Inselratspräsident Llorenç Galmés vorfahren. In einer Gegend, die wegen der Armut der Bewohner als „problematisch“ bezeichnet wird, versammeln sich am Dienstag (5.12.) die beiden ranghohen Politiker, um der Eröffnung einer Lebensmittelausgabestelle von Hope Mallorca beizuwohnen. Palma ist damit neben Santanyí und Portocolom die derzeit dritte feste Hope-Einrichtung, an die sich Bedürftige wenden können, wenn ihr Einkommen nicht mehr für das Notwendigste reicht.

Arm trotz Arbeitseinkommen

Die beiden Volksvertreter finden bei ihrer Ansprache nur oberflächlich Worte für die Lage oder deren Gründe. Großen Dank richten sie zumindest an die, die die Notlage von immer mehr Menschen im Alltag auffangen: die Gründerin von Hope Mallorca, Heimke Mansfeld, und Miguel Ángel Villalonga, mallorquinischer Anwalt und Vorsitzender der Stiftung „Tu hada madrina“ (Deine gute Fee). Diesen Namen trägt auch das Lokal im Carrer Francesc Julià 1 1, in dem registrierte Empfänger ab dem 15. Dezember immer freitags Spenden abholen können.

„Auch, wenn in manchen Familien ein oder zwei Mitglieder arbeiten, kommen sie nicht über die Runden, was zu schlechter Ernährung und mangelnder Hygiene führt, da alles so teuer geworden ist“, sagt Villalonga. Mangelnder Zugang zu ausreichendem und nahrhaftem Essen wirke sich auf die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder aus. „Tu hada madrina“, die von ihm 2023 gegründete Stiftung, baut auf Villalongas Engagement in der Hadas-Kids-Stiftung auf, die sich um von sozialer Ausgrenzung bedrohte Familien kümmert. Auch am Dienstag liegen in Son Gotleu schon die Briefe an den Weihnachtsmann: Die „ gute Fee“ soll die Wünsche erfüllen.

Kinder aus bedürftigen Familien haben ihre Wünsche an den Weihnachtsmann bei "Tu hada madrina" abgegeben.

Kinder aus bedürftigen Familien haben ihre Wünsche an den Weihnachtsmann bei "Tu hada madrina" abgegeben. / Nele Bendgens

Bedarf muss nachgewiesen werden

Fallbeispiel aus den Hope-Akten: Ein marokkanisches Pärchen im Alter von 22 und 31 mit einem drei Monate alten Kind muss von 1.003 Euro Monatseinkommen eine Miete von 770 Euro stemmen. Hinzu kommen Kosten für Wasser und Strom im unteren dreistelligen Bereich.

Mansfeld beziffert die Armutsgrenze: „Wer weniger als 250 Euro monatlich für Lebensmittel übrig hat, gilt für uns als bedürftig.“ Das muss mit Einkünften, Ausgaben und Familienbuch nachgewiesen werden. Die Daten dürften streng vertraulich nur von einer Sozialarbeiterin eingesehen und bearbeitet werden. Bei Hope gehörten die Hilfesuchenden schon lange nicht mehr nur bestimmten Nationalitäten oder Altersgruppen an.

Eine 38-jährige Alleinerziehende mit zehnjährigen Zwillingen arbeitet nur in der Sommersaison mit einem monatlichen Einkommen von 1.500 Euro. Für den Winter erhält sie 400 Euro Arbeitslosengeld, weil die sozialversicherungspflichtigen Tage nicht für vollen Anspruch ausreichen. Für Hypothek und Steuern sind jeden Monat 323 Euro fällig.

Heimke Mansfeld eröffnet mit dem Team um die Hadas-Kids-Stiftung eine feste Hope-Filiale in Palma

Heimke Mansfeld eröffnet mit dem Team um die Hadas-Kids-Stiftung eine feste Hope-Filiale in Palma / Nele Bendgens

Vermeintlicher Reichtum durch Tourismus

Wegen der wirtschaftlichen Erholung nach den Krisenjahren hätten viele Menschen ein verklärtes Bild von Mallorca, meint Mansfeld: „Wir freuen uns über den wieder erstarkten Tourismus, auf der anderen Seite führt das aber auch zu überteuerten Mieten und Wohnplatzmangel, dazu dass die Leute auf der Straße leben.“ Mit einem Durchschnittsgehalt von 1.100 Euro sei ein gutes Leben bei den aktuellen Kosten auf der Insel für etliche Menschen, ob Tourismusangestellte oder nicht, unmöglich. Eine 71-jährige Rentnerin bezieht zwei Renten, eine in Spanien und eine in ihrem Herkunftsland Argentinien. Von den insgesamt nur 600 Euro im Monat gehen allein 550 Euro für die Miete ab.

Statistiken beschönigen die Situation

Die Urlaubssaison auf Mallorca wird immer länger und damit auch der Arbeitszyklus der Saisonkräfte. 492.981 Personen waren im vergangenen November in einem Beschäftigungsverhältnis. Das sind 15.587 mehr als im selben Monat des Vorjahres. 32.942 Personen sind laut der am Montag (4.12.) veröffentlichten Daten arbeitslos. Das sind 3.545 weniger als im Vorjahr.

Hier können Sie spenden

SOS Mamás: ES3821002097700200107470

Tardor: ES0701330149644100002865

Hope Mallorca: ES4830584516422720009268

Hadas Kids: ES5400610029111726980114

Nicht nur Geldspenden werden gern gesehen. Es fehlen vor allem auch Windeln, Milch, Hygieneprodukte und dicke Wintersachen. Hope nimmt auch gebrauchte Möbel entgegen. Kontakt per Telefon: 613-48 44 76

Positiv auch: Nur noch 9,7 Prozent der Angestellten auf den Inseln haben einen Kurzzeitarbeitsvertrag. 2021 waren das noch 28,5 Prozent. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat auch Auswirkungen auf die Armut. Zumindest statistisch. Die Zahlen waren bereits in den vergangenen Jahren rückläufig. Waren es 2020 noch 25,6 Prozent der balearischen Bevölkerung, die offiziell als arm galten, waren es 2021 noch 22,4 Prozent und 2022 dann 21,5 Prozent. Damit bewegen sich die Balearen in einem Rahmen, der mit der Zeit vor der Pandemie (2018 waren es 21,2 Prozent) vergleichbar ist.

Heimke Mansfeld von Hope erklärt Palmas Bürgermeister Jaime Martinez und Inselrat Llorenç Galmes das Verteilsystem.

Heimke Mansfeld (l.).erklärt Palmas Bürgermeister Jaime Martinez (2.v.l.) und Inselrat Llorenç Galmés (re.) das Verteilsystem. / Nele Bendgens

Ausgaben übersteigen die Einnahmen

Die Ehrenamtlichen, die in den Tafeln auf Mallorca arbeiten, aber halten wenig von den Zahlenspielen. Ascen Mestre, Leiterin der Organisation SOS Mamás, spricht von einer „versteckten Armut“: „Die Leute schämen sich für ihre Situation und versuchen, sie zu vertuschen. Die Politiker wollen das Image Mallorcas als schöne Sonneninsel beibehalten und verklären die Lage.“ Ähnlich sieht es Toni Bauzà von Tardor. Saisonarbeitskräfte, die im Winter als sogenannte fijos discontinuos in die geplante Arbeitslosigkeit gehen, würden in der Statistik nicht als arbeitslos geführt. „¿Acaso estamos locos?“, haben wir noch alle Tassen im Schrank, echauffiert sich der Chef der Armenspeise. „Die Armutsstatistik nimmt einen Betrag X, mit dem man gut leben kann. Dieser Wert ist in ganz Spanien gleich.“ Dabei sind die Lebenshaltungskosten auf Mallorca wesentlich höher als beispielsweise in der Extremadura. Stichwort überhitzter Mietmarkt. „Was wir auf der Insel verdienen, steht in keinem Verhältnis zu den Ausgaben. Es reicht einfach nicht mehr, um auf Mallorca zu überleben“, sagt Bauzà.

Weniger Nachfrage dank besserer Kontrolle

Ein 57-jähriger berufsunfähiger Spanier mit einer bipolaren Störung erhält monatlich 806 Euro von seiner Berufsgenossenschaft. 350 Euro davon entfallen auf Miete, 40 auf Telefon und 40 auf Energiekosten.

„Die Mittelklasse verschwindet, die Arbeiterklasse wird immer ärmer“, sagt Mestre. Es seien vor allem Lateinamerikaner – „viele Bolivianer und Ecuadorianer“ –, die ohne Job und Papiere auf die Insel kommen. Sie erhoffen sich ein besseres Leben und finden sich dann in der Schlange für die Essensausgabe wieder. „Spanier oder Mallorquiner sind es vergleichsweise wenige. Ein paar Deutsche sind dabei. Die sind aber die Ausnahme“, sagt Mestre. Offiziell hat der Andrang an den Tafeln nachgelassen. Das liege nicht an der geminderten Not, sondern an einer besseren Kontrolle, sagen die Helfer. „Früher haben die Leute sich an mehreren Ausgabestellen Lebensmittel geben lassen. Mittlerweile gibt es viel mehr Tafeln, die untereinander vernetzt sind“, so Bauzà. Ein einheitliches Computersystem kontrolliert, wer wo Essen bekommt.

So sehen die Lebensmittelboxen bei Hilfsorganisationen wie Hope aus.

So sehen die Lebensmittelboxen bei Hilfsorganisationen wie Hope aus. / Nele Bendgens

EU-Fördergelder und Spenden zur Finanzierung

Bei Tardor sind es nur noch 100 Familien mit etwa drei bis vier Mitgliedern, die versorgt werden. „Hinzu kommen 300 Personen, die täglich gekochte Mahlzeiten abholen. Unsere drei Obdachlosenheime sind mit 1 10 Leuten voll. Wir haben eine Warteliste, auf der mehr als 200 Personen stehen.“ 6.000 bis 7.000 Menschen holen sich in den Verteilzentren von SOS Mamás in Cala Millor, Calvià, Manacor und zwei Mal Palma alle drei Wochen Grundnahrungsmittel ab.

Ein Großteil der Lebensmittel wird mit EU-Fördergeldern finanziert. Der Rest setzt sich aus Spenden zusammen – die bei den Hilfsorganisationen immer spärlicher eingehen. „Die Leute spenden heutzutage lieber für Tiere als für ihre Mitmenschen“, sagt Mestre.

Ein spanisches Ehepaar, 75 und 76, lebt mit seinem derzeit arbeitslosen Sohn, 53, unter einem Dach. Die Familie teilt sich 1.602 Euro Rente und bezahlt davon monatlich 677 Euro Hypothek sowie 120 Euro extra für Eigentümerbeiträge, Darlehen und Vermögensteuer.

Umgekehrte Hypothek wird üblicher

Besonders im Zeitraum rund um Weihnachten sei der Andrang groß. „Nicht alle Menschen sind perfekt. Manche Saisonarbeitskräfte haben kein Geld gespart und das Gehalt freizügig ausgegeben“, sagt Bauzà, der sich wundert, wie ruhig seine Landsleute trotz der Armut sind. „In anderen Ländern ziehen die Menschen auf die Straßen.“ Er vermutet, dass durch den starken Familienzusammenhalt in Spanien Notlagen überbrückt werden. „76 Prozent aller spanischen Familien verfügen über ein Eigenheim. Die umgekehrte Hypothek wird immer üblicher. Die Bank zahlt den Immobilienbesitzern eine monatliche Rate und erbt dafür nach deren Ableben das Haus oder die Wohnung.“

Der Armut ein Gesicht geben? Die Scham verhindert oft, dass die Betroffenen in Erscheinung treten. Es sind statt ihrer die Helfer, die da ansetzen, wo der Staat die Ungleichheiten nicht mehr auffängt.

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